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Schmid, Christian Heinrich: Joachim Wilhelm von Brawe. In: Nekrolog oder Nachrichten von dem Leben und den Schriften der vornehmsten verstorbenen teutschen Dichter. Erster Band. Berlin: Mylius 1785. S. 371-384.

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XXII.

Joachim Wilhelm von Brawe.

Joachim Wilhelm von Brawe ward den vierten Februar 1738 zu Weissenfels gebohren. Sein Vater war geheimer Kammerrath anfangs in Weissenfelsischen, dann in Kursächsischen Diensten, seine Mutter eine gebohrne von Hessberg. Auf der Fürstenschule Schulpforte gewann er die Liebe zur Gelehrsamkeit, die ihn auch auf der Universität begeisterte. Er versäumte keine Gelegenheit sich eine Menge nützlicher Kenntnisse zu erwerben, und man konnte ihn zu den frühzeitigen Gelehrten rechnen. Die Alten liebte er mit ausserordentlichem Enthusiasmus so las er z.E. den Homer siebzehnmal hintereinander, doch nur in der Uebersetzung, weil er der griechischen Sprache nicht mächtig war. Seine Einsichten, seine Lebhaftigkeit, sein angenehmer Umgang, und seine guten Sitten erwarben ihm, als er zu Leipzig studierte, die Freundschaft der Herren Lessing, Kleist, Weiße, und Gellert, die seine natürliche Neigung zu dramatischen Arbeiten noch <Seite 372:> mehr zu bestärken suchten. Herr Weiße war es auch, der ihn antrieb, mit um den von Herrn Nikolai auf das beste Trauerspiel ausgesetzten Preis zu streiten. Er sandte ein bürgerliches Trauerspiel in Prosa und fünf Aufzügen, der Freigeist, ein, das auch nachher mit dem Kodrus als ein Anhang zu der Bibliothek der schönen Wissenschaften 1758 abgedruckt wurde. Daß Brawe den Freigeist zum Stoffe eines Trauerspiels wählte, geschah aus eifriger Liebe für die Religion. Wirklich waren auch die tragischen Folgen von der Verachtung gegen die Religion zuvor noch nicht auf der Bühne gezeigt worden. Der Freigeist, der eine schickliche Hauptperson eines Trauerspiels seyn soll, muß mehr ein Unglücklicher, als ein Bösewicht, seyn. Das erstere ist auch wirklich hier ein gewisser Klerdon, dem ein Ungeheuer, das er für seinen Freund hält, alle Vorzüge, und selbst die Rechtschaffenheit misgönnt. Hierzu kömmt, daß Klerdon, und sein Verführer Henley Nebenbuhler werden, und daß jener siegt. Henley's Rache ist nun die grausamste, er raubt seinem Freunde nach und nach die Tugend, er verleitet ihn, seinen Vater in die gröste Dürftigkeit zu setzen, er entzweit <Seite 373:> ihn mit seinem besten Freunde, seinem Schwager Granville, und seiner Frau Amalia. Als ein erklärter Bösewicht flüchtet endlich Klerdon an einen unbekannten Ort, und überläßt sich seiner Schwermuth. Granville kömmt mit Amalien, seinen Freund zu retten, und bringt ihm die Nachricht von dem Tode seines Vaters. Klerdon wird gerührt, aber Henley vernichtet bald die guten Eindrücke wieder, die Granvillens Erzählung gemacht hatte, endlich verhetzt er ihn allmählig so sehr gegen Granvillen, daß dieser von Henley, jedoch ausser dem Theater, ermordet wird. Klerdon wird hierauf von seinem Gewissen so sehr beunruhigt, daß er es Amalien selbst entdeckt, er habe ihren Bruder ermordet. Er deklamirt mehrere Scenen hindurch, und ist zweifelhaft, ob er sich selbst erstechen soll, bis Henley triumphirend kommt; nun ersticht Klerdon den Henley, und dann sich selbst. Dieser Plan hat einige Aehnlichkeit mit dem Plane von Young's Trauerspiele, die Rache. Henley ist hier, was bey Young der Zanga, Klerdon, was Don Alonzo, und Granville, was Don Carlos ist. Henley ist weniger beleidigt, als Zanga, seine Eifersucht ist, wenigstens im ersten <Seite 374:> Ursprung, edler, seine Rache grausamer. Ueberhaupt ist Henley ein zu schwarzer Karakter, er lechzt nach Rache, nicht allein der Körper, sondern auch die Seele seines Feindes soll ein Opfer seiner Rache werden, er will ihn ewig unglücklich machen. Eben daher aber entsteht ein großer Widerspruch in seinem Karakter, er ist Verächter der Religion, und hält es doch für die gröste Rache, die er an seinem Feinde ausüben kann, wenn er ihn der ewigen Glückseeligkeit beraubt, andrer