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Otto Ladendorf: Einleitung. In: Historisches Schlagwörterbuch. Ein Versuch. Straßburg; Berlin: Trübner 1906. S. VII-XVII. (Im reprografischen Nachdruck, Hildesheim: Georg Olms 1968, sind es die Seiten XIX-XXIX. – Den Rest des Buches, also das Vorwort und vor allem die Schlagworte selbst, gibt es bei textlog.de.)

<Seite VII:>

    Wie wär's mit einem Register aller Schlag-
worte, politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher?
    Dazu müßte man einen Verein von Gelehrten
gründen!
              Bierbaum, Pankrazius Graunzer.

Einleitung.

Die bunte Sammlung, welche ich hier vorlege, umfaßt Ausdrücke aus verschiedenen Jahrhunderten und von sehr verschiedenem Wert. Denkwürdige und lebenskräftige Worte wechseln mit leichter Tagesflitterware, die plötzlich aufgewirbelt und oft rasch wieder verweht wird, geschichtlich Bedeutsames mit dem Allermodernsten. Und doch möchte ich diese mannigfaltigen Zeugnisse unter dem einen gemeinsamen Namen einfangen: Schlagworte.

Darunter sollen im folgenden solche Ausdrücke und Wendungen verstanden werden, denen sowohl eine prägnante Form wie auch ein gesteigerter Gefühlswert eigentümlich ist, insofern sie nämlich entweder einen bestimmten Standpunkt für oder wider ein Streben, eine Einrichtung, ein Geschehnis nachdrücklich betonen oder doch wenigstens gewisse Untertöne des Scherzes, der Satire, des Hohnes und dergleichen deutlich mit erklingen lassen.

Ob der Schöpfer des Wortes oder des besonderen Bedeutungsinhaltes bekannt ist oder nicht, ob es vorübergehend oder dauernd im Sprachleben weiter geführt wird, ob es einen beschränkteren oder allgemeinen Verbreitungsbezirk hat – all dies kommt für die Bestimmung des Begriffs selbst nicht in Betracht. Dadurch unterscheide ich ihn von der von Feldmann in einem dankenswerten Aufsatz (Beilage zur Münchener Allgem. Zeitung 1905, Nr. 77) vertretenen Auffassung. In der Tat ist das Schlagwort ein sehr vielseitiges Produkt.

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Schon seiner Entstehung nach ist es ein Allerweltsding. Bald erblüht es, ohne daß es gelingt, seinen Urheber festzustellen, bald läßt sich dieser und die Zeit des Aufkommens genau nachweisen, zumal wenn es sich um charakteristische Prägungen berühmter Männer handelt. Bald wiederum ist das Schlagwort eine Augenblicksschöpfung, eine rednerische Entgleisung, ein Witzwort, ein Spitzname, eine kräftige Verwünschung, eine blendende Phrase, bald eine wohlausgesonnene Losung, ein zündendes Programmwort, eine Parteibezeichnung, ein origineller Titel, eine Herausforderung oder Versprechung.

Auf allen möglichen Gebieten läßt sich derlei beobachten. Die Spielarten der Schlagworte sind also mannigfaltig genug. Gleichwohl treten einzelne Gruppen dominierend hervor. Politik, Literatur und Kunst geben weitaus das meiste an die Hand. Da bringt fast jedes Jahr neuen Zuwachs. Doch gibt es auch da gewisse Konjunkturen. Namentlich wenn die Wogen des öffentlichen Lebens besonders hochgehen, werden eine Menge Schlagworte ans Land geworfen. Viele glitzernde Kiesel, aber auch mancher gehaltvoller Ausdruck. So hat z. B. in politischer Hinsicht die französische Revolution gewirkt, ferner das Ringen um deutsche konstitutionelle Verfassungen, die soziale Erregung, die Flottenagitation, der jeweilige Kampf um neue Handelsverträge, die inaugurierte Weltpolitik.

So sind auch die Bezeichnungen großer literarischer Strömungen, des Sturms und Drangs, der Romantik, des Jungen Deutschlands, des Realismus und Naturalismus, der Décadence und Heimatkunst nicht nur selbst zu Schlagworten geworden, sondern haben auch noch zahlreiche andere im Gefolge gehabt. Nicht anders steht es bei tiefgehenden künstlerischen Prinzipienstreiten. Neue Erkenntnisse und technische Fortschritte verlangten immer gebieterisch nach entsprechenden sprachlichen Ausdrücken, deren Schlagkraft um so größer zu sein pflegte, je erbitterter die Gegnerschaft war: Impression, Sezession, Jugendstil mögen zeugen für viele.

