Brawe Ressourcen Logo | unten |

N. N.: Trauerspiele des Herrn Joachim Wilhelm von Brawe [Rezension]. In: Neue Critische Nachrichten. Fünfter Band. Greifswald: Röse 1769. S. 159-160. [= Ein und zwanzigstes Stück, 27 May 1769.]

<Seite 159:>

V.

Trauerspiele
des Herrn Joachim Wilhelm von Brawe,
Berlin, 1768. 248 S. 8.

Die Freundschaft, welche sonst öfters mit einer übertriebenen Wilfährigkeit die größten Kleinigkeiten verstorbener Dichter aufsuchte, in Bänden der Welt verlegte, und dem Ruhm, den sie dadurch befördern wollte, in der That nachtheilig war, hat sich in Absicht des Hrn. von Brawe einsichtsvoller bewiesen, und nur die beyden Trauerspiele desselben: Brutus und der Freygeist, der Vergessenheit zu entreissen getrachtet. Das letzte ist den Freunden des Geschmacks theils von den Theatern, wo es mit Beyfall aufgeführt ist, theils aus den ersten Bänden der Bibl. der schönen Wissenschaften bekannt. Es gereicht dem Hrn. v. Brawe zur Ehre, daß sein Freygeist, nach dem Codrus des Freyherrn von Cronegk, welchem man den Preis zuerkannte, für das beste Stück gehalten, <Seite 160:> und in einigen Absichten demselben so gar vorgezogen wurde. Brutus erscheint jezt zum erstenmahl. Die Fabel ist von dem Tage der philippischen Schlacht hergenommen, wo Antonius siegte, und Brutus sich erstach. Eine strengere Kritik würde vielleicht manches zu tadeln finden; der mäßige und so weit gedehnte Traum des Brutus im ersten Act würde ihr eben so wenig gefallen, als die Weissagung des Marcius vor seinem Tode; Publius, der den Untergang von Samnium nicht vergessen kann, und seine Rache nicht eher befriedigt glaubt, bis er Roms Freyheit gestürzt hat, und diesem seinem, durch niederträchtige Kunstgriffe befördertem Werke auch noch im Sterben zujauchzt, würde sie an den Henley im Freygeist, und beyde an den Zanga des Young erinnern, und sie würde alle diese Charaktere für unwahrscheinlich halten; sie würde hin und wieder den Dialog vermissen, und die Versification der Ungleichheit, und oft der Härte beschuldigen. Aber bey allem dem würde sie auch die Schönheiten, welche dies Trauerspiel enthält, nicht verkennen; die poetischen Anlagen, unter denen sonderlich die Unwissenheit des Marcius, daß er des Brutus Sohn sey, welche ihn zum Verräther desselben werden läst, die Hauptverwickelung des Stückes ausmacht; die daraus fliessenden Situationen; die rührenden Scenen; die grossen Empfindnisse; die starke Poesie. Und was werden gefühlvolle Leser, die an den Schönheiten beyder Trauerspiele gerührt sind, nicht empfinden, so oft sie sich erinnern, daß diese vortrefliche Werke in einem Alter verfertiget wurden, welches sonst erst bestimmt ist, für die Zukunft Kenntnisse zu sammlen, und welches selten etwas anders, als flüchtige Empfindungen hegt; und daß der edle Verfasser derselben starb, da er kaum das zwanzigste Jahr erreichet hatte!

Z.


  | oben |