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Sonnenfels, Joseph von: Ueber die Vorstellung des Brutus bei dem Auftritte Hrn. Lang des Aeltern. Im Jahre 1770. In: Sonnenfels gesammelte Schriften. Neunter Band. Wien: Baumeister 1786. S. 69-114.

<Seite 69:>

Ueber die

Vorstellung des Brutus

bei dem Auftritte

Hrn. Lang des Aeltern.


Im Jahre 1770.

<Seite 71:>

Hr. Lang der ältere betrat in der Rolle des Marcius zum erstenmale die Schaubühne. Das Andenken dieses Schauspielers verdient zur Ehre der Wienerbühne erhalten zu werden. Ich wünsche, daß es durch diese kleine Schrift geschehe, die sogleich bei seinem Auftritte erschien, und ich nur in dieser Absicht der Skizze einer Schauspielerinn hier zur Seite stelle, mit der er in mancherlei Beziehung so viel Uebereinkommendes hatte.

Sein Talent, wie sein theatralisches Geschick, war ungefähr das Gegenstück von Katherinen Jaquet. Wie diese, lang mißkennt und unter dem Drucke gehalten, hub er als St. Albin in Diderots Hausvater sich über Hindernisse empor, füllte, so oft er spiel- <Seite 72:> te, das damals meistens öde deutsche Schauspielhaus mit Zuhörern; ward von den guten französischen Schauspielern, die eben anwesend waren, besonders von Aufrain, sehr erhoben, und insgemein der deutsche Molé genannt, spielte, aus unwiderstehlichem Hange zu seinem Berufe, die angreifende Rolle des Coucy in Fayel unter einem Fieberanfalle, starb in wenig Wochen darauf, allgemein bedauert, und noch immer unersetzt.

Es ist für Hrn. Lang den jüngern keine Herabsetzung, wenn ich sage, daß er, bei seinem ausgezeichneten Talent, uns nicht ganz über den Verlust seines ältern Bruders entschädiget. Aber es ist für den Verstorbenen ein grosser Lobspruch.

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An

die deutsche Schaubühne.

Wenigstens, wenn man zu den feyerlichen Verheissungen einiges Zutrauen haben darf, welche in der Nachricht der neuen Theatraldirektion an das Publikum gemacht worden, soll man heute nicht mehr Kritiken des Geburtstages, oder auf den Parnaß erhobene grüne Hüte zu befürchten haben, wenn man über die Schaubühne ein freymüthiges Wort zu sprechen waget. Nicht jede Erinnerung ist Tadel. Eben dadurch, daß man hie und da Verbesserungen wünscht, bekennt man Zufriedenheit über das Ganze. Das ist ungefähr im Grossen mein Urtheil über ihren Brutus. Ich sehe die Vorstellung desselben als den ersten Schritt an, durch den sich die Nationalbühne der schönen Erwartung nähert, zu welcher man uns auf eine so einschmeichelnde Art berechtiget. Ich gestehe, ich habe noch auf der deutschen Schaubühne nie ein Stück im Gan- <Seite 74:> zen mit solcher Anständigkeit und Ordnung aufführen gesehen.

Kehren Sie sich – ich muß mich ungefähr doch an jemanden wenden, an den ich meine Erinnerung richte: ich wähle mir also die Schauspieler – kehren Sie sich, meine Herren! nicht an die Reden gewisser Leute, die ihre Ursachen haben, alles Detestable – das ist ihr eigner Ausdruck – zu finden, was Sie immer geben werden. Diese Leute haben nur den Ton, aber nicht die Glaubwürdigkeit der Orakelsprüche. Niemand wird durch sie irre geführt: man weis die Quelle ihres Tadels.