Aber auch die Wissenschaften liefern nicht unerhebliche Ausbeute. Epochemachende Entdeckungen oder methodische Errungen- <Seite IX:> schaften finden oft genug in der Sprache einen charakteristischen und wirksamen Niederschlag. Erinnert man nun noch an die religiösen Bewegungen, an die Bedeutung der Volkswirtschaft, des öffentlichen und geselligen Verkehrs, des Zeitungswesens und Theaters, an modische Auswüchse und an das Walten der Volkssatire überhaupt, so dürften die Quellgebiete leidlich vollständig umschrieben sein.

Die Lebensdauer der Schlagworte ist eine recht unterschiedliche. Einzelne sind wie Meteore, andere wie Kometen, noch andere lassen sich als eine Art Wandelsterne bezeichnen, deren Glanz erst im Laufe der Zeiten verblaßt oder die sogar bei passender Gelegenheit, manche selbst wiederholt, plötzlich wieder in neuem Licht erstrahlen. Mit anderen Worten: die Schlagkraft eines solchen Ausdrucks schwindet nicht nur, sobald gewisse äußere Bedingungen nicht mehr erfüllt werden, sondern kann auch zu andrer Zeit, meist unter entsprechender Ummodelung des Inhalts, ganz überraschend neu belebt werden. Dann darf man geradezu von einer Wiedergeburt reden. Ich nenne als Beispiele: Natürliche Grenzen, Völkerfrühling, Imponderabilien, Imperialismus usw.

Ein hübsches Zeugnis für die zeitliche Beschränkung bringt Lothar Bucher, der schon vor Meyer in fesselnder Darstellung ›Über politische Kunstausdrücke‹ gehandelt hat (Deutsche Revue, 12. Jahrg. 2. Bd. S. 73f.): »Das Wort ›die besten Interessen Europas‹ wurde zu Anfang des Jahres 1853 von England, irren wir nicht, von dem Grafen Aberdeen in Umlauf gesetzt, ging sofort in alle Zeitungen, also in alle europäischen Sprachen über und verschwand ebenso plötzlich in dem Pulverdampf an der Alma. Es war das eine algebraische Formel, bei welcher die wenigen sich etwas und zwar jeder etwas anderes, die vielen nichts dachten.« Wer dächte hier nicht auch z. B. an so kurzlebige Bildungen, wie Weltmarschall, Sühneprinz u. a.!

Ähnliche Mannigfaltigkeit zeigt die räumliche Verbreitung der Schlagworte. Es gibt solche, die nur in gewissen Bezirken oder Ländern gedeihen, aber es fehlt auch nicht an Ausdrücken, die sich gleichsam in Weltschlagworten entwickelt haben. Wo <Seite X:> schilt man so beweglich die Hakatisten? Wo spricht man aber nicht von Boykott, Internationale, Interview? Ein reger Austausch fördert in der Neuzeit zumal die Verbreitung der Schlagworte ungemein. Französische und englische Ausdrücke werden oft unmittelbar nach ihrem Entstehen auch ins Deutsche eingeführt. Andere Länder sind zum Teil darin zurückhaltender, besonders wenn kein Bedürfnis danach besteht. Interessante Belege verzeichnet auch hier Bucher S. 73: »Im Oktober 1856 schrieb der ›Nord‹ in einem Streit mit der ›Kreuzzeitung‹: ›Ihr wendet eure Stichwörter Liberalismus und Konservatismus fortwährend auch auf Rußland an. Aber wir haben nicht einmal diese Wörter in unserer Sprache, sie sind ganz unübersetzbar. In diesen Gegensätzen sind Prinzipien und Übel ausgedrückt, die dem Charakter Rußlands völlig fremd sind.‹

Sollte sich nicht seitdem die russische Sprache durch entsprechende Ausdrücke bereichert haben? Und würde nicht dadurch ein Abschnitt in der russischen Geschichte bezeichnet sein?« Im Anschluß daran wird ein bezeichnender Ausspruch Mazzinis aus dem Jahre 1850 mitgeteilt, der die Wörter Kommunismus und Sozialismus als zwei den Massen Italiens noch unbekannte Ausdrücke beanstandet.

