Ewald von Kleist: Brief an Gleim. 5.5.1758. In: Ewald von Kleist's Werke. Hrsg. v. August Sauer. Zweiter Theil: Briefe von Kleist. Berlin: Gustav Hempel o. J. [ca. 1880]. S. 489-491.
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273. An Gleim.
(Ungedruckt. Original in Halberstadt.)
Mein liebster Freund,
Herr Lessing hat mich nun verlassen und ist mit Herrn Voß nach Berlin gegangen. Er wird Ihnen sogleich nach seiner Ankunft in Berlin schreiben. Ich habe mich in dem Jahre, das ich in Leipzig zugebracht, so an ihn gewöhnt und habe ihn so lieb, daß mir zu Muthe ist, als wenn er todt wäre, oder vielmehr, als wenn ich halb todt wäre. Das Beste dabei ist, daß ich nicht mehr lange hier zu bleiben hoffe. Sie hätten uns Beiden auch noch wol das große Vergnügen machen können, uns zu besuchen. Er hat sich Ihrentwegen noch einen Tag länger aufgehalten, und ist erst gestern früh von hier abgereist.
Leipzig gefällt mir nun gar nicht mehr, so schön es auch
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sonst ist. Ich habe nun zwar eine Menge Arbeit, aber nicht das geringste Vergnügen. Herr Gellert kommt erst auf Pfingsten vom Lande zurück, Herr v. Brawe ist todt und H. Weiße krank. Nun ist es Zeit, daß ich marschire. Es wird auch wol geschehen, sobald der Prinz Heinrich sein Corps campiren läßt, und sobald ein ander Regiment (vermuthlich eins aus Berlin) uns ablöst.
Leben Sie Wohl, mein allerliebster Gleim, und schreiben Sie mir doch nun fleißiger, als Sie nach unserer Zusammenkunft in Bernburg gethan! Ich bin lebenslang
Ihr
getreuster
Kleist.
Leipzig,
den 5. Mai 1758.
Herr Voß will auf Michael meine Verse zusammen wieder auflegen. Ich werde nun ein Autor beinahe von einem Alphabet werden. Ich habe fast Alles durch und durch, sehr viel, und ich glaube gut geändert, besonders die erste Scene im ›Seneca‹, die nicht dialogisch genug war. Herr Lessing hat das corrigirte Exemplar und wird die Correctur besorgen. Was sagen Sie zu beikommendem Stück?
[1]
Es sind verschiedne Lesarten darin; aber die Wahrheit zu sagen, ist noch keine nach meinem Sinne. Ihre Uebersetzung desselben Liedes
[2]
war viel besser, so viel ich mich erinnern kann. Haben Sie Herr Weißens Lieder
[3]
schon gesehen? Es sind viele artige darunter. An Herrn Beyer mein großes Compliment! Ich dachte, Herr Spahn, dem ich mich auch zu empfehlen bitte, sollte Herrn Lessingen malen, den ich gar zu gern gehabt hätte; allein Sie loser Mann haben meine Hoffnung getäuscht. Jetzo darf ich Sie wol noch weniger bitten, mich zu besuchen, da Sie zwei Freunde nicht haben besuchen wollen. Zwar blühen die Gärte jetzo ganz unvergleichlich, und es ist hier eine ganz paradiesische Gegend. Hinter jedem Garten sind große und trockne Wiesen voller Blumen und Alleen, die
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so schön sind, daß unsere Pferde von selbst anfangen würden, zu galoppiren, wenn wir darauf ritten, und ich bin noch gewiß 14 Tage hier. Bedenken Sie dieses!
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[1]
›Chloris. Nach dem Italienischen des Zappi.‹ Nr. 80; Bd. I, S. 123.
[2]
›Die Liebesgötter, nach Zappi.‹ Gleim's Werke, II, S. 366 f.
[3]
›Scherzhafte Lieder. Leipzig 1758.‹
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