Widersprüche zu geschweigen, die sein Herz zu einem Rätzel machen. Klerdon ist im Kontrast mit Henley eine allzuschwache Seele, und man muß ihn oft mehr verachten, als bedauern. Sein aufwachendes Gewissen kann durch eine einzige Spötterey des Henley zum Stillschweigen gebracht werden. Henley sagt es einmal im Vorbeigehn, daß der Ehrgeitz Klerdon's Hauptleidenschaft sey, aber weder diese, noch seine Liebe zu Amalien ist sonderlich in Handlung gesetzt. Alle Handlungen des Klerdon würden sich erklären lassen, wenn man auch seine Freigeisterey bey Seite setzte. Sonst hätte sich aus einem solchen vermischten Karakter etwas machen lassen, wenn er nur richtig beobachtet worden wäre. <Seite 375:> Granville soll mit den beiden Freigeistern kontrastiren, und ist deswegen zu einem höchst vollkommnen Karakter gemacht, aber auch dieser Karakter nicht immer richtig gezeichnet. Amalia ist eine müßige Person, die nur um einer einzigen Scene willen eingeflochten worden, die weder durch Handlungen, noch Karakter hervorsticht, und durch ihre Schwatzhaftigkeit beschwerlich wird. Die beiden ersten Aufzüge schleichen träge dahin, und sind fast nur mit der Exposition erfüllt. Sehr unwahrscheinlich ist im vierten Aufzug die lange Erzählung, die Klerdon kurz nach vollbrachtem Mord machen kann. Wäre dieser Mord auf der Bühne geschehen, so wären wir auch von den langen Reden des sterbenden Granville befreit geblieben. Oft scheint die Handlung ganz stille zu stehn. Der Plan ist nicht ganz arm an guten Situationen, allein er könnte noch reicher daran seyn, oder wenigstens sollten die angelegten Situationen besser bearbeitet seyn. Längst wünschte der Leser den schwarzen Henley vom Erdboden vertilgt zu sehn, aber dies hätte durch die Obrigkeit, oder durch einen Freund von Klerdon geschehen sollen. So aber muß Klerdon, da er schon anfängt, seine Verbrechen zu bereuen, <Seite 376:> sich eines neuen schuldig machen, und nun erfodert es freilich die dramatische Gerechtigkeit, daß auch Klerdon stirbt, der wegen des noch übrigen Funken von Rechtschaffenheit das Leben, und für seine bisherigen Vergehungen nur die Strafe des folternden Gewissens verdient hätte. Das Langweiligste dieses Trauerspiels ist die Sprache. Sie ist zwar nie unedel, aber desto öfter schleppend, gedehnt, geschwätzig, unkarakteristisch, deklamatorisch, monotonisch. Der Verfasser war mehr zum poetischen, als prosaischen Dialog gebohren, daher artet sein Dialog auch hier oft in poetische Prosa aus, und in dieser hört man die tragischen Helden noch ungerner haranguiren, als in wirklichen Versen. Mehr wegen der Sprache, als wegen des ernsthaften Innhalts urtheilten die Kunstrichter, daß dieses Stück sich besser lesen, als vorstellen lassen müste, wie es dann auch nur selten gespielt worden. Sonst machte es bey seiner ersten Erscheinung vieles Aufsehen, bey einigen wegen seines moralischen Innhalts, bey einigen, weil es die kleine Zahl bürgerlicher Trauerspiele vermehrte, bey einigen wegen des damaligen großen Mangels an Originaltrauerspielen, bey einigen, weil es mit um den Preis gestritten hatte. <Seite 377:> Ehe noch Brawe die Entscheidung der Berliner Kunstrichter über seinen Freigeist erlebte, befeuerte ihn sein Enthusiasmus für die Bühne zu einem neuen Unternehmen, und man muß über den ungleich höhern Flug erstaunen, den seine Muse in einem neuen Trauerspiel nahm. Man kennt diesen Dichter gar nicht, wenn man ihn nicht aus seinem Brutus kennt. Er gieng von dem bürgerlichen Trauerspiel zu dem heroischen über, das man dazumal noch für das non plus ultra der Melpomene hielt. Die meisten tragischen Dichter, sagt Johnson in der Vorrede zum Shakespear, haben die Bühne mit Karakteren bevölkert, dergleichen man im Leben nie gesehn, haben sie eine Sprache reden lassen, dergleichen man sonst nicht hört, haben sie von Dingen sprechen lassen, die im gewöhnlichen Umgang gar nicht vorkommen. Durch überspannte Karaktere, durch romanhafte Tugenden und Laster, durch übermenschliche Thaten suchen sie, wie die alten Romanenschreiber, durch Riesen oder Zwerge Aufmerksamkeit zu