Ebenso ist das Bildungsniveau vielfach recht wesentlich für die Verbreitung. Denn Schlagworte, die der ästhetisch-literarische Feinschmecker liebt, werden von Angehörigen anderer Kreise oft kaum gekannt, geschweige gewürdigt. Und umgekehrt bleibt manches Schlagwort der unteren Bevölkerungsschichten dem Fernerstehenden fremd oder gleichgültig.

Äußerlich ist die mehr oder minder charakteristisch zugespitzte oder geschliffene Form zu beachten. Soll der Ausdruck wirklich einschlagen, so muß er kurz und treffend sein. Durchaus nicht immer aber ist das Schlagwort zugleich ein sprachlicher Neuling. Oft genug wird nur ein längst vorhandenes Wort entsprechend aufgefrischt und beflügelt. Erst der neue Inhalt gibt dann die Schlagkraft, so daß man mit einem Male solchen Ausdrücken einen ganz eigenen Geschmack abgewinnt, die man vordem als alltägliche kaum näher beachtete. Ja, der neu <Seite XI:> aufgefüllte Wein droht bisweilen sogar den alten Schlauch zu sprengen. Es ist demnach zwischen der objektiven Geschichte eines Wortes und der subjektiven Erhöhung zum Schlagworte in vielen Fällen scharf zu scheiden. Ein gut Teil der Schlagworte ist überdies ausländisches Sprachgut, das seine fremde Herkunft nicht verleugnet. Wie es scheint, wird dadurch der Reiz noch verstärkt.

Sehr oft erschöpft sich der Gedanke nicht in einem sprachlichen Ausdruck. Die Triebkraft wirkt weiter. Eine Fülle von Ableitungen und Zusammensetzungen, von verwandten und entgegengesetzten Bildungen schließt sich nicht selten an. Selbst parodistische Ausdrücke werden so erzeugt. Ganze Schlagwortfamilien sprießen auf und bilden eine farbenbunte Flora. Oder das Schlagwort ist selbst nur die Abspaltung oder Spezialisierung eines älteren Ausdrucks, also bereits eine sekundäre Erscheinung. Was lehren uns in dieser Beziehung Beispiele, wie: Volkstum, europamüde, Junges Deutschland, Krawall, Bummler, Heimatkunst, liberal usw.!

Den Haupterklärungsgrund für die mitunter ganz erstaunliche Wirkung eines schlagenden Wortes gibt jedoch der ihm innewohnende Gefühlswert. Dieser fasziniert manchmal geradezu den Hörer oder Leser durch die Stimmungen, die er in ihm weckt. Man darf gewissermaßen von einem Dunstkreis einzelner Ausdrücke reden, der die Sinne gefangen nimmt. Keiner gibt hierfür einen anschaulicheren Beweis als der große Sprachkünstler Nietzsche. Nicht mit Unrecht nennt ihn Erdmann, Die Bedeutung des Wortes (1900) S. 131 schlechthin einen Falschmünzer wider Willen und charakterisiert seine Sprechweise treffend durch folgende Ausführungen: »Die zauberhafte Wirkung der Nietzscheschen Sprache beruht immer auf einer Ausbeutung der Gefühlswerte und der Vieldeutigkeit der Worte; mit Meisterschaft versteht er es, die in den Worten schlummernden Geister zu entfesseln und Wirkungen zu erzielen, wie sie sonst nur durch die Musik erreichbar sind. Immer entfacht er zahllose, einander widerstreitende, sympathische oder reaktive Affekte. Auch dann, wenn er nüchtern und sachlich zu reden scheint, kann man ein <Seite XII:> leises schmerzliches Stöhnen vernehmen oder den eisigen Hauch von Verachtung spüren. Sieghaftes Frohlocken und alle Nüancen eines tiefen Ekels weiß er wie kein anderer zu äußern und zu suggerieren.« Man höre: Bildungsphilister, freie Geister, fröhliche Wissenschaft, Umwertung aller Werte, Herdentiermoral, Jenseits von Gut und Böse, Blonde Bestie, Übermensch usf. Was bedarf es weiteren Zeugnisses!

Doch auch die schwächeren Potenzen volkstümlichen Humors oder Spottes steigern mancherlei Ausdrücke und Wendungen zu schlagenden Worten.

