J. F. von Cronegk: Die Spanische Bühne [zuerst erschienen 1760]. In: Des Freyherrn Johann Friederich von Cronegk Schriften. Erster und zweyter Band. 7., vermehrte Auflage. Ansbach: Verlag Alte Post 2003. S. 194-196.
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Die Spanische Bühne.
Es ist zu beklagen, daß wir in Deutschland so wenig Gelegenheit haben, mit den neuen Stücken,
die in Spanien heraus kommen, bekannt zu werden. Die Virginia und der Ataulpho sind fast die
letztern, von denen wir etwas wissen; und wie weit müssen es die Spanier nicht gebracht haben,
wenn sie diesen Meistern gefolget sind? Da ich von der neuen spanischen Bühne meinen Lesern
nichts besonders sagen kann: so glaube ich, daß es vielleicht einigen unter ihnen nicht
unangenehm seyn wird, wenn ich ihnen einen Begriff von der alten spanischen Bühne zu geben
unternehme: denn auch diese Nachrichten, die man von den ältesten Schriftstellern in dieser
Sprache lesen kann, sind fast in Deutschland neu; und ich weiß nicht, warum die Bewunderer
der französ. und italien. Dichter nicht die Quelle zu erforschen suchen, aus welcher diese so
vieles geschöpft, und diejenigen Schriftsteller ganz vergessen, die nebst den Alten die einzigen
Lehrmeister eines Corneille und Molière, und so vieler andern großen Geister waren. Fast
alle französ. Schrifsteller des vorigen Jahrhunderts haben die Spanier ausgeschrieben. Daß
Moliere sein Festin de Pierre aus dem Burlador de Sevilla y Combidado de piedra
de Tirso de Molina genommen, weiß jedermann. Man kann nicht leugnen, daß es vielleicht
das schlechteste Stück des Moliere ist, und daraus schließt man, daß die spanische Bühne
gar nichts gutes hat. Einer bethet es dem andern nach, und kein Mensch giebt sich die Mühe,
sich mit einer Sprache zu beschäftigen, in welcher doch so viele lesenswerte Schriften
angetroffen werden. Daß Moliere nicht nur dieses, sondern auch einige von seinen besten
Stücken aus dem Spanischen genommen hat, übergeht man. Man saget nicht, daß er das vortrefl.
Stück L'école des maris, aus dem Lustspiele des Antonio de Mendoza: El trato muda
costumbre, oder (denn es ist unter zweyerlei Titel herausgekommen) El marido haze
muger, genommen hat, und daß seine Facheux aus einem spanischen Zwischenspiele
zusammengesetzt sind. Daß der ältere Corneille seinen Cid aus dem Spanischen genommen hat,
ist bekannt. Es ist bekannt, daß sein Menteur fast nichts als eine Übersetzung des
Mentiroso von Lope de Vega ist. Dieser Stoff ist von verschiedenen großen
Geistern, in verschiedenen Sprachen, ausgeführt worden. Lope de Vega war der erste,
der zweyte Corneille, der dritte war der große Verfasser des Zuschauers, Steele, der es
unter den Titel The lying lover gebracht hat. Endlich hat es der geschickte Goldoni
auf die italienische Bühne gebracht. Darf ich es sagen, daß ich mit keinem von diesen
Stücke zufrieden bin? Und daß ich wünschte, den Lügner noch zum fünftenmale auf die Bühne
bringen zu sehen? Im Lope, im Corneille und im Steele, hat das Stück für die Hauptperson
einen glücklichen Ausgang, welches ich in der That nicht billigen kann. Die Fertigkeit in
der Unwahrheit ist in meinen Augen ein so schändlich Laster, daß man es auf alle mögliche Art
zu bestrafen suchen soll. Ich habe bey allen dreyen gewünscht, daß der Lügner beschämt, und
durch Verlust seiner Geliebten bestraft werden sollte, und habe mich allezeit geärgert, wie
ich es nicht fand. Herr Goldoni hat zwar in diesem Stücke den Weg gewählt, den ich wünschte:
sein Lügner wird zuletzt bestraft, und fast nur allzusehr. Die letzten Scenen sind vortrefflich.