erregen. Nichts konnte aber freilich mehr die Phantasie eines so feurigen Jünglings, wie Brawe, reitzen, und man muß es ihm also verzeihn, daß er sich einen solchen Stoicker in Grundsätzen und Handlungen, wie Brutus war, zum <Seite 378:> Helden wählte, zumal da wir den unnatürlichen Karakter desselben über den schönen Situationen vergessen, die dieses Stück vor dem Freigeiste voraus hat. Brutus soll nach dem Zwecke des Dichters durch seine Vaterlandsliebe intereßiren. Aber zu geschweigen, daß der römische Patriotismus, ganz anders, als der griechische, zu sehr an Herrschbegierde, Ehrsucht, und Großsprecherey gränzt, so werden wir durch die stoische Apathie, womit sich Brutus aufopfert, mehr betäubt, als gerührt. Die Verläugnung aller natürlichen Empfindungen, und selbst der väterlichen Zärtlichkeit, die schnöde Verachtung des Friedens, die Wut gegen die Feinde, der stoische Selbstmord machen uns gegen den Brutus unempfindlich. Ja, der große Mann scheint oft in den Prahler zu verschwinden, wie er dann noch sterbend eine lange prächtige Harangue hält. Brawe hat unstreitig den Kato des Addison dabey vor Augen gehabt, und man müste es an ihm loben, daß er sich einen Engländer zum Muster vorgestellt, wenn diese Nation kein größeres tragisches Genie besäße. Darinnen unterscheidet sich Brutus von Kato, daß er die Götter um Verzeihung bittet, daß er seinen Tod beschleunige. <Seite 379:> Aber ich zweifle, daß dies dem Karakter eines Stoikers angemessen sey, ob ich gleich sonst den stoischen Selbstmord für größre Feigheit, als Heldenmuth halte. So möchte ich es auch fast dem Brutus für Feigheit auslegen, wenn er, sobald es unglücklich geht, sich in sein Zelt zurückzieht, hier eine Zeitlang schwatzt, und sich dann wie ein Verzweifelnder in die Schlacht, und endlich in sein Schwerd stürzt. Marcius interessirt weit mehr, als Brutus, er, der den Brutus wegen seiner Tugenden liebt, ohne zu wissen, daß es sein Vater ist, und ob er ihn gleich immer vom Publius aufs häßlichste abschildern hört, der muthige feurige Jüngling, der für seinen vermeinten Vater den Publius alles thut, aber doch auch die Stimme der Natur hört, wenn ihm jener die unmenschlichsten Rathschläge giebt, der die unschuldige Maschine zu seines Vaters Verderben seyn muß, der alle andre Empfindungen dem kindlichen Gehorsam aufopfert, um – ein Vatermörder zu werden. Eifrig in der Freundschaft, zärtlich in der kindlichen Liebe, geräth er durch seine Tugenden auf Wege des Verderbens. Als ein biegsamer Jüngling läßt er sich erst zu einer List, und endlich zur <Seite 380:> grösten Verrätherey bereden. Endlich treibt ihn die Verzweiflung über das begangne Verbrechen, sich selbst zu ermorden. Aber, da Brutus sich selbst entleibt hat, so wäre zu wünschen, daß Marcius am Leben bliebe, oder, da sein Selbstmord rasche Uebereilung, nicht stoische Entschliessung ist, daß er vorher weniger deklamirte. Marcius gleicht dem Juba des Addison, und Publius dem Sempronius. Publius ist ein Ungeheuer. Publius, der den Feind nicht seiner Person, sondern seines Staates so sehr haßt, daß er dessen Sohn im Hayn, den Furien geweiht, seinem Vater den Untergang schwören läßt, der nach blutiger Rache dürstet, und des Vaters Missethat noch am Sohne rächt, der Rom selbst den Untergang schwört, und den Stolz der Römer demüthigen will, um seinem eignen unermeßlichen Stolze ein Opfer zu bringen, der die ganze Natur aufruft, seine Leidenschaft zu befriedigen, der es dem Brutus selbst entdeckt, daß sein Sohn noch lebt, und daß sein Leben der Preis des Friedens seyn soll, der aus dem Sohn ein Werkzeug von dem Verderben des Vaters macht, der sterbend noch dem Brutus seinen schwarzen Plan frohlockend erzählt, <Seite 381:> dieser Publius ist ein abscheulicher Karakter. Ausser ihm, Brutus, und Marcius sind die übrigen drey Personen nur schwache Nebenrollen. Uebrigens sind die Karaktere hier ungleich besser ausgeführt, als im Freigeist, die Situationen ungleich rührender, und ungleich besser benutzt, als dort. Publius, der Friedensvorschläge thut, um sich mit dem Marcius wider den Brutus verschwören