Trotz also der ***, welche wenigstens Leuten, die für baares Geld in dem Schauspielhause sind, durch ihre Ungebehrdigkeit nicht hätten unbequem fallen sollen; trotz der ....., welche mit der Mutter Natur zürnen, die sie in Deutschland ließ gebohren werden, und es ganz unmöglich finden, wie ein deutsches Schauspiel nur erträglich könne aufgeführet werden; trotz der Kunstrichter und Kabale, welche sich gerüstet hatten, ihr Trauerspiel fallen zu <Seite 75:> machen, trotz dieser, und wenn es nöthig wäre, trotz des Hasses dieser Leute, habe ich das Herz, Ihnen im Namen des deutschen Publikums einen Glückwunsch abzustatten.

Das Stück selbst ist von einer Stärke, dergleichen vielleicht wenig auf die Bühne gebracht worden. Der frühe Verlust seines Verfassers wird Deutschland dadurch nur desto empfindlicher. Brawe hat, ohne seine Zuflucht zu dem abgenützten Triebwerke der französischen Dichter, zu der entnervenden Liebe zu nehmen, dem Stücke Anziehung zu verschaffen gewußt. Niemand – ich nehme immer diejenigen aus, für welche der Anblick einer Schauspielerinn eine erquickende Augenweide ist – aber ausser diesen niemand, hat den Abgang einer Frauensperson nur im geringsten vermißt. Der Dichter hat, nach meinem Sinne, in diesem Stücke mit grösserem Glücke als Voltär gearbeitet: er hat die Scene seiner Handlung an einen Ort verlegt, wo die Erscheinung eines Weibes sogar beleidiget haben würde.

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Giebt es denn auch ausser der Liebe keine Leidenschaften, kein Interesse? Die größten, welche die Menschheit nur kennet, sind in Brutus vereinbart: erhabner Patriotismus, und väterliche Zärtlichkeit. Der Streit zwischen beiden ist heftig, die Situationen, welche dadurch veranlaßt werden, sind schrecklich. Der Sieg des Brutus auf der einen Seite zwingt uns zur Bewunderung – Auf der andern, ein edler, muthvoller Jüngling, Marcius, der Bewundrer seines Heerführers, seines Freundes, ein Nachahmer desselben – seinem vermeinten Vater durch den gräßlichsten Eid zum Hochverrathe, zum Untergange Roms, der Freyheit und der Stütze von beiden, des Brutus verpflichtet; in dem Laufe seiner gräßlichen That, noch an dem Rande des Abgrundes durch eigne Tugenden zurückgehalten; aber durch die schauervolle Entdeckung, das Leben seines Vaters sey für die Ausführung seines Eides verbürgt, gewaltsam hineingestürzt; dieser Jüngling wird, noch als Vatermörder bemitleidet – Höher scheint sich die Rache in ihrer Wuth nicht bäumen zu können, als bei Publius, der gleich einer wüten- <Seite 77:> den Bestie seinen Tod nicht fühlet, weil er auf seinem Raube stirbt: und noch eh er stirbt, vergiftet er die Wunde des Helden, durch die grauenvolle Entdeckung – der, durch welchen Rom Ketten trägt, sey des Brutus – Sohn. Durch alle diese Schrecknisse wird der Zuschauer, welchen der Dichter aus den Reden des Publius den gräulichen Plan des Samniters vorherahnden läßt, mit durchgerissen, bis an die erschütternde Katastrophe, wo Patriot, Vater, wo Reue, Verzweiflung im Tumulte kämpfen, und uns voll Bewunderung, Mitleids, Entsetzens von der Schaubühne entlassen. Das Schreckbare der englischen ist mit dem Anstande – nicht der gallischen, bei welcher der Anstand in Weichlichkeit ausartet – sondern der griechischen Schaubühne in einen glücklichen Bund gebracht.

