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Schmid, Christian Heinrich: Brawe. In: Zusäzze zur Theorie der Poesie und Nachrichten von den besten Dichtern. Dritte Sammlung. Leipzig: Siegfried Leberecht Crusius 1769. S. 125–129.

<Seite 125:>

[...]

Brawe.

Obgleich die Ausgabe von seinen sämmtlichen Trauerspielen nur unsern Schmerz über seinen Verlust erneuert, so mußte doch seinen Verdiensten dies Denkmal gesetzt werden, sonst möchte der vergeßliche Deutsche, der nur gar zu oft das Verdienst nach der Dicke des Bandes mißt, bald auch seinen Namen vergessen haben. Wenn uns der Tod einen verdienten Mann entreißt, so loben wir ihn entweder mehr, als daß wir ihn bedauren sollten, dies ist der Fall, wann Voltaire sterben, oder wir bedauren mehr, als daß wir lobten; wenn wir halb aufgeschloßne Rosen welken sehen, so beklagen wir Cronegke, oder wir loben und bedauren zugleich, dies <Seite 126:> geschieht, wann eine Rose von nicht gemeiner Art unentfaltet dahin sinkt. In Brawen haben wir nicht nur die Hofnung zu einem Dichter, sondern auch die Hofnung zu einem tragischen Genie verlohren. Bisher hat man ihn nur aus seinem Freygeist gekannt, das ist nur halb gekannt. Die Verfasser der Bibliothek der schönen Wissenschaften (wie merkwürdig ist der von ihnen ausgesetzte Preis in der Geschichte unsers Theaters, Cronegk und Brawe wurden dadurch ermuntert, und selbst einem Weiße ist es die nähere Veranlassung gewesen) gaben dem Kodrus, als dem ausgearbeitetern Trauerspiel den Vorzug. Hätte Brawe noch einmal seinen Freygeist bearbeiten können, so würde er weit über den Kodrus erhaben seyn, da schon die blosse Anlage einiger Scenen mehr rührt, als der ganze Kodrus. Aber so wie es jetzt ist, gehört er unter die sehr mittelmäßigen Stükke. Die Verfasser der Bibliothek tadeln mit Recht daran den fehlerhaften Plan, die schlecht genutzten Situationen, die nicht genug aus[ge]bildeten Charaktere, den Widerspruch in Henleys Charakter, die Kälte der beyden ersten Aufzüge, den oft unerträglichen, ob gleich niemals unedlen Dialog. Es ist langweilig zu lesen, und selbst in der Aufführung würde es sich nicht besser ausnehmen, als die Brandische Misfanny. Doch auch schon aus diesem Stükke sieht man eine Bekanntschaft mit den Dramatischen Regeln, einen Hang zu dem Geschmack der Engelländer, eine Anlage zu einem Dichter, die man an einem Jünglinge von achtzehn Jahren nicht genug loben kann. Der Verfasser hat mehr geleistet, sagt der Herausgeber (Leßing) als man von dem fähigsten Kopfe vor seinem zwanzigsten Jahr erwarten durfte. Die Aehnlichkeit <Seite 127:> des Freigeists mit Youngs Rache, deren der Herausgeber gedenkt, ist so entfernt, daß sie gewiß nur wenige bemerken. Der Brutus erscheint zwar nach seinen Tode aber doch ist es das Stück, aus dem man des Verfassers Genie beurtheilen muß. Es ist, sagt der Herausgeber, voller interessanter Situationen, und gewaltsamer Leidenschaften. Man sieht hier noch mehr des Dichters Bekanntschaft mit den Engelländern. Besonders überrascht die Stärke und Kühnheit des Ausdruks, zu der damals nicht wenig Muth und viel Genie gehörte, da noch von keinem Weiße der hohe tragische Ausdruck in unserer Sprache versucht war. Es ist sogar in Jamben, die kurz nach Brawens Tode erst durch die Uebersezzung der Sophonisbe den Deutschen empfohlen wurden. Es ist nicht nur ohne Liebesintrigue, sondern so gar ohne Frauenzimmer. Am meisten sieht man des Verfassers Jugend in dem Heroismus und Stoizismus, von dem es nach dem Ausspruch des Herausgebers voll ist. Und das mußte es werden, da er sich einen Stoiker zum Helden wählte. Er wußte also nicht, wie sehr die Stoische Apathie dem tragischen Pathos widerstrebet. Die Reden des Stoikers rauschen zwar prächtig ins Ohr, aber seine Handlungen lassen das Herz kalt. Der Brutus ist das Gegenbild von dem Addisonischen Kato, doch ist mir der Deutsche Stoiker lieber. Die allzu hartnäckige Verleugnung aller väterlichen Zärtlichkeit, die stoische Unbiegsamkeit, der unnöthige Selbstmord sind Ursach, daß uns Marcius mehr als der Held selbst interessirt. Spuren der Jugend findet man auch in den allzulangen oder nur schimmer[n]den Reden, in denen Gelegen- <Seite 128:> heiten, die er laut der Vorrede ruhmsüchtigen Schauspiele[r]n zu schönen Abgängen gegeben hat. Auch hat Brutus noch einen Vertrauten, und zwar einen sehr müßigen, den Messala. Die Handlung ist hier nicht Zäsars Ermordung, sondern des Brutus Tod im Krieg gegen den Antonius und Octavius. Brutus Sohn Marcius wird in seinem zweiten Jahr in der Schlacht bey Mutina gefangen, Brutus hält ihn für todt. Publius, ein Ungeheuer, erzieht ihn, und verschweigt ihm seinen wahren Vater. In dem jetzigen Kriege muß Marcius, auf Publius Anrathen, als ein verstellter Ueberläufer zu Brutus übergehn, um ihn zu verrathen. Doch spricht immer das Herz bey ihm für Brutus, ob er gleich den Publius für seinen Vater hält. Antonius und Octavius lassen durch Publius Friedensvorschläge thun, einige friedliebende Senatoren finden sie billig, aber Brutus schlägt sie gerade zu ab. Publius entdeckt dem Brutus, daß sein Sohn noch lebe, und in der Gewalt der Feinde sey. Zur Belohnung des Friedens soll der Vater seinen Sohn wieder haben, aber der

