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[Johann Georg Jacobi:] Trauerspiele des Herrn Joachim Wilhelm von Brawe. [Rezension.] In: Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften. Hg. von Christian Adolf Klotz. 6. Stück. Halle: Gebauer 1768. S. 237-248.

<Seite 237:>

Trauerspiele des Herrn Joachim Wilhelm von Brawe. Berlin, bey Winter 1768. 248 S. in 8.

Der ungenante Herausgeber dieser Trauerspiele giebt uns, in einem Vorberichte, folgende kurze Nachricht von dem Verfasser derselben: er ward den vierten Februar 1738 zu Weissenfels geboren. Sein Vater war Geheimer Kammerrath, und seine Mutter eine geborne Fräulein von Heßberg. Auf der Sächsischen Fürstenschule Pforte fieng er [s]eine Studien an, setzte sie auf der hohen Schule zu Leipzig fort, und starb den 7. April 1758 in seiner Vaterstadt, in den Armen seiner Eltern. In seinem achtzehnten Jahre schrieb er den Freygeist, ein bürgerliches Trauerspiel in Prose, und kurz darauf den Brutus, ein heroisches Trauer- <Seite 238:> spiel in Versen, welches nach seinem Tode jetzt zum erstenmal im Druck erscheint.

Sollten wir nicht mit Recht ein wenig unwillig auf den Herausgeber seyn, daß er uns nur dieses von einem Manne sagt, dessen frühe Fähigkeiten er selbst zu bewundern weiß? Welches war die erste Veranlassung zu seinem Enthusiasmus für die Bühne? Welche Freunde haben ihn vorzüglich aufgemuntert? In Leipzig wenigstens müste das Andenken eines Brawe, hätte er auch noch so eingezogen gelebt, nicht gänzlich erloschen seyn, so, daß es unmöglich wäre, das geringste von der Geschichte seines Genies zu erfahren. Was uns noch mehr berechtiget, den Herausgeber einiger Nachläßigkeit hierin zu beschuldigen, ist, daß er nicht einmal die beyden Stücke nach den Jahren ordnet, in welchen sie verfertigt sind, und uns das Vergnügen raubt, zu bemerken, wie weit der letzte Versuch den ersten übertrift. Der Recensent dieser Trauerspiele gerieth in ein angenehmes Erstaunen, als er den Brutus laß, ein Stück, das er nicht so bald von dem Verfasser des Freygeists erwartet hätte: und da erst sah er, welche schöne Hofnungen mit einem Brawe starben. Doch ich eile zu den Trauerspielen selbst, ohne die von dem Herausgeber gemachte Ordnung zu stören, zumal, da ich bey dem zweyten mich nicht so lange aufzuhalten gedenke. Bey dem ersten will ich weniger die Oeconomie desselben untersuchen, als meine Leser in den Stand setzen, von dem tragischen Genie des Verfassers zu urtheilen. Glücklich könten wir uns schätzen, wären die Fehler des Plans die Hauptfehler in unsern Dramatischen Stücken!

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Brutus. Die Scene ist im Zelte des Brutus.

Erster Aufzug.

Erster Auftritt.

Brutus beunruhigt sich wegen eines Traums, der ihm das Unglück der Republik prophezeyt.

Zweyter Auftritt.

Er erzählt seinen Traum dem Messala, und ängstigt sich wegen der Worte, die Cäsars Geist ihm zugerufen: Rom fällt – von deinem Blut entspringt sein Untergang. Umsonst will Messala ihn trösten: er antwortet:

"Messala, wie versteckt!
In welch G[eh]eimniß ist dies Wort gehüllt!
Von deinem Blut' entspringt sein Untergang.
Von meinem Blut? ich kenne keinen Sohn.
O hätt' ich ihn, den Sohn, den mir das Schwerdt
In Mutina geraubt! so bliebe, fiel
Ich auch, ein Rächer für mein Vaterland."

Dritter Auftritt.

Marcius meldet seinen vermeinten Vater Publius, der als Gesandter vom Heer Antons kömmt.

Vierter und fünfter Auftritt.

Publius bietet Versöhnung, im Namen Antons an.

<Seite 240:>

"Oft zürnt' ich auf das Schicksal, das mich den
Als Gegner hassen hieß, den ich als Held
Bewunderte. Selbst die Triumvirn –"

Brutus "Nenn'
Unrömscher Geist! den Nahmen nie, – Roms Fluch,
Verderben schlage den, der ihn erfand.
Unwürd'ger!"