Es ist meiner Aufmerksamkeit nicht entgangen, daß Sie hie und da Stellen abgekürzt, und manchen Vers weggelassen haben. Das ist eine Wohlthat, die Sie dem Ruhme Brawes erweisen. Ihre Wahl ist, nach meiner Bemerkung, haupt- <Seite 78:> sächlich auf diejenigen Stellen gefallen, wo der Dichter manchmal die Schaubühne aus dem Gesichte verlor, und sich seiner malenden Einbildung überließ. Solche Schilderungen, die sich ganz vortrefflich lesen, kühlen immer die Hitze der Handlung. Und was soll vollends der Schauspieler mit einer Stelle anfangen, wie z. B. folgende ist:

Es geh allmächtig vor dir her das Schrecken Zeus,
Wie dieser Gott, als die empörte Welt,
Stolz seiner Flucht geglaubt, im Donner schnell
Zurücke kam, und der Titanen Trotz
Vor seiner Rechte Zorn in Nichts versank.

Oder, was der sterbende Brutus? welchen der Dichter unter andern sehr langen Reden sagen läßt, was eine Theodicee ganz vortrefflich geziert hätte:

O du Götter Gott! erstaunlich Wesen! – noch vor meinem Blicke
In majestätscher Nacht verhüllt, der du
Die Sonnen und den Tugendhaften schuffst,
Und ihn noch da belohnst, wenn Sonnen schon
Verloschen sind, den stolzen Flug schwing ich
Zu dir empor – u. s. w.

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Solche Abkürzungen machen ihrer Einsicht Ehre. Angehende Theatraldichter sollten immer mit dem Stiften in der Hand vor der Bühne erscheinen, und sich die weggelassenen Stellen mit grossem Fleisse anzeichnen; als Beispiel und Vorschrift, in ihren künftigen Schauspielen nicht in Weitschweifigkeiten zu verfallen.

Zwar weis ich es zu wohl, meine Herren! was für ein eingebildetes Geschöpf um einen Schriftsteller ist. Er, der sich, so oft ohne allen Beruf, eines entscheidenden Urtheils über Schauspiele, und Schauspieler anmasset, er gebehrdet sich, wenn man ihm einen kleinen schimmernden Gedanken wegstreicht, wie ein Kind, dem man ein Flitterläppchen wegnimmt, dessen Glanz ihm sowohl gefiel. Aber das verschlage Ihnen nichts! Für den kleinen Unwillen der Dichter gewinnen Sie den Beifall der Zuschauer. Ich denke, der eine ist des andern wohl werth –

Brutus ist voll von Auftritten, die zu mannigfältigen Gruppen und Bildern Gelegenheit geben. Die richtige und reizen- <Seite 80:> de Anordnung und Zusammensetzung derselben war für mich eine angenehme Ueberraschung. Bis hieher, ich gestehe es mit Offenherzigkeit, war dieser Theil der Vorstellung, der doch so viel zur Vollkommenheit beiträgt, ziemlich vernachlässiget. Bei der Aufführung ihres Brutus war alles, beinahe dürfte ich sagen, wie ich es gewünscht habe. Doch nein: ich wünsche immer den nur möglichen Grad der Vollkommenheit, und diesen erreicht man bei Zusammensetzungen nie, wo man sich so vieler Komparsen und andrer Personen gebrauchen muß, die von der Schaubühne kein Kenntniß haben. Indessen waren wenigstens alle Bilder ohne Verwirrung, und angenehm ausgeführt.

