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Lessing, Karl: An Gotthold Ephraim Lessing. 11.4.1768. In: Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Band 19. Hg. von Karl Lachmann. Dritte, aufs neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker. Leipzig: Göschen 1904. S. 251-252.

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227. Von Karl Lessing.

Berlin, den 11. April 1768.

Liebster Bruder,

Ich kann mir leicht vorstellen, daß Du auf Meils Vignetten mit Schmerzen wartest. Er ist aber einige Zeit krank gewesen, und hat sie nicht eher als heute fertig machen können. Sie folgen hierbey mit einem Briefe von ihm.

Von Deiner Dramaturgie sagen die Verehrer des Französischen Theaters, daß Du Dich an den größten Genies ihrer Nation versündigest. Ich für mein Theil sehe freylich nicht, warum die Verehrung bis zum Verschweigen der schwachen Seite gehen soll. Frage ich in meiner Einfalt, warum ein Deutscher einen Corneille oder Voltaire nicht tadeln darf; so antworten sie mir: es wären die größten Genies; denn ganz Frankreich erkenne sie dafür; und was ganz Frankreich, vornehmlich Paris, in Werken des Geschmacks glaube, das müsse ganz Europa nach glauben. Die Großen thäten es auch; nur der Mittelmann und der Pöbel blieben halsstarrig, und wollten selbst urtheilen.

Deine Minna wurde zehnmal ununterbrochen vor einem vollen Hause aufgeführt; und es wäre noch mehrmal geschehen, wenn nicht das letztemal der Prinz Heinrich, die Prinzessin Philippine und der Markgraf Heinrich zugegen gewesen wären. Aus Achtung gegen sie wurde das Stück nicht laut vom Parterre wieder verlangt. (Dieses Wiederfordern ist auch erst durch Dein Stück eingeführt worden.) Mein zerstreuter Döbbelin kündigte also das erste beste Stück an, das ihm einfiel: – den Bocksbeutel. Der Bocksbeutel auf die Minna! murrte man, und schimpfte den gekrönten Wachtmeister einen unwissenden Narren. Aber mit Unrecht; es war von Döbbelin weislich gehandelt. Er kennt die Großen, denen der Bocksbeutel ein sehr schönes Stück ist. Ich war sehr begierig, ob es <Seite 252:> da voll seyn würde. Ich kam, und fand im Parterre etliche zwanzig Personen, von denen ich als ein fleißiger Komödiengänger weiß, daß sie keinen bessern Erholungsort wissen, und bey einem albernen deutschen Stücke eben so gern gähnen, als bey einem französischen. Auf der Galerie befanden sich die Kenner und die Gelehrten. Sie wußten auf ein Haar, wenn der Schauspieler nicht recht Hamburgisch kauderwelschte. Auf vieles Verlangen wurde Minna wieder angekündigt und wieder dreymal hinter einander gespielt. Aber heute wird Romeo und Julie aufgeführt werden. Ich will mit meiner Vermuthung nicht voreilig seyn; vielleicht machen sie es besser, als ich glaube. Doch wehe dem Dichter, dessen Stück durch sie gewinnen soll!

Ramler hat eine Kantate (Pygmalion) verfertigt, und sie mir kürzlich vorgelesen; ich würde sie Dir abgeschrieben haben, wenn er nicht noch einige Kleinigkeiten darin verbessern wollte. Was er macht, hat doch den Stempel der Vollendung.

Winter druckt den Brutus und den Freygeist von Brawe zusammen. Ich bat ihn, so lange zu warten, bis Du es genehmigtest; aber vergebens.

Dein
treuer Bruder,
Karl.


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