Verirrte Stoiker, wahnsinnig stolz
Erwählt doch ein schimmernd Unglück mehr,
Als ein bescheidnes Glück. (S. 101.)

Publius ermahnt den Marcius von neuem zur Verrätherey, der sich nur nach langem Kampf dazu entschließt. Marcius wird dem Brutus verdächtig gemacht, er prüft ihn, (eine der schönsten Scenen) das Heer des Brutus erleidet wirklich durch des Marcius Verrätherey Niederlage. Der verwundete Publius entdeckt dem Brutus, <Seite 129:> daß Marcius sein Sohn sey. Brutus kehrt in die Schlacht zurück. Marcius will nun selbst Hand an ihn legen. Brutus sagt ihm, daß er ein Vatermörder werden würde, und fällt in sein Schwerd. Der sterbende Vater verzeiht, der Sohn verzweifelt und ersticht sich.

»Was hätte ein so feuriger und fleißiger Dichter der Bühne nicht für Ehre machen können, wenn er länger gelebt hätte! wenn er bey seinem längern Leben, nicht etwan, wie viele andere, (wer sind die?) mitten in seinem Wachsthum stehen geblieben wäre? und wenn er endlich die Liebe zum deutschen Theater nicht vielleicht ganz verloren hätte, zu einem Theater, dem es zum Theil noch an Personen fehlt, die ihre natürlichen Gaben durch Studieren der Bücher und der feinen Welt erhöht und sich tüchtig gemacht haben, dem Dichter in allen seinen Empfindungen zu folgen, und ihm zu Hülfe zu kommen. Doch so lange man in Deutschland nur dem Maler, dem Tonkünstler, dem Baumeister erlaubt, seiner einzeln Kunst getreu zu bleiben, dem Dichter aber, der die schwerste und weitläuftigste unter allen schönen Künsten treibt, noch andre Geschäfte aufladet, die ihn ernähren sollen, und ihm nur erlaubt, wann er bereits ermüdet ist, sich noch einmal durch Verfertigung poetischer Meisterstücke zu ermüden, was kann man da anders erwarten, als daß er seine Kunst zuletzt vernachläßigt, oder in seinen besten Jahren stirbt?«


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