Lessing: An Friedrich Nicolai und Moses Mendelssohn. 29.3.1757. In: Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Band 17. Hg. von Karl Lachmann. Dritte, aufs neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker. Leipzig: Göschen 1904. S. 95-97.
|
<Seite 95:>
61. An Friedrich Nicolai und Moses Mendelssohn.
Leipzig, d. 29. März 1757.
Liebster Freund,
Mein ewiges Stillschweigen, wie es Herr Moses nennt, – von drey Wochen, war durchaus nöthig, um meiner alten Weise wieder einmal Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Das ist meine ganze Entschuldigung; und vielleicht sagt sie noch weniger, als sie zu sagen scheint.
Mit der Bibliothek hat alles seine Richtigkeit, nur daß es bis jetzt noch ein wenig langsam damit gehet. Hier ist unterdessen der erste Bogen. Das Portrait des Herrn von Kleist wird bey Bernigeroth gestochen. Aber wissen Sie denn noch nicht in Berlin, daß das Original schon länger als acht Tage bey uns in Leipzig ist? Er ist als Major zu dem hier liegenden Hausenschen Infanterieregimente versetzt worden. Jetzt ist der gute Mann krank, und muß schon seit drey Tagen das Bette hüten; welches mich um so viel mehr bewegt, ihn täglich zu besuchen. Seine Bescheidenheit scheint nicht so recht damit zufrieden zu seyn, daß er in Kupfer gestochen werden soll. Ein Mann, sagte er zu mir, der mit genauer Noth fünf Bogen geschrieben hat. – Wenn es auf die Bogen ankömmt, habe ich ihm geantwortet, so verdient es freylich Schönaich weit eher.
Auch das wissen Sie vielleicht noch nicht, daß Herr Ewald hier durch gegangen ist; und zwar auf gutes Glück nach England. Er hat in Dresden jemanden gefunden, der ihn frey mit dahin nimmt, und er hofft, daß es ihm nicht fehlen werde, einen jungen reichen Engländer in London zu finden, mit welchem er auf Reisen gehen könne. Ich für mein Theil glaube, daß viel Unbedachtsamkeit bey diesem Unternehmen ist. Aber muß man nicht oft unbedachtsam handeln, wenn man das Glück anreizen will, etwas für uns zu thun?
Bey Herrn Ewald hatte ich bereits ihr kleines Gedicht auf die Verbindung Ihres Herrn Bruders (welchem ich hiermit mein vielfältiges Compliment und meinen herzlichen Glückwunsch abstatte) gelesen, und mit vielem Vergnügen gelesen. Wenn Sie mehr solche Gedichte machen sollten, so würde man Sie den poetischen Achselträger nennen müssen.
Ihre Nachricht von der in Berlin gemachten sinnreichen Entdeckung,
<Seite 96:>
daß ich der Verfasser des Schreibens an einen Buchdruckergesellen sey, hat mich nichts weniger als belustiget. Vor einigen Wochen gab man mir hier Schuld, daß ich das Schreiben eines Großvaters etc. gemacht habe; und da dieses Schreiben wider das Sächsische Interesse ist, so bin ich dadurch bey dem patriotischen Theile meiner Landsleute eben nicht in den besten Ruf gekommen. Da man mich nun auch in Berlin für fähig halten kann, etwas wider das Preußische Interesse zu schreiben, so muß ich gegen mich selbst auf den Verdacht gerathen, daß ich entweder einer der unpartheyischsten Menschen von der Welt, oder ein grausamer Sophist bin.
Ich werde für jetzt hier schließen, und mir Ihrer Erlaubniß auf dem andern Blatte noch ein wenig mit unserm Moses reden. Ich bin
ganz der Ihrige,
Lessing.
Mein liebster Moses,
Ich bin mit Ihrem Betragen gar nicht zufrieden. Wenn ich ein schlechter Bezahler bin, müssen Sie deswegen ein unbarmherziger Eintreiber seyn? Eben da ich an einem ordentlichen Buche an Sie arbeite, (denn mit einem Briefe sind Sie leider nicht zufrieden) machen Sie mir Vorwürfe der Trägheit, die Sie doch lieber durch Ihr eignes fleißigeres Schreiben beschämen, als ohne selbst zu schreiben verdammen sollten. Denn Sie werden doch wohl nicht verlangen, daß ich ihre Versicherung: Sie hätten mir tausenderley Sachen zu schreiben, wollten mir aber von allen eher nichts melden, als bis ich wieder geschrieben hätte; für ein förmliches Schreiben halten soll?
Das ordentliche Buch an Sie wird die Folgen enthalten, die ich aus meinem letzt gedachten Grundsatze ziehen zu dürfen glaube. Ich wundere mich, daß Sie mir wenigstens die Folgen nicht zugeben wollen, die wider Ihre Lehre von der Illusion daraus fließen. Denn, wenn aus diesem bloßen Grundsatze das Vergnügen an nachgeahmten Unvollkommenheiten zu erklären ist, so sehe ich nicht, warum man das Vergnügen der Illusion erst zu Hülfe rufen müsse.
Weil Sie mahnen, so will ich nun auch mahnen. Wo bleibt Ihre fernere Beurtheilung des Trauerspiels, der Freygeist? Sie werden
<Seite 97:>
antworten: eben da, wo mein Urtheil über den Codrus bleibe. Das wird künftige Woche kommen.
Von wem habe ich denn die Widerlegung meiner paradoxen Gedanken vom Mitleiden zu erwarten? Von Ihnen, oder von Hrn. Nicolai? Und warum heißen es denn paradoxe Gedanken, da es Sie schon, wo ich nicht irre, einmal sie wahre Gedanken zu nennen beliebt hat?
Sie schreiben zwar, daß Sie mir meine Briefe, in welchen ich etwas von dem Trauerspiele geschrieben, wieder schickten; aber ich habe keine bekommen. Auch Herr Nicolai hat mir noch keine zurück geschickt. Ich wiederhole also meine Bitte.
Leben Sie unterdessen wohl, und hören Sie nicht auf zu lieben
Ihren beständigen Freund,
Lessing.
|