Aus alledem ergibt sich, daß es auf diesem Beobachtungsfelde in der Regel nicht genügt, möglichst genau den Geburtsschein beizubringen, sondern daß man auch der weiteren Entwicklung nachgehen muß, daß man ebenso auf das allmähliche oder plötzliche Absterben als auch auf das Wiederaufleben der Schlagworte zu achten hat. Man hat also nicht sowohl auf eine isolierte Wortbehandlung auszugehen als vielmehr auf prägnante Entwicklungsskizzen. Einzelne Artikel wachsen sich dabei von selbst zu kleinen Wortbiographien aus. Daher ist es von Vorteil, wenn zugleich mit dem Ausdrucke auch etwas Erdreich mit ausgehoben wird. Ähnliche Einsicht hat schon den »Büchmann« mit den Jahren zu einem »gelahrteren« Ratgeber gemodelt, der die Vorgeschichte der Geflügelten Worte zum guten Teil mitbeachtet und auch auf die Nachgeschichte manchen Blick wirft.

Und doch ist das Geflügelte Wort von dem Schlagwort, worunter ich außer dem synonymen Stichwort diejenigen Schelt-, Spott-, Hohn-, Witz- und Kraftworte auch inbegreife, die der obigen Begriffsbestimmung genügen, offenbar zu scheiden. Die Abgrenzung lehrt die von Robert-tornow geschöpfte Definition: »Ein geflügeltes Wort ist ein in weiteren Kreisen des Vaterlandes dauernd angeführter Ausspruch, Ausdruck oder Name, gleichviel welcher Sprache, dessen historischer Urheber oder dessen literarischer Ursprung nachweisbar ist.« Allerdings paßt das aufgesammelte Material keineswegs allenthalben in diesen Rahmen. Die Zahl derjenigen Artikel, die sich unbotmäßig erweisen, ist sogar ziemlich beträchtlich. Einzelne sind weit eher <Seite XIII:> als echte Schlagworte zu bezeichnen. Hat sich doch der »Büchmann« gerade in den letzten Auflagen nicht unwesentlich aus der Schlagwortforschung selbst bereichert. Dennoch werden nicht wenige Ausdrücke und Wendungen von beiden Seiten angesprochen werden dürfen. Wer wollte einseitig Ausdrücke, wie romantisch, blaue Blume, Justemilieu, Weltschmerz, geographischer Begriff, rettende Tat, rotes Gespenst, Zukunftsmusik, Kulturkampf, Fin de Siècle, Jingo usw. für sich nur reklamieren? Nur die Art der Behandlung macht da den Unterschied.

Gleich fließend ist die Grenze gegenüber dem Bezirk der Modewörter. Das hat bereits Feldmann scharf betont: »Große Beliebtheit macht ein Wort noch nicht zum Schlagwort – im Gegenteil, es ist das Schicksal vieler Schlagworte, sehr beliebt zu werden und dann mit Verlust ihrer Eigenart zu Modewörtern herabzusinken. Das geschah mit artig (gleich galant), Aufklärung, empfindsam, Fortschritt, Grazie, Idee, Natur, Philister, Weltbürger und vielen anderen Wörtern, die der Schlagwortforscher ebenso zu beachten hat wie der Modewortforscher. So nehmen diese beiden oft dasselbe Wort mit Recht für sich in Anspruch, während die Frage in vielen Fällen ohne weiteres zu gunsten des einen oder anderen entschieden werden kann. Denn durchaus nicht alle Schlagworte werden Modewörter – man denke nur an die lange Reihe der Eigennamenworte, wie goethisieren, gottschedisch, Grandisonfieber, klopstöckeln, siegwarthisieren, Wertherfieber!

Umgekehrt sind viele Modewörter nie Schlagworte gewesen, z. B. fatal, Jahrtausend, staunen, süß, voll und ganz

Dazu die weiteren Bemerkungen: »Lektüre, das Goethe 1772 als Modewort bezeichnet, ist Schlagwort gewesen in der lesewütigen zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, als viele Leute ihren Stolz darein setzten, »Personen von Lektüre« zu werden, und sicher ebenso viele diese Sucht verurteilten und verhöhnten. Auch die Wörter interessant und liebenswürdig, die Goethe 1807 in einem Brief an Frau v. Stein als »Gesellschaftsworte« bezeichnet, sind Schlagworte als bewußter Ausdruck eines be- <Seite XIV:> stimmten Standpunktes, d. h. wenn sie im Ernst als Forderung oder spöttisch zur Verhöhnung einer solchen Forderung gebraucht werden, Modewörter aber als allgemein beliebte, bis zum Überdruß ausgesprochene Bezeichnungen!«

