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König, Eva: An Gotthold Ephraim Lessing. 21.9.1770. In: Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Band 19. Hg. von Karl Lachmann. Dritte, aufs neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker. Leipzig: Göschen 1904. S. 379-380.

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323. Von Eva König.

Mein lieber Herr Lessing!

Alles ist gepackt, und die Pferde auf Morgen früh um vier Uhr bestellt, allein der Himmel weiß, ob ich wegkomme. Eine ganz eigene Fatalität, die Sie in Verwunderung setzen wird, könnte mich aufhalten. Mein Mädchen hat sich in Gesellschaft des Kammerdieners eines Grafen, der mir gegen über logirt, so entsetzlich besoffen, daß sie schon die ganze Nacht nichts thut, als sich erbrechen. Ich bin ihre Wärterinn; denn ich habe es zu spät gemerkt, da schon alles zu Bette war. Eine angenehme Beschäftigung! da ich ohnedem vor nichts in der Welt mehr Abscheu habe, als vor einem Betrunkenen. Eben ist sie eingeschlafen, ich wünsche nur, daß sie beym Erwachen sich so befindet, daß wir abreisen können. Was das Schönste ist, so habe ich mir die größten Sottisen von ihr müssen vorsagen lassen. Denn ehe ich wußte, wie es mit ihr stund, hatte ich ihr wegen ihrer gar zu großen Nachlässigkeit einen Verweis gegeben, dessen erinnerte sie sich im Rausche, und sie hat, wie es scheint, einen bösen Rausch. – Dies Einzige hat mir noch gefehlt, um alle mögliche Beschwerlichkeiten auf dieser Reise zu versuchen. – Sie brauchen deswegen nicht zu denken, daß ich das Reisens müde bin; nein, ich treffe überall so viel gute Leute, die mich alles wieder vergessen machen. Hier, wo ich sie gar nicht gesucht hätte, habe ich die Meisten getroffen, und habe mich eben darum ganzer acht Tage aufgehalten, doch hauptsächlich wegen meiner Gesundheit, die sich auch um ein Merkliches gebessert hat, wenn ihr diese Nachtcampagne nicht wieder einen Stoß giebt. Dem vorzukommen, beschäftige ich mich auf die angenehme Art, mich mit Ihnen, mein lieber Freund, zu unterhalten. Bald hätte es mir aber an Mitteln dazu gefehlt; denn weil ich nur zwölf Meilen <Seite 380:> bis Passau reise, so habe ich mein Papier eingepackt. Dieses Quartblatt fand ich noch zum Glück in meiner Brieftasche. Ehe es voll geschmiert ist, muß ich Ihnen erzählen, daß hier eine Komödie ist, die recht gut seyn soll. Wie der Direkteur heißt, will mir eben nicht beyfallen. Die Salzburger machen Anspruch auf den guten Geschmack, und es dienet zum Beweis, daß sie ihn wirklich haben, weil man Ihre Minna sechsmal hintereinander gegeben hat, wo es allemal gepfropft voll gewesen seyn soll. Hätte man sie diese Woche aufgeführt, so wäre ich nicht von hier gereist, ohne die Komödie zu sehen, so aber war ich nicht neugierig, den Freygeist von Brave, und den Medon von Clodius zu sehen. Die Anzeige von der Letzteren sollen Sie haben; sie wird Sie zu lachen machen. – Ob ich gleich nicht in der Komödie gewesen bin, so habe ich doch in keiner Stadt alle das Merkwürdige und die Gegenden so gesehen, wie hier, man hat mich dazu gezwungen. An andern Orten hat man mir mehr Freyheit gelassen, und sobald ich meinen Willen habe, so suche ich die Einsamkeit. Sie hingegen, mein Freund, werden sich nun in der Wolfenbüttelschen großen Welt verbreitet haben. Erzählen Sie mir doch etwas von Ihren neuen Bekanntschaften; wie Sie sich unterhalten? ob die schönen Wissenschaften blühen? und wenn Sie mir von dem allen nichts sagen wollen, so sagen Sie mir wenigstens: ob Sie meine Briefe, wovon dies der sechste ist, erhalten haben? Doch wer weiß, ob ich nicht alle diese Fragen in Wien beantwortet finde. – Eben beym Schluß fällt mir ein, daß ich kein Couvert zu diesem Blatt habe. Wann also der Rausch ausgeschlafen wird, und wir morgen reisen, so nehme ich es mit auf Passau, und erzähle Ihnen noch das Ende der traurigen Geschichte. Möchten Sie so gut schlafen, als ich wache! Ich bin immer dieselbe.

Salzburg,
den 21. Septembr. 1770.

E. C. König.

Die Betrunkene ist erwacht, und hat versprochen sich zu bessern, ich stelle ihr aber nicht viel Glauben zu.


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