Er verspricht den Rath zu versamlen, und fährt fort:

"Verweil indeß
Bey deinem Sohn – Gerechten Regungen,
Die die Natur gebeut, wehrt Brutus nie.
Zu sehr verdrängt sie schon der Bürgerkrieg. –
Dein Sohn ist Held, und ists dem Vaterland
Zum Wohl – Lern du von ihm ein Römer seyn."

Sechster Auftritt.

Publius erinnert den Marcius daran, daß dieser den Untergang des Brutus geschworen.

– "Gedenkst du nicht
Des Eids, den du in jener furchtbarn Nacht
Im Hain, den Furien geweiht, mir schwurst?
Schwurst du dem Brutus nicht, nicht seinem Heer
Den Untergang? Drohn nicht Verwünschungen,
Vor denen der Altar, der sie gehört,
Erbebte, dir, wenn du den Meyneid wagst,

<Seite 241:>

Wenn du ihr Drohn verhöhnst? Ihr hörtet sie,
Ihr Eumeniden, und du, Herrscherin
Des Reichs der ew'gen Nacht, du Hekate!
Euch ruft zur Rache die Entheiligung.
Mit aller Furchtbarkeit der Unterwelt
Gerüstet, stürmt auf den Meyneidigen.
Es muß in trunkner Wuth sein eigner Arm
Sein Mörder seyn! Verzweiflung sey sein Blick,
Wenn er jetzt stirbt – Sein Vater wird es sehn,
Und, nun gerächt, euch danken."

Marcius verspricht zwar, den Schwur nicht zu brechen; doch redet er mit Zärtlichkeit und Bewunderung von dem Brutus, der ihn mit Wohlthaten überhäuft. Publius ruft die Eroberung Samniums, seines Vaterlandes, und den Untergang seines Geschlechts ins Gedächtniß zurück, mahlt den Mord des Cäsars mit den schwarzesten Farben ab, und die ganze Scene ist voll männlicher Beredsamkeit. In dem siebenten Auftritte überläßt sich Publius allein dem süssen Gedanken der Rache.

"Doch zu begrenzter Haß! Wenn Brutus nur
Sein Opfer wird: nein! mit ihm falle Rom.
Rom, das ich stets gehaßt, das mein Geschlecht,
Mein Volk, das ganz Italien, mit uns
Der Kreis der Erde haßt" u.s.w.
"Weh Brutus, dir! Gleich fortgepflanztem Tod'
Ergreift der Haß, der mich verzehrt, die dir

<Seite 242:>

Getreuesten; wo ich nur bin, empört
Sich Abscheu wider dich. Verfolg ihn, Kreis
Der Welt! Du Himmel! Du Natur! erklärt
Euch wider ihn! Ein jedes Wesen sey
Dem Hassenswürdigen ein Publius."

Aus diesem ersten Aufzuge sieht man, daß der Dichter die, den mehrsten so schwere, Kunst verstanden habe, selbst die Exposition interessant zu machen, und durch starke Stellen zu heben. Mit den folgenden Aufzügen darf ich wol nicht eben so fortfahren, aus Furcht, meine Leser zu ermüden. Für wenige Augen ist das Skelet eines Gedichts ein angenehmer Anblick, und denn, welche Versuchung, alle schöne Stellen abzuschreiben! Lieber will ich den Innhalt jedes Aufzuges kurz erzählen, und bey den allervorzüglichsten Auftritten nur verweilen.

Zweyter Aufzug.

Der Rath wird versamlet, und des Publius Antrag verworfen, ob gleich Servilius zum Frieden räth, eben so wie Lucius in dem Cato des Addison. Publius wagt einen neuen Kunstgrif, und entdeckt dem Brutus daß sein Sohn, dessen Tod er beweint, noch lebe.

Brutus "beglückter Tag! –
So lebt er denn! – Ihr Götter welchen Dank,
Welch Opfer kan die nie gehofte Gunst
Bezahlen! – Wie? Mein Sohn? – Mein Sohn? – er lebt?

<Seite 243:>

Ach! Dieses Glück beugt unter seiner Last
Den trunknen Geist darnieder! – Publius,
Wo ist mein Sohn? Wo kan ich – sprich – wo kan
Ich ihn mit diesem Arm, der ihn so lang'
Entbehret hat, umfassen" u.s.w.