Der letzte Auftritt, wo Antonius mit seinen Kriegern erschien, war mit der Beurtheilung eines Historienmalers geordnet. Ich habe ihn lebhaft vor mir, weil er mir ausnehmend wohl gefiel: ich will versuchen, ihn nachzuzeichnen. Die Hauptperson, der sterbende Brutus, war vorzüglich in das Gesicht gebracht, und machte mit den um ihn beschäftigten Freun- <Seite 81:> den und dem verzweifelnden Marcius die Hauptgruppe, welche auf dem vorderen Grunde, aber mit kluger Haushaltung des Platzes, ein wenig zur Seite gestellt war, um die übrigen Theile des Gemäldes nicht zu verdecken. Den Liktoren, die den sterbenden Feldherrn herbeigebracht hatten, als unwichtigen Personen, war seitwärts in einer Entfernung ihr Ort angewiesen; etwas näher gegen die Hauptgruppe dem Waffenträger mit dem Helme des Brutus. Im zweyten Grunde gegen die Mitte, stand Antonius, der in diesem Auftritte gleichfalls eine handelnde Hauptperson ist. Um ihn hervorstechender zu machen, ward er von seinem Gefolge abgesondert, aber durch zween Waffenträger, welche im Grunde tiefer geordnet waren, mit dem Heere verbunden. Die Anordnung dieses Heeres selbst war mit grossem Verstande gemacht. Es war auf einer gegen den hintern Grund abwärts hängenden Anhöhe gestellt, wodurch eine Zahl von 12 Figuren, welche sich nach der Neigung des Hügels verliefen, eine grosse Anzahl vorstellig machen konnte. Dieser Kunstgriff scheint den Landschaftsmalern abgeborgt, welche durch einen Hügel, hin- <Seite 82:> ter welchem sie einen lichten Horizont lassen, die Wirkung einer weiten Fernung zuwege zu bringen wissen. Einen andern Vortheil hatten sie den Historienmalern abgelernt, nämlich, hinter den Figuren noch eine Menge Spiesse, Fähne, Adler und dergleichen hervorragen zu lassen, wodurch die Gruppe das Ansehen einer tiefgestellten Menge empfieng.

Das Kolorit der Kleidungen kam dem ganzen Bilde sehr wohl zu statten. Wie freue ich mich, daß man nun einmal das Herz hat, auf unsrer Bühne dem Kustume genauer zu folgen? War es die Eitelkeit der Schauspieler, welche sich stets im Schimmer des Flittergolds zeigen wollte? Oder, welche andre eben so lächerliche, eben so tadelswürdige Ursache erzwang einen so verworfenen Aufwand, als die, meistens ohne Geschmack, noch öfters trotz aller Wahrheit angebrachten Stickereyen sind, womit die Theatralkleider bedecket waren? – Haben Sie den Muth, meine Herren, solchen Tand der Opera zu überlassen, und halten Sie sich, wie dießmal, so nahe an die Wahrheit, als es der thea- <Seite 83:> tralische Wohlstand möglich machet! Brutus in seinem eisernen, einfachen Harnische, war mir weit ehrwürdiger, weit mehr Held, als wenn er über und über mit Gold wäre bedecket gewesen. Die Einförmigkeit in Farben, wozu sie der senatorische Stand der handelnden Personen zwang, war durch die Veränderung der Streifen, die bald senkrecht, bald schief, bald wellenweis liefen, glücklich vermieden.

Nach diesen vorläufigen Betrachtungen, welche immer auf das Ganze ihres Trauerspiels fielen, komme ich nun auf die Ausführung im Einzelnen. Hier sey es mir erlaubt, Einige von ihnen, Mann vor Mann vorzurufen, und mit ihnen über ihre Rollen ein Wort zu sprechen.

Hr. Stephanie der ältere! – Sie haben mit ihrem Brutus Ehre eingelegt; bei denen wenigstens, welche ohne Partheylichkeit zu urtheilen, fähig sind. Die Gelassenheit des Stoikers hat Sie manchmal wohl verlassen, aber nur selten: und in den heroischen, patriotischen Gesinnungen, welche Brawe seinem Helden so oft <Seite 84:> in Mund leget, waren Sie wirklich Römer. Ihre Sterbescene war durch die Wahrheit anziehend – der Streit des Patrioten mit dem Vater, die abwechselnde Grösse und Zärtlichkeit in diesen wichtigen Augenblicken rührend – ihr Tod, der feyerliche Tod eines Helden, der nicht unter gichterischen Windungen stirbt, dem das Leben gleichsam nur entweicht. Der letzte Stoß des Todes, der etwas heftig war, brachte Sie in die glückliche malerische Lage, in welcher ihr entseelter Leichnam bis an das Ende des Stückes blieb.

