Brawe Ressourcen Logo | unten |

Christian Heinrich Schmid: Freimüthige Erinnerung an die Deutsche Schaubühne über die Vorstellung des Brutus [Rezension]. In: ders.: Das Parterr. Erfurt: Grießbach 1771. S. 221-228.

<Seite 221:>

XXII.

Freimüthige Erinnerung an die deutsche Schaubühne
über die Vorstellung des Brutus, Wien bey Kurzböck. 1770.

Diese zween Bogen sind eine angenehme Beilage zu den Briefen über die Wiener Schaubühne, und man findet in ihnen alle die guten Eigenschaften eines dramaturgischen Kunstrichters wieder, welche man in jenen bewundert hat; aufrichtiges Lob aus <Seite 222:> Gründen, lehrreichen Tadel, die so seltne Kunst, die praktischen Beobachtungen, welche den meisten kritischen Zuschauern entwischen, nicht allein zu ertappen, sondern, welches noch schwerer ist, sie auch so sinnlich zu beschreiben, daß der Künstler einen wahren Nutzen daraus ziehen kann, und endlich den reichen, lebhaften, und dennoch natürlichen Vortrag. Mit Recht heißt die Erinnerung freimüthig, da der Verfasser darinnen sogar die Schauspieler selbst anredet und ihnen Lob und Tadel gleichsam ins Gesicht sagt. Aber glüklich die Bühne, die einen solchen Erinnerer hat! Diese kleine Broschüre ist desto wichtiger, da sie die Vorstellung eines Trauerspiels und eines Trauerspiels, wie Brutus, betrift. Wie angenehm muß es dem Freunde des deutschen Theaters seyn, es aus dem Munde eines solchen Kenners zu hören, daß auf der deutschen Schaubühne noch nie ein Stück im ganzen (denn die Erinnerungen betreffen nur Verbeßerungen im Detail, und nicht jede Erinnerung ist Tadel) mit solcher Anständigkeit und Ordnung aufgeführet worden. (S. 4). Eine Lobrede auf den Brutus selbst (S. 5. 6) hat mit Recht einen Platz in einer Schrift, welche den Enthusiasmus für das Nationaltheater zu erhöhen bestimmt ist. Brutus verdiente gar sehr auf allen unsern Bühnen zu seyn, allein diesmal hat Wien den Anfang gemacht. Es gereicht den Wienern Schauspielern zur Ehre, daß sie einige malerische Schilderungen, worein sich der jugendliche Dichter zuweilen verliert, abgekürzt haben. (S. 7) »Angehende Dichter, ruft der Verfasser S. 8 aus, sollen immer mit den Stiften in der Hand <Seite 223:> vor der Bühne erscheinen, und sich die weggelaßenen Stellen mit großem Fleiß anzeichnen; eine Richtschnur in ihren künftigen Schauspielen nicht in Weitschweifigkeit zu verfallen!« Zuerst wird an der Vorstellung selbst (S. 9) die richtige Anordnung und Zusammensetzung der mannichfaltigen Gruppen und Bilder gerühmt, wovon das Trauerspiel so voll ist: »Der letzte Auftritt, wo Anton mit seinen Kriegern erschien, war mit Beurtheilung eines Historienmalers geordnet. Die Hauptperson, der sterbende Brutus, war vorzüglich ins Gesicht gebracht, und machte mit den um ihn beschäftigten Freunden und dem verzweifelten Marcius die Hauptgruppe, welche auf den vorderen Grund, aber mit kluger Haushaltung des Platzes, ein wenig zur Seite gestellt ward, um die übrigen Theile des Gemäldes nicht zu verdecken. Die Liktoren, welche den sterbenden Feldherrn herbeigebracht hatten, als unwichtige Personen, seitwärts in einer Entfernung ihren Ort, etwas näher gegen die Hauptgruppe der Waffenträger mit dem Helme des Brutus. Im zweiten Grunde gegen die Mitte stand Anton, der in diesem Auftritte gleichfalls eine handelnde Hauptperson war: um ihn hervorragender zu machen, ward er von seinem Gefolge abgesondert, aber durch zween Waffenträger, welche im Grund tiefer angewiesen waren, mit seiner Truppe verbunden. Die Anordnung dieser Truppe selbst war mit Verstand gemacht: sie stand auf einer gegen den hintern Grund überwärts hängenden Anhöhe, wodurch eine Zahl von zwölf, welche sich nach der Neigung des Hügels verliefen, eine sehr große Anzahl vorstel- <Seite 224:> lig machen konnte. Dieser Kunstgriff scheint mir den Landschaftmalern abgeborgt, welche durch einen Hügel, hinter welchem sie einen lichten Horizont laßen, die Wirkung einer großen Fernung zuwege zu bringen wißen. Einen andern Vortheil hatten sie den Historienmalern abgelernt, nämlich hinter den Figuren noch eine Menge Spieße, Fahnen, Adler und der gleichen hervorragen zu laßen, wodurch die Gruppe das Ansehen einer tiefgestellten Menge empfängt.« Ferner verdient das in den Kleidungen beobachtete Kostume (S. 16) gerühmt zu werden. Wie sehr hat sich auch hierinnen die Wiener Bühne seit der Zeit gebeßert, da des Herrn von Airenhofer Hermann zum erstenmal darauf erschien! Herr Stephanie der ältere hat den Brutus (S. 15) sehr gut gespielt. Er hat die heroischen und patriotischen Gesinnungen dieses Helden in aller ihrer Würde ausgedruckt, er hat der Sterbescene völlige Gnüge geleistet. Nur zuweilen verließ ihn die Gelaßenheit des Stoickers, mit unter that er seiner Stimme einige Gewalt an, um sie bis zu einem gewißen Ton, den er vielleicht an einem Vater und Helden als nothwendig ansahe, herabzustimmen, sein Gang war zu schwebend, (S. 13) und endlich machte er bey einer Stelle, (S. 14) eine malerische Pantomime, die keine gute Wirkung that. Zum Nutzen der Schauspieler, welche von der Behutsamkeit, die bey malerischen Gesten anzuwenden ist, noch nicht überzeugt sind. »Bey den Versen

