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Christian Felix Weißens Selbstbiographie. Herausgegeben von dessen Sohne Christian Ernst Weiße und dessen Schwiegersohne Samuel Gottlob Frisch. Leipzig: Georg Voß 1806. S. 42-48.

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Von dem Jahre 1756 an bekam Weißens Beschäftigung mit den schönen Wissenschaften und überhaupt seine litterärische Thätigkeit eine veränderte Richtung. Ohne vom Theater Abschied zu nehmen, hörte er längere Zeit auf Lustspiele für dasselbe zu schreiben. Die nächste Auffoderung dazu fiel hinweg, indem sich die Kochische Schauspielergesellschaft mit dem Ausbruch des unglücklichen Krieges von Leipzig entfernte. Dieselbe traurige Begebenheit brachte zwar zu Ende des Jahres Lessingen wieder nach Leipzig, da der Kaufmann Winkler seine Reise während des Krieges nicht fortsetzen wollte; aber Lessing schien alles Interesse am Theater und an theatralischen Arbeiten verloren zu haben. Das blieb auf Weißen, der den vertraulichen Umgang mit seinem Freund erneuerte, nicht ohne Einfluß. Dieser Umgang verschaffte ihm wieder viele der frohesten Stunden und eine neue Bekanntschaft von großem Werthe. Lessing brachte Weißen zuerst zu dem liebenswürdigen Dichter Kleist. Kleist ward, nachdem der König von Preußen das Sächsische Lager zwischen Pirna und Stolpen gefangen genommen hatte, und den <Seite 43:> größten Theil davon zu seinem Dienste nöthigte, bey dem Sächsisch=Preußischen Regimente des General Hausen zu Ende des Jahres 1756 als Obristwachmeister angestellt und nach Leipzig in Garnison verlegt, wo er die Umwandlung der sächsischen Soldaten in preußische zu besorgen hatte. Diese Versetzung, (er hatte vorher beym Regiment des Prinzen Heinrich gestanden und hätte gern an dem glorreichen Feldzuge desselben Antheil genommen,) war seiner Neigung so entgegen, daß er vielleicht hauptsächlich um dieser Ursache willen in ein hitziges Fieber verfiel. Bey seiner Genesung war es, als Lessing, Weißen an das Krankenbette Kleist's führte. Beyde Freunde verließen ihn nur selten, trösteten den in Unthätigkeit gehaltenen und nach Thaten durstigen Krieger, jeder auf seine Weise und verlebten zusammen viele glückliche Abende. Kleist's Aufenthalt in Leipzig verlängerte sich auf anderthalb Jahr. Denn nach der Schlacht bey Roßbach, (den 5ten Nov. 1757) bey welcher er nicht gegenwärtig gewesen war, erhielt er den traurigen Auftrag, die Verwundeten vom Schlachtfelde abzuholen, ihren Transport nach Leipzig zu <Seite 44:> besorgen und bekam hier die Aufsicht über das Lazareth; ein Auftrag, der ihn zwar in eine Thätigkeit versetzte, welche er mit großer Menschenfreundlichkeit übte, der aber seinem aufstrebenden Geiste sehr zuwider war. Indessen mußte er aushalten, und seine Freunde freueten sich des verlängerten Umgangs. Als einst Kleist's Unmuth über seinen unedeln Müßiggang, wie er seinen Aufenthalt in Leipzig nannte, sehr lebhaft ausgebrochen war, suchte ihn Weiße durch ein Gedicht auf ihn, zu beruhigen, von dem ihm der Schluß noch gegenwärtig ist:

Du klagest: Daß ich nicht mit dir, o König, siegte!
    Warum winkt mich der Held nicht hin?
Daß ich nicht voller Schweiß bey Scipionen kriegte!
    Daß ich nicht fiel, wie Er, Schwerin!

Hier, wo der Tod ihn traf, wo Blut der Helden fließet,
    Steigt ihm ein Lorbeerhayn empor.
Der Ruhm, der jeden Zweig für ihn zu Kränzen schließet,
    Hält ihn den spätern Enkeln vor. –

Erwarte, daß er dir daraus noch viele windet,
    O Kleist, in einem längern Lauf!
Das Schicksal, das sich nicht am Wunsch der Helden bindet,
    Hebt sie zu edlern Thaten auf.

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Entriß es durch die Ruh dein Leben nicht Morbonen,
    Die es mit Ungestüm befiel?
Warum? Es wollte dich für größ're Thaten schonen;
Und ihrer, glaub' es, werden viel!