Dem Modewort fehlt demnach die bestimmte Energie des Schlagwortes. Es ist ein Erzeugnis, das plötzlich ganze weite Bevölkerungsschichten epidemisch durchsetzt und meist nur ziemlich gedankenlos gebraucht wird. An Mannigfaltigkeit der Form und des Inhalts wetteifert es mit der Mode selbst. Sein Ursprungsbereich liegt nach Brennert [1], der eine ergötzliche Ernte aus den letzten Jahrzehnten gehalten hat, auf dem langen Wege vom übermütigen »Bierausdruck« bis zur gebildeten Phrase. Über seine Eigenart äußert er sich (Modeworte, Berlin 1898 S. 12f.) wie folgt: »Was allen diesen Worten gemeinsam ist, das ist, daß sie fast ausnahmslos auf Umwertungen oder Umbildung der gewöhnlichen Sprachbilder und auf das Gesetz der Stereotypie ihre unerhörte Wirkung gründen. Sie sind eine blinkende Scheidemünze, mit der sich zahlreiche Sterbliche tapfer durch das gesellschaftliche Leben schlagen, die aber auch von solchen Zeitgenossen nicht ganz verschmäht werden, die in der glücklichen Lage sind, nicht nur wenn sie schweigen, sondern auch wenn sie reden, die Kosten der Unterhaltung mit Gold zu bestreiten.«

Solche Entwertung, die auch manches ursprüngliche Schlagwort zum farblosen Modewort macht, charakterisiert Bürde, Vermischte Gedichte (1789) S. 125 anschaulich durch die Verse:

»Auch Modewörter gibt's, so gut wie Modefarben;
sie dauern freilich kurze Zeit,
Und viele Lieblingsphrasen starben
im Sumpfe der Vergessenheit.
Der Trödler handelt jetzt mit der Empfindsamkeit;
Kraftsprache, Bardenton, des Minneliedes Säuseln –
Antiquitäten sind's! – das oft gespielte Spiel
<Seite XV:>
macht keine Wirkung mehr; wir finden fad' und kühl,
was zum Entzücken sonst gefiel:
fast jedes Jahr bringt einen andern Styl,
wo die Gedanken sich nach neuen Formen kräuseln.«

Doch nicht genug. Einzelne Ausdrücke machen sogar die Metamorphose vom Schlagwort zum Modewort und dann zum Geflügelten Wort oder auch in anderer Reihenfolge durch. Das hat Feldmann an der schönen Seele lehrreich skizziert. Das Beispiel ist natürlich nicht das einzige der Art.

Die Schlagwortforschung ist erst ein junger Zweig am Baume der deutschen Wortforschung. Ihre Methode bedarf also noch der Vervollkommnung. Auch die Hilfsmittel sind beschränkt. Die Wörterbücher lassen nur zu oft im Stiche. Selbst ausdrückliche literarische Zeugnisse sind immer mit Vorsicht zu verwerten. Der Bildungsgrad und subjektive Irrtümer des betreffenden Zeugen, der landschaftlich wechselnde Sprachgebrauch, der Grad der Verbreitung einer Schrift oder Rede, die oft zu beobachtende Willkür in der Verwendung fremdsprachlicher Parallelen – alle diese Reserven sind sorgsam in Anschlag zu bringen, wie Arnold in der Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 52, 964ff. recht beachtlich dargetan hat. Von irreführenden typographischen Kennzeichen durch beliebigen Sperr- oder Fettdruck oder durch Hervorhebung mit Anführungsstrichen ganz abgesehen. Auch die zur Erläuterung jeweilig erforderlichen Spezialkenntnisse sind so verschiedenartig, daß mancher Fehlgriff zunächst nicht erspart bleiben wird. Ebenso ist man beim Nachgraben in vermeintlichen Fundgruben eigenen Enttäuschungen ausgesetzt. Manches obskure Pamphlet, manche längst vergessene Gelegenheitsschrift, mancher bizarre Skribent bietet bisweilen mehr als die systematische Lektüre angesehener Schriftsteller. Gerade so pointierende Stilisten wie Heine und Gutzkow, solche Wortfanatiker wie Campe und der deutschtümelnde Jahn, solche originalitätssüchtige wie Johannes Scherr, solche schöpferische wie Nietzsche, solche vielfach interessierte Geister wie Wieland, solche hervorragende Männer der öffentlichen Wirksamkeit wie Bismarck usw. sind dafür am ergiebigsten. Überhaupt sind die Schriftgattungen polemischen und satirischen <Seite XVI:> Charakters in der Regel besonders lehrreich. Ein wertvolles Sammelbecken ist in diesem Betracht vor allem der Kladderadatsch. Aber auch andere Zeitschriften und Witzblätter, die auf modische Strömungen achten, liefern dankbare Ausbeute. Wie wichtig für die Geschichte der Schlagworte die Leitartikel der Tageszeitungen, die Parlamentsberichte, Wahlflugblätter und dergleichen Produkte sind, ist ja allbekannt.