zu können, die Wahl, die Marcius hat, gegen seinen Vater, oder seinen Freund zu kämpfen, die Wahl des Brutus zwischen einem fürchterlichen Krieg, und einen schimpflichen Frieden. Der Kampf der väterlichen Liebe mit der Liebe des Vaterlands, die Wahl zwischen Meineid, Vatermord, und den Untergang des Freundes, die Scene zwischen dem Brutus, dem man den Marcius verdächtig gemacht hat, und den Marcius, der sich schuldig weiß, und sich gern für schuldig erklärte. Brutus durch des Marcius Verrätherey besiegt, Brutus durch den sterbenden Publius benachrichtigt, daß der Verräther sein Sohn sey, Marcius voller Verzweiflung, Brutus, der in sein Schwerd fällt, indem ihn sein Sohn ermorden wollte, und ihm selbst die Größe seines Verbrechens entdeckt, des ster- <Seite 382:> benden Brutus Zusammenkunft mit seinem Sohne, Marcius voller Reu, der seinem Vater durch seine Gegenwart das Herz zerreißt, ihn bald reitzt, in Donnern zu reden, bald ihn thränend zu umarmen, der sterbende Brutus selbst vom Anton bewundert, Marcius, der sich selbst ersticht – wie viel rührende Auftritte, wie schön angelegt, wie vortreflich ausgeführt! Ein grosser Vorzug dieses Stücks liegt in der Sprache, nicht blos in glücklicher Versifikation, sondern in der starken und blühenden Poesie des Stils. Erhabne Gesinnungen, die im ganzen Trauerspiele herrschen, erfodern erhabne Sprache, und Brawens Stil entspricht ihnen vollkommen. Er hatte sich epische Helden gewählt, und so ist auch der Ausdruck episch. Heroismus beseelt das ganze Stück, und die Schreibart ist so heroisch, daß sie oft nur dialogirte Epopee zu seyn scheint. Alle seine Personen sprechen glänzend, nachdrücklich, gedrängt, und beredt. Man sieht aus vielen Stellen, daß ihm die Sprache der Affecten nicht unbekannt war, aber davon scheint er nicht überzeugt gewesen zu seyn, daß das Pathos mehr in der Handlung, als in der Sprache liege, daß der Dolch der Melpomene mehr Wirkung thue, <Seite 383:> als ihr Kothurn. Brawens Jugend müssen wie es verzeihen, wenn er zuweilen in geschmückten Reden überströmt, die ausser dem Trauerspiele sehr schön seyn würden, wenn er zuweilen mehr stolzirt, als einen männlichen Schritt fortgeht, mehr schimmert, als erwärmt, mehr das Ohr, als das Herz der Zuschauer erschüttert. Kühnheit des Ausdrucks ist immer Ruhm für ihn, da zu den damaligen Zeiten mehr Muth dazu erfodert wurde, als jetzt, die feierliche Sprache wird durch die harmonischen Jamben noch feierlicher, die er auch zuerst unter uns versucht hat, ehe sie noch den tragischen Dichtern von unsern Kunstrichtern waren empfohlen worden. Als 1770 Brutus zu Wien vorgestellt wurde, schrieb Herr von Sonnenfels eine freimüthige Erinnerung an die teutsche Schaubühne über die Vorstellung des Brutus, wo auch manche seine Bemerkung über das Stück selbst gemacht wurde.

Dieses Trauerspiel beweißt vorzüglich, daß Brawe mehr geleistet hat, als der fähigste Kopf vor dem zwanzigsten Jahr leisten konnte. In einem solchen Alter sich zu der Erhabenheit des Trauerspiels emporschwingen, so glückliche Erfindungen machen, die Liebe nicht allein nicht als <Seite 384:> Triebfeder des Trauerspiels brauchen, sondern sogar alle weiblichen Rollen daraus verbannen, die rührendsten Situationen anlegen, sich selbst eine tragische Sprache schaffen – dies alles leistete ein Jüngling noch vor seinem zwanzigsten Jahre. Der ungenannte Herausgeber seiner Werke (Trauerspiele des Herrn J. W. von Brawe, Berlin, 1768) hat daher Recht, wenn er ausruft: "Was hätte ein feuriger, und so fleißiger Dichter unsrer Bühne nicht für Ehre machen können, wenn er länger gelebt hätte!"

Aber 1758, als er eben seine akademischen Studien vollenden, und die Stelle eines Regierungsrathes zu Merseburg antreten wollte, überfielen ihn zu Dresden, wo er seine Eltern besuchte, die Blattern. Sie konnten nicht zum Ausbruche kommen, und so starb er den siebenten April an einer hitzigen Krankheit. Die Hofnung, die die Nation von seinem Genie hegte, diente also nur dazu, seinen Verlust schmerzlicher zu machen.


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