Dich seh ich schon im Geist, vor einem größern Heere
    Von Kriegern, die dir gleichen, ziehn.
Das Schrecken geht voran; ihm folgen Ruhm und Ehre:
    Du winkst, und Preußens Feinde fliehn.

Dich zählt die Nachwelt dann in jene Helden=Reihen,
    Durch die der Adler Palmen brach.
Die Dichter fingen dich, wofern sie sich nicht scheuen;
    Denn wer singt gern Virgilen nach?

Indessen bilde hier die jungen Martis Söhne
    Zu Helden, Deiner, Friedrichs werth;
Doch Kleist! vergiß nicht ganz die zauberischen Töne,
    Die Dich Melpomene gelehrt.

Zu den Abendgesellschaften bey Kleist fand sich oft ein junger Edelmann ein, Herr von Brawe, bekannt durch sein Trauerspiel, der Freygeist, und durch seinen frühen Tod. Dieser war ein eifriger Anhänger von Crusius, ohne dessen philosophische Behauptungen immer zu verstehen. Je angelegentlicher er sie verfocht, um desto tiefer verwickelte ihn Lessing in Widerspruch, <Seite 46:> und es war bisweilen nöthig, daß Kleist und Weiße die philosophischen Debatten durch witzige Einfälle endigten. Im Junius 1758 rückte Kleist mit seinem Bataillon zur Prinz Heinrichschen Armee. So lange er noch in Sachsen war, wechselte er noch mit Weißen Briefe. Sie sahen sich zum letztenmale in Chemnitz, wo Kleist mit seinem Regimente durchmarschirte. Vorher besuchte dieser Leipzig noch einmal von Zwickau aus. Clodius, welcher sich nach seinen Universitätsjahren dort aufhielt, begleitete ihn wie sein Schatten, und lieferte über die poetischen Arbeiten Kleist's treue Berichte an Weißen. Lessing war wenig Tage vorher, ehe Kleist aus Leipzig ausrückte, nach Berlin zurückgegangen. – In der Zeit dieser freundschaftlichen Verbindung und nicht ohne Mitwirken derselben hatte Weiße seine scherzhaften Lieder gesammelt. Sie kamen zuerst mit Anfang des Jahres 1758 in einem kleinen Octavbändchen in der Weidmannischen Buchhandlung heraus. Der Verfasser hatte Ursache, mit der Aufnahme, welche sie von dem Publico erhielten, sehr zufrieden zu seyn. Sie wurden häufig von guten Tonkünstlern in Musik gesetzt <Seite 47:> und erhielten im kurzen verschiedne Auflagen, in denen der Verfasser die Kritiken seiner Freunde treulich benutzte. Von der günstigen Aufnahme dieser Lieder bey ihrer ersten Erscheinung zeuget eine Recension im vierten Bande der Bibliothek der schönen Wissenschaften, einem kritischen Journale, das seit 1757 von Nicolai und Mendelssohn herausgegeben, und dessen Abdruck in Leipzig durch Lessing besorgt ward.

Dieses Journals geschieht hier absichtlich Erwähnung, weil es einen doppelten, sehr bedeutenden Einfluß auf Weißens litterärische Thätigkeit bekommen hat. Mit der Ankündigung desselben im Jahr 1756 verbanden die damals unbekannten Herausgeber die Aussetzung eines Preißes von 50 Thlr. auf das beste Trauerspiel. Weiße ermunterte seine jüngern Freunde, die Herrn von Cronegk und von Brawe, deren große Talente für das tragische Theater er kannte, sich um diesen Preis zu bewerben. Es geschah von beyden mit glücklichem Erfolge, dessen sie sich aber unglücklicher Weise wenig erfreuen konnten. Der Baron von Cronegk schickte den Codrus ein, welcher den Preis wirklich erhielt. Die <Seite 48:> Bekanntmachung aber, welche erst im Januar 1758 erfolgte, fand ihn nicht mehr lebend. Der Hr. von Brawe, ein junger Mann von ungemein viel Dichtertalent, von einem trefflichen Herzen und von einer für sein Alter, (er war 18 Jahr,) bewundernswürdigen Gelehrsamkeit, erfuhr zwar noch, daß man sein eingeschicktes Trauerspiel, den Freygeist, dem Codrus an die Seite gesetzt habe; aber zwey Monate darauf verlor Deutschland diesen vielversprechenden tragischen Dichter, in welchem Kleist einen deutschen Corneille voraussah. Er starb bey einem Besuch seines Vaters in Dresden.

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