Küttner, Karl August: Joachim Wilhelm von Brawe. In: Charaktere teutscher Dichter und Prosaisten. Von Kaiser Karl, dem Großen, bis aufs Jahr 1780. Erster Band. Berlin: Christian Friedrich Voß und Sohn 1781. S. 305-306.
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Joachim Wilhelm von Brawe.
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Brawe's tragisches Genie blühte kaum auf zu Früchten der edelsten Art, als schon ein früher Tod ihn wegraffte. Nach den geistreichen Proben, mit denen der Jüngling auftrat, schien sein Verlust unersetzlich: so viel starke Poesie des Styls, so viel erhabne Sprache der Leidenschaften, solche Neuheit und Interesse bezeichneten seine Trauerspiele. Der Freygeist sowohl, als sein Brutus, haben Eigenheiten des Plans, der Behandlung und des Dialogs, die nur ein Geist von rascher Jugendkraft trifft und wagt, und die Meisterhand ausbildet. Im Brutus beson-
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ders webt hoher Freyheitssinn, stoischer Heroismus, römischer Gang und Ton. Dazu kömmt das schauderhafte Rührende einiger Situationen, die starke Charakterzeichnung und der Fluß der harmonischen Jamben, die er im teutschen Trauerspiele fast zuerst wagte. Es ist Fehler des Alters und des jugendlichen ausströmenden Ueberflusses, daß er Bilder, Beywörter und Redefiguren zu viel häuft, daß er vor den handelnden Personen oft vorredet, daß er zu sichtbar nach hohen Worten jagt und überhaupt die tragischheroische Sprache mit der epischen verwechselt. Die Kunst des wiederholenden Nachdenkens und der kaltblütigen Befeilung achtete der feurige Jüngling nicht, und starb, ehe er sie schätzen und ausüben lernte.
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Geboren 1738 zu Weissenfels, starb 1758, als er eben seine akademische Studien zurückgelegt hatte, zu Dresden. Seine zwey hinterlaßne Trauerspiele hat Lessing einige Zeit nach seinem Ableben herausgegeben.
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