Ausser den unterstrichnen Versen, die ich natürlicher wünschte, hab' ich diese Stelle vorzüglich bewundert. Dies ist die wahre Sprache der Leidenschaft, und die Striche könten füglich wegbleiben. Doch vielleicht haben noch unsre Schauspieler sie nöthig. Brutus hört, sein Sohn sey im Lager des Antons, ihm drohe ein gewisser Tod, wenn der angebothene Friede ausgeschlagen würde; allein der Römer bleibt standhaft. In demjenigen was Publius darauf antwortet, ist viel Stärke: wäre nur der Ausdruck weniger geschmückt!

Dritter Aufzug.

Publius bestärkt den Marcius immer mehr in seiner Entschliessung; der Kampf in diesem letzteren ist fürtreflich ausgedrückt, und die Unterredung enthält meisterhafte Züge. Brutus bekömmt einen Brief, der ihm seinen Freund verdächtig macht, aber in einer rührenden Scene mit dem Marcius wird ihm der Verdacht benommen. Mich hat diese Scene mehr gerührt, als eine ähnliche Unterredung des Cäsars mit dem Brutus in Voltairens Trauerspiele [1].

<Seite 244:>

Brutus "Gnug, Marcius! –
Sey du nun ganz mein Sohn. – In dir vereint
Sich alle Zärtlichkeit, die in mir glüht.
... Die grosse Stunde naht,
Und ruft zum Kampf mit muth'ger Freudigkeit,
Wie ich zum Wohlthun sonst geeilt, eil' ich
Ins Schlachtfeld hin, für eine Nachwelt noch
Wohlthäthig da zu seyn ...
Doch sollte mich ein ehrenvoller Tod
Bekrönen: so sey du dann, Marcius,
Für Rom das, was ich mich zu seyn bestrebt.
Vergiß nie das Gebot von deinem Freund.
... Uneigennützig sey du groß;
Sey Roms, der Götter und der Menschen Freund.
Schützt ihn, Unsterbliche! Den zweyten Sohn,
Den ihr mir gabt; bewacht das himmlische
Gefühl, das ihr in seine Seele goßt.
Die Welt bewundre seinen Ruhm, noch mehr
Sein Herz."

Marcius (wirft sich ihm zu Füssen.) "Nein! Länger nicht vermag ich dir
Zu widerstehn. – O Brutus! – Vater! – Freund! –"

Brutus "Steh auf, es nahn die Senatoren sich."

Vierter Aufzug.

Marcius wird dennoch treuloß, geht, in dem entscheidenden Treffen, zu den Feinden Roms über, und durch ihn wird Brutus besiegt. Dem Ausdrucke <Seite 245:> seines Schmerzes wünscht' ich mehr Simplicität. Publius, verwundet, von Soldaten geführt, kömmt in sein Zelt, und sagt ihm: Marcius sey des Brutus Sohn. Brutus:

"O Nachwelt! O Jahrhunderte!
Vergeßt, daß Brutus war, vergeßt es, daß
Er Vater war. Sieh mich Erniedrigten,
Messala, sieh die ersten Thränen, die
Dies Auge weint."

Fünfter Aufzug.

In einem zweyten Kampfe wirft Marcius das Kriegesheer des Brutus völlig zu Boden, und dieser fällt in sein Schwerdt. Marcius, voller Reue und Verzweiflung, begiebt sich in das Lager seiner verrathenen Freunde, um den Brutus sterben zu sehen. Indem, von seinen Freunden umringt, der sterbende Brutus sie tröstet, und, wie Cato bey dem Addison [1], ihnen sagt: "Weint nicht um mich: ich blute glorreich ... Weint um Rom. Die Thräne, die an diesem finstern Tag für Rom nicht fließt, fließt strafbar hin. – Ach! sie, die Königinn der Völker, liegt im Staube ... O Tugend! Freyheit! O mein Vaterland!" Indem er über das vergossene Blut der Seinigen Mitleyd empfindet, tritt Marcius herein. Brutus sagt ihm: "Kenne dich; du bist mein Sohn." <Seite 246:> Von dieser Scene hätt' ich eine noch grössere Wirkung erwartet; allein die Reden sind, so, wie in dem ganzen Aufzuge, zu lang, und der Affect wird dadurch geschwächt. Vielleicht auch hätt' ich diesen Auftritt nicht mit dem siebenden in dem letzten Aufzuge des Brutus, von Voltairen, vergleichen sollen, wo Titus, auf eine rührendere Art, von seinem Vater eine Umarmung ersieht.

Brutus stirbt, in der Gegenwart seines Siegers Antons, und Marcius tödtet sich.