– – – – Warum, ihr Götter, ward
Ihm nicht der beßere Tod gegönnt?

<Seite 225:>

stieß Herr S. mit der Faust gerade vom Leibe vorwärts, welches, da es nicht geschehen konnte, ohne vorher den Arm in ein Skurzo zu bringen, eine sehr unangenehme Zeichnung machte. Seine Absicht war, den beßeren Tod durch eine malende Geberde zu bezeichnen; dies war richtig gedacht. Also, statt dieses geraden Stoßes die Faust über den Kopf erhaben, und von oben schief herabgestoßen; so ist die Geberde eben so bezeichnend und edler!« Herrn Stepahnie dem jüngern kam in der Rolle des Publius seine eherne Brust sehr zu statten, und er widerlegte die, welche ihm Talente zum Tragischen abgesprochen hatten. Er recitirte mit viel Einsicht, aber sein Spiel war ungleich. Er sprach zu hurtig, und überließ sich der Natur zu sehr (S. 15). Unstreitig ist die Regel, sich der Natur zu überlaßen, für die Schauspieler ein eben so schwankender Grundsatz, als die Nachahmung der Natur. Wenn dies so viel hieße, als daß jedes nur seinen eignen natürlichen Charakter spielen sollte, wie viel Schauspieler würden wir nöthig haben! Herr Stephanie der jüngere sollte (S. 16) die Uebung, sich den körperlichen Anstand, die Richtigkeit der Zeichnungen, den Reitz der Geberde zu verschaffen, weniger verabsäumen. Ein ganz neuer Schauspieler, Herr Lang der ältre, wagte sehr viel, daß er gleich zum erstenmal in der Rolle des Marcius auftrat. Ein Schauspielhaus, das eine stentorische Stimme erfodert und deßen Urtheile er noch nicht kannte, eine noch ungeübte Brust (S. 17). Furcht, Heftigkeit der Rolle, und der jambische Vers, <Seite 226:> alle diese Ursachen vereinigten sich, ihn unverständlich zu machen. Dennoch ist der Verfasser über ihn am ausführlichsten, theils weil er ein Anfänger, theils weil er ein vielversprechender Anfänger ist. Der hervorstechende Theil seiner Fähigkeiten ist die Geberde. Er hat ein Ausdruktsvolles Gesicht (S. 18); nur muß er sich künftig die Mäßigung mehr empfohlen seyn laßen, er muß die Ausdrücke nicht zu häufig anbringen. »Laßen Sie sich, wird ihm zugerufen, den Beifall, den Neuvil in der Adelaide erhielt, nicht auf Abwege verleiten. Das war ein Franzose, dem wird nun schon einmal zugeklatscht, wenn er sich auch hundert Meilen über die Grenzen der Wahrheit hinaus reißen läßt.