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Friedrich Nicolai: An Lessing. 2.3.1757. In: Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Band 19. Hg. von Karl Lachmann. Dritte, aufs neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker. Leipzig: Göschen 1904. S. 67-68.

<Seite 67:>

Berlin, d. 2. März 1757.

Liebster Freund,

Sie müssen nicht böse werden, daß ich Ihnen nicht mit erster Post geantwortet habe. Ich lebe, wie die Schweizer sagen, ein sehr unbelebtes Leben. Morgen ist meines Bruders Hochzeit. Dies könnte Ihnen alles gesagt seyn; aber ich könnte noch weit mehr sagen, wenn ich Ihnen alles melden wollte, was mich verhindert hat. Doch genug hiervon. Ich bin Ihnen nebst Hr. Moses für Ihre gehabte Bemühung wegen der Bibliothek ungemein verbunden. Herr Dyk ist ein braver Mann.

Ich habe Hoffnung, aus Frankreich von dem Chevalier d'Arcq viele nützliche Neuigkeiten zur Bibliothek, und auch schon einen Weg im Vorschlag, aus England die neuesten, sonderlich theatralischen Neuigkeiten zu erhalten.

Ich sehe den Aushängebogen von meiner Abhandlung vom Trauerspiele mit großem Verlangen entgegen, weil ich Ihre Anmerkungen dabey finden werde. Sie müssen sie ganz frei von der Leber wegsagen. Seyn Sie versichert, daß, ob ich mich gleich von dem Hauptsatze noch überzeugt halte, ich dennoch mit der Abhandlung selbst nichts weniger als zufrieden bin. Ihre Anmerkungen über das bürgerliche Trauerspiel müssen Sie mir auch nicht vorenthalten. Auch wegen Herrn Brückners Aktion erwarte ich noch eine Antwort.

Ich habe noch nicht Zeit gehabt, den Freigeist mit Muße zu lesen. Herr Moses hat ihn gelesen, wie man ihn lesen soll, und Sie können denken, ob er uns gefallen hat, da wir zuweilen auf den Argwohn gekommen sind, daß der junge Herr mit Ihrem Kalbe gepflügt habe. Hier bekommen Sie auch noch das Trauerspiel Codrus, welches zum Preise eingelaufen ist. Sie werden sehen, daß es viel Schönes, aber <Seite 68:> auch viel Schlechtes enthält. Die hinten angehängte Kritik taugt gar nichts. Ich vermuthe aus einigen Anzeigen, daß der Herr Baron v. Cronegk in Anspach der Verfasser sey. Sie müssen es lesen, uns ihr Urtheil pünktlich schreiben, und es wiedersenden.

Sobald ich ein wenig Zeit habe, will ich Ihre Briefe aufsuchen, und Herr Moses wird ein Gleiches thun.

Sie müssen nach Berlin kommen, ehe Sie wieder verreisen, es sey auch auf was Art es sey. Wenn es nicht anders ist, so machen Sie es wie Rabelais: geben Sie sich für einen Staatsgefangenen aus, und lassen Sie sich unter einer Eskorte nach Berlin bringen. Ich bin

ganz der Ihrige,
Fr. Nicolai.


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