Wenn der Herausgeber von diesem Trauerspiele sagt: "es ist voll interessanter Situationen, voll gewaltsamer Leidenschaften, voll Heroismus und Stoicismus, und vom Anfange biß zum Ende voll ungewöhnlich starker Poesie:" so stimmen wir mit Freuden seinem Urtheile bey, ob wir gleich, in Absicht des letzteren, es ein wenig lindern möchten. Es ist wahr, die dem Trauerspiel angemessene poetische Sprache, hat der Verfasser recht glücklich getroffen, in den Wendungen ist Nachdruck, in den Bildern Kühnheit, und insonderheit würde der Dichter in der Poetischen Periode, deren Geheimnisse so wenige kennen, selbst von unsern ersten Schriftstellern viele hinter sich gelassen haben. Eine ganz unedle Stelle würden wir in dem Trauerspiele schwerlich finden; da wir den Verfasser des Canut so oft von seiner Höhe herabfallen und in ganzen Scenen schlummern sehen. Aber sind die Metaphern nicht in unserm Trauerspiele zuweilen verschwendet? Hätte nicht manches natürlicher ausgedrückt werden können? Nachdem Brutus zu dem Publius gesagt:

<Seite 247:>

"Er lebt? – Mein Sohn? –
Doch nein! – Du hintergehst mich, Grausamer!"

so hör' ich ihn ungern hinzusetzen:

"In die verdickte Nacht des Grames mich
Zurückzustürzen, schuf dein Haß voll Kunst
Den trügerischen Glanz, dem schon mein Herz
Zu trauen sich entschloß."

Nicht immer läßt der Verfasser die Leidenschaft in der erhabnen Einfalt reden, welche auch diejenigen für die Stimme der Natur erkennen müssen, deren Ohr an ein tönendes Geräusch am mehrsten gewöhnt ist. Ein überredendes Stillschweigen, da, wo die Situation selbst spricht; eine Römische Beredsamkeit, durch keine Kunst entnervt, entblößt von kleinen Zierrathen, die nicht für die Augenblicke gemacht sind, in denen die Seele voll Freyheit und Vaterland ist; Worte, ohne Pomp, fähig genug zu erschüttern, weil sie die Gedanken eines grossen Geistes sind, so wie wir im Cinna sie hören; alles dieses würde erst die künftigen Trauerspiele unsers Brawe charakterisirt haben. In den Versen vermissen wir oft den für die Declamation so nöthigen Wohlklang; doch eben so oft versöhnt uns wieder eine glückliche Harmonie mit dem Dichter. Seltener treffen wir bey ihm die langen neugeschaffenen Modeworte an, durch welche man so gern' uns täuscht, und dem gemeinsten Gedanken ein kühnes Ansehen geben will. Viele Patrioten schon haben vergebens den Wunsch gethan, daß wir einigen verbannten Machtwörtern das Bürgerrecht wieder geben möchten, welches sie durch ihren Nationalcharakter so sehr verdienen. Wenn doch ein <Seite 248:> tragischer Schriftsteller, in denen Situationen, in welchen er etwas wagen darf, diese an die Stelle jener setzte und zugleich verschiedne alte Wortfügungen damit verbände! Eine edle Kühnheit wär' es, wofür der Schatten unsers Opitz ihm danken würde.

Noch eine Bemerkung! Ich müßte mich sehr irren, oder unser Dichter hat mit besonderem Fleisse den Cato des Addison studirt, und den Ton des Engelländers sich eigen gemacht. Ausser den beyden angeführten Stellen, überreden mich viele andere hievon –

Ich habe schon gesagt, daß ich bey dem Freygeiste mich weniger aufhalten würde. Jedermann kennt dieses Stück, es ist gelesen, aufgeführt, gelobt, und getadelt worden. Soll ich dasjenige, was zum Lobe der besten Situationen in andern Journalen steht, wiederholen, oder die langen Selbstgespräche, die gehäuften Sentenzen abschreiben, und beweisen, daß sie ermüden? Eins darf ich nicht aus der Acht lassen, weil es nicht oft genug wiederhohlt werden kan. Helden, wenn sie, bey wichtigen Begebenheiten, in der Sprache der Dichter, als Dichter reden, haben noch keine Nation, kein Zeitalter beleidigt; aber mit Personen, die des gewöhnlichen Tons der Gesellschaft sich bedienen, und dann auf einmal, in Prosa, zu Dichtern werden, mit diesen kan die Natur sich unmöglich vertragen.

B.


<Seite 243:>

[1] La Mort de Cesar.

<Seite 245:>

[1] 'Tis Rome requires our tears.
The mistress of the world
... Rome is no more.
O liberty! O virtue! O my country!
Cato Act. IV. Sc. IV.


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