« Die Kunst des Schauspielers wird (S. 19) aufs neue mit der Malerey verglichen, allein es wäre zu wünschen, daß wir bald ein Werk über die Grenzen beider Künste erhalten möchten. Es ist wohl ausgemacht, daß sich der Schauspieler im Ausdruck heftiger Leidenschaften noch mehr mäßigen müßte, als der bildende Künstler, da die Illusion seiner Kunst an und für sich schon stärker ist, zu geschweigen, daß er stets dem Dichter untergeordnet bleiben muß. Ich bin daher zweifelhaft, ob der offne Mund eine gute Wirkung thue. Auch in der vom Garrick angeführten Beschreibung (S. 21) finde ich nichts vom ofnen Munde. Herr Lang brachte (S. 12) sehr viel erhabene und kühnen Züge an, die ihm die Bewunderung eines englischen Parterrs würden erworben haben. Er brachte Schönheiten an, nur (S. 23) bebrämte er <Seite 227:> sein Spiel über und über damit, besonders in seinen Stellungen. Er zeichnete sich richtig, stets malerisch, edel, und mit Wechsel; aber zu häufig. Sein Armspiel (S. 24) war gut, aber er muß sich künftig befleißigen, ihm das Ansehn des Manierten zu benehmen. Seine Recitation (S. 25) verrieht Einsicht, sie hatte die gehörigen Abfälle, Nachdruck, Wechsel; nur war er leider unverständlich. Dies kam erstlich daher, weil er in den Wendungen des Körpers noch ungeübt war. Der Schauspieler muß, so viel als möglich, der Profilstellung auszuweichen wißen. Zuweilen war sein Ton zu tief, dies hinderte die Artikulation, (S. 26) welche nöthig ist, um deutlich zu sprechen. Der tiefe Ton hat überdies noch den Nachtheil, daß der Nachhall mit dem folgenden Worte zusammenfließt. Nur die, die vocem aerisonam haben, können sich des tiefern Tons öfterer bedienen. Der Verfasser zeigt hierauf, welche Vortheile der Schauspieler gebrauchen müßte, wenn ein tieferer Ton nöthig ist, um Wechsel in die Recitation zu bringen. Herr Langens Ton war mit unter auch zu weichlich, ein Ton, welcher auf das Gehör eben den Eindruck macht, als (S. 27) übertriebne Süßigkeit auf den Geschmack. Der Verfasser zeigt die Entstehung dieses Tones sehr genetisch. Herr Lang sprach für eine so große Bühne, auf der selbst (S. 28) die französischen Schauspieler, als sie mit darauf spielten, nicht verstanden wurden, viel zu leise. Aber die Zuschauer waren auch nicht so ruhig, wie es sich gehört. Der Verfasser zeigt zum Schluß, wie nöthig es sey, (S. 29) die Nationalschauspieler zu ermun- <Seite 228:> tern, und endigt mit den Worten: »Sollten Sie den Beifall eines Mannes, der den rechtschaffenen Schauspieler seiner Nation öffentlich zu schätzen, und den grösten zu bewundern das Herz hat, diesen Beweggründen beizählen, sollten Sie meine Freimüthigkeit im Erinnern dem Eifer anrechnen, etwas zu ihrer Vollkommenheit mit zu wirken; so werde ich von Zeit zu Zeit Anlaß finden, auch diejenigen wackern Leute meiner Hochachtung zu versichern, die in dem Brutus an ihrer Stelle gleichfalls Beifall verdient, aber in andern Stücken Gelegenheit geben werden, von ihren Talenten mit Unterscheidung zu sprechen.«


  | oben |