Den Wert solcher Beobachtungen hat Richard M. Meyer, der dieses Gebiet erst wirklich erschlossen hat, mit beredtem Munde betont. So viele leere Schälle nun auch aus dem Geschwirr der Schlagworte heraustönen, sie enthalten doch eine Fülle interessanter Stimmen aus vergangener und gegenwärtiger Zeit, die dem, der recht zu hören versteht, gar manche wertvolle Auskunft geben. Nicht nur der Sprachforscher vermag daraus Gewinn zu ziehen. Nicht nur er kann an diesen Ausdrücken in eigenartiger Weise oft typische Wortschicksale studieren, wie Ebbe und Flut bei der Aufnahme eines Schlagwortes wechselt, wie einzelne Ausdrücke merkwürdig umgebogen werden, Schimpfworte zu stolzen Parteinamen (Whigs, Tories, Geusen!) sich modeln, wie neue Wortsippen plötzlich emporschießen, wie neue Gedanken und Stimmungen nach konformem sprachlichen Ausdruck ringen, wie fremdes Sprachgut übernommen oder bearbeitet wird, sei es durch Amalgieren, sei es durch Verdeutschen.

Auch dem Literarhistoriker eröffnen sich durch Würdigung der Schlagworte bedeutsame Ausblicke. Ganze Bewegungen werden dadurch präzis charakterisiert. Man denke z. B. an die Original- und Kraftgenies, die Schicksalstragödie, die innere Form, die spezifische Lyrik usw.! Manches Stück Poesie und Poetik wird in solchen Ausdrücken lebendig.

Gleichwohl werden die kulturgeschichtlichen Beziehungen immer das größte Interesse erregen. Sie sind fesselnd für jedermann. Wieviel läßt sich über die Psychologie des Publikums, über den Wandel des Geschmacks, über Anleihen bei fremden Völkern, über tiefgehende heimische Bewegungen gerade aus den Schlagworten entnehmen! Mit gutem Grund fragt Bucher S. 72: »Wo und wann ist die erste Thronrede gehalten, die erste Adreß- <Seite XVII:> debatte geführt worden, und wie sahen sie aus? Wieso sitzt die Rechte rechts und die Linke links? Wie ist die politische Bedeutung des Wortes Rot entstanden? Welches ist der Stammbaum der Grundrechte? Was ist das europäische Gleichgewicht? Wer hat das Wort Rechtsstaat erfunden? Wo ist der Belagerungszustand, die Sache und das Wort, aufgekommen?« Die Fragen lassen sich auch für inländische Schlagworte schier unerschöpflich stellen und beantworten.

Meyer vergleicht zum Schluß ein paar schöne Verse Théophile Gautiers von dem Landmann, dem eine alte Münze, welche er aus seinem Acker herausgepflügt hat, einen vergessenen Fürsten enthüllt. So gewähren auch die Schlagworte manchen überraschenden Aufschluß über »den Herzschlag des Volkes selbst und der Zeit«. Denn:

»Wie die Zeiten sind, so sind die Wort und hinwiderumb
wie die Wort, so sind auch die Zeiten. Verba ut nummi.«

Unartig Teutscher Sprachverderber (1643).
 


<Seite XIV:>

[1] Vergl. auch Feldmanns Sammlungen über »Modewörter des 18. Jahrhunderts« in ZfdW. 6, 101ff. und 299ff. und Wustmanns moderne Liste (Allerh. Sprachd.) S. 355ff.

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