Brawe, Joachim Wilhelm von: An Christian Fürchtegott Gellert. 31.7.1757. In: C. F. Gellerts Briefwechsel. Hg. von John F. Reynolds. Band II (1756-1759). Berlin, New York: de Gruyter 1987. S. 124-125.
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364. Von Joachim Wilhelm von Brawe.
Leipzig, den 31. Juli 1757.
Hochedelgebohrner Herr,
Hochzuehrender Herr Professor,
Ich würde es vielleicht niemahls haben wagen können, wenn nicht ein auserordentlicher Zufall meine Schüchternheit endlich überwunden hätte, an Sie zu schreiben. Machen Sie sich zu einer recht wunderbahren Geschichte gefast – ich bin zu voll davon, bey dem Eingang mich länger zu verweilen. Ich ging gestern auf ihren Wege nach Schönefeld spatzieren; er ist jezt für mich der angenehmste, da mir alles darauf von Ihnen zu reden scheint; und könnte ich schöner unterhalten werden?
Ich überdachte das Glück, das ich genoß, einen Dichter so genau und persönlich zu kennen, den viele in der künftigen Nachwelt auch nur einmal gesehn zu haben, vergeblich wünschen werden.
Das Entzücken, in das ich hierüber gerieth, machte, daß ich unvermerkt die Aufmerksamkeit auf meinen Weg verlohr; ich schweifte in einen von den büschichten Seitengängen aus, ohne lange Zeit es gewahr zu werden. Eine plötzliche und grose Veränderung weckte mich aus dieser Trunkenheit. Ich sahe auf einmal überal um mich Lenz und Blumen aufblühen, die Lüfte wurden ganz Harmonie, der Tag leuchtete stärker – ich merkte, daß es übernatürlich zuging. Vorsichtig wollte ich die Flucht nehmen, allein jezt fand ich, daß ich mich verirret. Wie groß war nicht meine Angst; doch auf einmal kehrte der Muth in mich wieder zurück – vielleicht das übernatürlichste bey der ganzen Sache! – Ein Chor von Gratien und Halbgöttern schien in der Ferne auf mich zuzukommen; als sie sich genähert erkannte ich sie vor Menschen. Es war ein gemischter Haufe von Jünglingen und Mädgen. Jede Schöne glich Ihrer Callisthe, und hätte der Himmel jeder einen aderlaßenden Arzt zum Liebhaber gegeben, ich glaube jede wäre von ihren schüchternen Liebhaber umgebracht worden. Sie waren alle in blendendes Weiß gekleidet. Neidische Weste kämpften in ihren braunen mit Blumen durchflochtnen Locken; jede Locke verdiente unter den Sternen, und in Popens Gedichten zu prangen. Und die Jünglinge? – o die werden von mir keinen Lobspruch bekommen; kein Jüngling pflegt den andern wegen seiner Schönheit zu loben. Zweene der liebenswürdigsten Mädgen trugen ein Bild, dem die andern beständig Blumen zuwarfen. Die Neugier lockte mich hinzu. Gefällige Züge – ein gewißes unschuldig satirisches Lächeln – mein Herz, das ganz in Entzücken zerfloß, verriethen mir bald, daß es das Ihrige war. Ich bat eine von den beiden Schönen mir alles dieses zu erklären. Fremdling, sagte sie, der, deßen Bild du hier siehst, war ein Dichter, und lebte vor ohngefehr hundert Jahren, noch zu den bösen und kriegerischen Zeiten. Seine Gedichte halfen das goldne Welt-Alter wiederherstellen. Jährlich feyern wir deshalber seinem Gedächtniße ein Fest. Wir nennen es das Gellertsche. Dieser Lorberhayn dort verbirgt sein Grab. So sehr ehren sie, fing ich an, die Dichter von diesen Zeiten? – meine Eitelkeit ward hier auf einmal rege – vermuthlich geniesen auch andre, die damahls lebten, dieses Vorzugs! Ich
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machte mich schon fertig, recht förmlich bescheiden zu erröthen, allein ich war deßen überhoben. Können wir, versetzte sie ungedultig, an andre denken, wenn wir mit Gellerten beschäftigt sind. Entzückende Harmonien unterbrachen unser Gespräch. Man sang Lobgedichte auf Sie ab, die ihres Stoffs nicht unwürdig waren. Das Ende eines einzigen fällt mir noch bey, ob es gleich vielleicht nicht das schönste war. Es hies ohnfehr so:
Dein sanftbezauberndes Lied entfaltet die Stirne des Greisen,
Verschönert blüht der Jüngling, fühlt er dich;
Du raubst die Schönen dem Putz, dem düstern Tiefsinn die Weisen;
Ist wo ein Herz, das deiner Lust nicht wich?
Ein groser Lobspruch vor einem Dichter, selbst in goldnen Jahrhundert, wenn er mächtig genug ist, die Schönen von Putz abzuziehen! Sie näherten sich indeßen immer mehr dem Lorbeerhayn; ich folgte ihnen, allein ein schimmernd Gewölke entführte sie auf einmal aus meinem Gesichte. Ich war noch voll Erstaunen darüber, als ich eine majestätische Gestalt vor mir erblickte. Sie nannte sich; es war der Geist der Dichtkunst. Ich brauche ihn nicht zu beschreiben; es ist Ihr Vertrauter. Du siehst, sprache er, was vor ein glänzend Geschick ich einem meiner vornehmsten Lieblinge aufbehalten habe. Melde es ihm. Ich habe Dich vor andern zu diesen prophezeihenden Gesicht erwählt, weil ich niemand weiß, den Gellerts Glück zärtlicher rührt als Dich – Er verschwand.
So viel von Erscheinungen. Nun muß ich auch auf Wirklichkeiten kommen.
Mein erster Wunsch ist jezt, daß Ihre Lauchstädter Cur einen recht glücklichen Erfolg haben möge, damit Ihr Gedächtniß-Fest so spät als möglich gefeyert werde. Das Grab wird darum nicht angenehmer, wenn es mit einem Lorbeer-Wald umgeben ist. – Ich habe die Ehre mit vorzüglicher Hochachtung zu verharren
Leipzig, den 31. Jul. 1757
Ew. Hochedelgeb.
gehorsamster Diener
Joachim Wilhelm von Brawe
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