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Lessing, Karl: An Gotthold Ephraim Lessing. 14.6.1768. In: Gotthold Ephraim Lessings sämtliche Schriften. Band 19. Hg. von Karl Lachmann. Dritte, aufs neue durchgesehene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker. Leipzig: Göschen 1904. S. 259-261.

<Seite 259:>

231. Von Karl Lessing.

Berlin, den 14. Junius 1768.

Liebster Bruder,

Mit Deinen Antworten nehme ich es nie so genau; nimm Du es nur mit meinem Styl nicht so genau.

Hier hast Du den Brawe. Ich hätte Dir ihn gleich geschickt, wenn <Seite 260:> ich nicht geglaubt, daß Herr Winter ihn Dir in Leipzig geben würde. Nur 30 Thlr. Sächsische Drittel hast Du bekommen? Ich glaubte, was es wäre!

Als ich neulich in meiner gewöhnlichen Geldnoth für meine Komödie, der stumme Plauderer, die ich füglich ungedruckt lassen können, nur 30 Thaler verlangte, bot er mir doch 25 Thaler, und sagte mit einer bedeutenden Miene: weil jetzt schlechte Zeiten wären, und er doch nicht wüßte, wie er damit führe; Dir hätte er für den Brawe gleich gegeben, was Du gefordert. Nun ja, von 30 Thalern Sächsische Drittel, was läßt sich wohl davon herunterhandeln? das Kupfer oder das Silber? Ramler hat die Vorrede gemacht, und hin und her Verse im Brutus verbessert; ich habe die Korrektur besorgt. Seine Arbeit ist freylich nicht mit der meinigen zu vergleichen; aber unsere Belohnung ist gleich: der Ruhm daran gearbeitet zu haben; Ramler von freyen Stücken; ich, weil Winter Dir gegeben, was Du verlangt.

Sobald von Deinen Sachen etwas gedruckt ist, so bitte ich Dich, vergiß mich nicht. Wenn Du etwas nicht gleich bekannt werden lassen willst, so darfst Du es mir ja nur schreiben. Es soll nicht aus meinen Händen und über meinen Mund kommen, wenn ich auch sonst ein Plauderer wäre.

Den Plan zur Tragödie, mit der ich schwanger gehe, sollst Du mit erster Post bekommen. Aber wirst Du mir auch Deine Meynung geradezu sagen? Ich weiß, Du hast zu thun, und kannst Deine Zeit besser anwenden. Hiermit mache ich nicht Dir ein Compliment, sondern mir. Ich fühle mich, sobald ich so etwas gemacht habe, und schäme mich. Dir aber zuzumuthen, mein Machwerk zu kritisiren, bewiese eben keine große Scham. Und doch glaube ich, würde mir es sehr dienlich seyn. Wolltest Du mir aber nicht sagen, was Du denkst, weil Du es für gar zu elend hältst, so thätest Du nicht Recht. Im Anfange würde ich freylich empfindlich, aber hernach völlig Deiner Meynung seyn.

Nicolai hat mir den ersten Theil vom Shadwell, den ersten Theil von Johnson, und den ersten Theil vom Cibber zugestellt. Soll ich sie Dir mit der Post schicken, oder bis auf eine Gelegenheit warten? Ich habe sie gelesen. –

Hast Du denn die Komödie False Delicacy von Colly? Schicke <Seite 261:> sie mir, ich möchte sie gar zu gern lesen. Ich wollte, daß man die Englischen Sachen eben so leicht erhalten könnte, als die Französischen.

Dein
treuer Bruder,
Karl.


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