Nun auf dieses Lob, das mir die Liebe der Wahrheit gebeut, einen kleinen Tadel, welcher aus derse[l]ben Quelle flüßt!

Mir kam vor, daß Sie ihrer Stimme Gewalt anthaten, um solche bis zu einem gewissen Tone, den Sie vielleicht an einem Vater und Helden für nothwendig ansahen, herabzutiefen. Dadurch legten Sie sich manchmal in dem Wechsel ihrer Recitation Hindernisse: ihre Brust schien zu leiden, und die Zuhörer litten mit Ihnen. Behalten Sie immer ganz den eigenen Klang ihrer <Seite 85:> Stimme bei, der bis auf wenige Töne sehr angenehm ist.

Bei ihrem Gange, besonders bei dem Abgehen, sollte ich gleichfalls eine Erinnerung anbringen. Er war in meinen Augen schwebend, und gleichsam wellenförmig, wodurch Sie dem Auge bald höher bald niedrer vorkamen. Ich habe genau gesehen, woher dieser Uebelstand rührt. Ihre Schritte sind zu weit. Dadurch wird, wenn das eine Bein sich vorwärts in die schiefe Linie streckt, die senkrechte Linie des Leibs merklich verkürzt, der, wann ihn das Hinterbein nachschiebt, gleichsam wieder empor steigt, um, sobald der Schritt gesetzt wird, abermal abzufallen. Hieraus entsteht das Wallende des Ganges, welches durch kürzere Schritte vermieden werden möchte – und durch die kleine Hülfe, den Oberleib nach der Richtung der Vorschreitung immer so zu tragen, damit er senkrecht auf dem vorderen Beine ruhe, und der Schwerpunkt der ganzen Figur durch den Kopf und den vorderen Fuß laufe.

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Schreiben Sie es der Aufmerksamkeit zu, die ich ihrem Spiele nicht versagen konnte, daß mir die unrichtige Gebehrde nicht entwischt ist, womit Sie eine Stelle des 2ten Aufzugs 5ten Auftritts begleiteten! Sie stiessen bei dem Verse:

– – Warum ihr Götter! ward
Ihm nicht der bessere Tod gegönnt?

mit der Faust gerade vom Leibe vorwärts, welches nicht geschehen konnte, ohne vorher den Arm in ein Skurzo zu bringen, und dadurch eine sehr unangenehme Zeichnung zu machen. Sie hatten eben diese Gebehrde nicht lang zuvor in der Zayre angebracht. Also ist es wohl ein Dienst, den man Ihnen erweist, Sie gegen eine üble Angewohnheit zu warnen, der so leicht auszuweichen ist. Ihre Absicht war, den besseren Tod durch eine malende Gebehrde zu bezeichnen. Statt dieses geraden Stoffes, die Hand vor sich über den Kopf erhoben, und von oben schief herabgesenkt, wäre die Gebehrde eben so malend, aber edler!

Edler? Kann eine Gebehrde edel seyn, die im Grunde unrichtig ist? Ich nehme da- <Seite 87:> her mein Wort zurück: für eine malende Gebehrde, war hier weder Ort, noch Anlaß. Vielleicht würde es schwer seyn, mit Genauheit zu bestimmen, wo zu einer malenden Gebehrde eigentlich Ort und Anlaß ist! Und, so geläufig dieses Kunstwort manchem Schauspieler und Dramaturgisten aus Mund und Feder strömt, weil es über Reden und Schriften einen Anstrich von tiefer Theatergelehrsamkeit verbreitet: vielleicht sollte beiden die Frage: Was ist eine malende Gebehrde? sehr ungelegen kommen.