Aber ich gestehe, daß ich doch die Schönheiten nicht darinnen
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finde, die ich in seinen übrigen Stücken sehe; zu geschweigen, daß es sehr wider die Regeln
der Bühne ist. Ein Mann, wie Goldoni, ist zu Urbildern geboren; er soll andern nicht
nachahmen. Das Stück des Steele hat vielleicht mehr Fehler, als die andern alle: wie ist es
möglich, daß ein so großer Kunstrichter als er, sich so weit vergehen kann, als er in
diesem Stücke gethan hat? Im Lope de Vega und im Corneille, saget der Held seinem Bedienten,
er hätte Alcippen erstochen; dieser kömmt frisch und gesund wieder zum Vorscheine; und
dadurch wird der Charakter des Lügners desto deutlicher und lächerlicher. Steele hingegen
läßt wirklich seinen Loremern, welchen er statt des Namens Alcippe gesetzt, von dem
Lügner, und zwar auf der Bühne, gefährlich verwunden, und durch ein sympathetisches Pulver
wieder heilen, und hernach als einen Rechtesgelehrten verkleidet herein kommen, um seiner
Geliebten Treue sich zu versichern. Wahr ist es, daß dieses ihm zu einem zärtlichen und
schönen Complimente Gelegenheit gibt. Aber ist dieses nicht zu unwahrscheinlich? Ist diese
Gelegenheit nicht erzwungen? Auf einmal bringt er seine Leser zu seinem Helden in das
Gefängniß zu Newgate. Dort sind einige Gefangene, die, in einer mit dem ganzen nicht
zusammen hangenden Scene, mit einander trinken, und einander erzählen, daß sie morgen
sollen gehangen werden. Steele hat in diesem Stücke überall Witz gezeiget: ob er ihn wohl
angebracht, ist eine andere Frage. Vielleicht hat Lope de Vega, der Erfinder des Stückes,
auch seine Erfindung am besten ausgeführt.
Ich will von der kleinen Ausschweifung, zu der mir die Vergleichung dieser vier Stücke
Anlaß gegeben, wieder zurück auf die französischen Schrifsteller kommen, die aus dem
Spanischen etwas genommen haben. Sie haben öfters ein Buch von Wort zu Wort übersetzt,
und gar nicht dazu gesetzt, daß das Buch im Grundtexte spanisch ist. So ist der erste Teil
im Theatre de l'amour & de la fortune der Mdlle Barbier nichts als eine
Uebersetzung eines Stückes in dem Novellas di Perez de Montalvan.
Hauteroche hat seine Dame invisible ou l'esprit folet aus der
Dama duende des Pedro Calderon fast bloß übersetzt. Boisrobert hat seine
Jalouse de soi même aus der Zelosa de si missina des Tirso de Molina.
Scarron hat seinen Don Japhet d'Armenie aus dem Marques de Cigarral des
Alonso de Castilla. Ohnedieß hat er seine meiste Erzählung aus dem Spanischen.
Z. E. Die Geschichte des Destin, in seinem komischen Roman, ist aus der
spanischen Komödie: Con quien vengo vengo. Quinauts Fantome amoureux, ist
fast bloß aus dem Galan Fantasima des Pedro Calderon übersetzt. Das Stück
la vie est une songe, in dem ersten Band des nouveau theatre Italien, ist
auch aus dem spanischen Stücke la vida es Sueno dieses Pedro Calderon. Der
Plan des Trauerspiels Erigone von la Grange ist auch fast ganz aus dem
spanischen Stücke des Juan de Villegas, la mentirosa verdad.
Kein Schriftsteller hat mehr aus den Spaniern genommen, als der jüngere Corneille,
les engagements du hazard sind aus dem Stücke: Los empenos de un acaso des
Calderon; le geolier de soi même aus dem Alcayde de si misino des
nämlichen Verfassers. L'amour à la mode ist nichts als El amor al uso des
Anton de Solis: seine Comtesse d'Orgueil nichts als der D. Enrique
del Rincon, Senor de noches buenas des Ant. de Mendoza. Sein seint
Astrologue und noch verschiedene Stücke sind aus andern spanischen Schrifstellern, die
mir jetzo nicht beyfallen.
Man darf nicht glauben, daß ich die französischen Schriftsteller zu verkleinern suche, weil
ich ein solches Verzeichniß hieher setze, von denen Stücken, die sie den Spaniern zu
danken habe. Im Gegentheile, ich halte sie für lobeswürdig, daß sie Frankreich bereichert
haben; und Moliere wird ebenso gut groß bleiben, als wenn alles seine eigene Erfindung wäre.
Milton würde immer groß geblieben sein, wenn auch die falsche Erdichtung Lowthers wahr
gewesen wäre. Meine Absicht ist bloß,
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die Deutschen aufzumuntern, aus eben diesen Quellen zu schöpfen. Sie müssen aber nicht von dem
jungen Corneille sich verführen dahin lassen, daß sie ihre Stücke bloß mit Verwirrung
anfüllen, ohne an die Ausführung der Charakter zu denken. Sie werden in der spanischen
Bühne viele Anlagen von vortrefflichen Stücken finden, und ich bin fast überzeugt, daß sich
zum Beyspiele aus dem Stücke El meior amigo el Rey des Augustino Moreto, aus
des Lope de Vega ventura de la Fea, aus seinem Villano en su rincon und
verschiedenen andern Stücken, sowohl von ihm, als von andern spanischen Schriftstellern,
sehr schöne Lustspiele machen ließen.
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