Sie werden mir nicht sagen: Malend ist die Gebehrde durch Uebereinstimmung des bezeichneten Begriffs und der Bezeichnung. Denn, ich werde versetzen: Reine Gebehrde darf als Bezeichnung, dem Begriffe, der dadurch bezeichnet, oder auch nur begleitet wird, entgegen stehen: und jede Gebehrde ist doch auch nicht eine Malende! Sie werden mir nicht sagen: Die Gebehrde ist malend, wenn der Wortbegriff durch einen nachahmenden Ausdruck des Körpers gegeben wird: z. B. Freude durch Gelächter, Traurigkeit <Seite 88:> und Schmerz durch Schluchsen. Woferne Schluchsen und Lachen auch mit dem Anstande der regelmässigen Schaubühne vereinbarlich, und anderswo, als an dem Maskaron eines Buffo erträglich wäre, so ist doch beides nicht Bezeichnung, sondern Sache, schon nicht mehr Gebehrde, sondern wirkliche Handlung. Sie werden mir nicht sagen: Die Gebehrde malet, wann der Ausdruck des Körpers den Begriff des Wortes sichtbar macht, wenn der Erste so bedeutend ist, daß der Letztere gewissermassen entbehrt werden kann – Entbehrlich, oder Ueberflüssig, werde ich antworten, ist einerlei: und in dem Falle wird ihre malende Gebehrde, da sie überflüssig ist, Karikatur. Abermal also: ich kann es vertragen, wenn Harlekin, oder wie sonst der Frazendreher in einem Stücke heissen wird, bei dem Rund der Erde mit beiden Händen einen Zirkel beschreibt, oder das Schlängeln des Blitzes mit dem Zigsag seiner Pritsche in die Luft zeichnet. Aber, wer würde das bei dem Akteur vertragen, der einen Helden, einen Weisen, oder sonst was immer Anders, als den Lustigmacher spielt!

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Und doch, auch der Zirkel und das Zigsag ihres Lustigmachers bezeichnet nicht den ganzen Begriff, sondern nur einen Theil desselben. Lassen Sie ihn, so lang und oft es ihm gefällt, einen Kreis vor ihren Augen ziehen, so possierlich er es vermag, die Luft in Stücke zerfetzen; wenn er nicht Erde der Rundung, wenn er dem Schlängeln nicht Blitz beisetzt, so werden Sie ihn nimmermehr verstehen. Sie werden diese Umrisse, die er durch seine Lazzi dem Auge sichtbar gemacht, eben sowohl auf die Tonne des Diogenes, und den Wanst Fallstaffs, eben sowohl auf die Meander eines Baches, und das Flüchten des Schurken vor dem Stocke seines Herrn, auf alles, was rund und zigsagförmig ist, eben so richtig deuten, und anwenden können, als auf Erdball und Blitz.

Die unedle Posse hätte uns also auf einige Sätze für das edle, hohe Spiel geführt. Die Gebehrde kann mehr nicht bezeichnen, als nur allgemeine Eigenschaften eines Dinges, nicht das Ding selbst. Durch Erhebung eines Arms über <Seite 90:> das Haupt, und ein sanftes Senken der Vorderhand, gleichsam dieser Gebehrde einen Schluß zu geben, bezeichnet der Schauspieler die Grösse eines Standes: Wohl! aber er kann dieselbe Gebehrde auch bei Erhabene Tugend, bei Hoheit des Geistes, selbst bei Uebermuth des Karakters anbringen: denn er drückt dadurch nur die Grösse, nur das gemeinschaftliche Merkmal dieser verschiedenen, und sogar streitenden Begriffe aus.

Die Gebehrde für sich kann also nie zusammengesetzte, sondern nur einfache Begriffe bezeichnen. Ein durch eine Art von Schnellung vor sich geworfener Arm, an dem die Hand, gleichsam durch Spannung der Sehnen, sich in eine Faust zusammzieht, wird Kraft bezeichnen. Aber Seelenkraft? Aber körperliche Stärke? Welcher Garrik kann das durch die Gebehrde unterscheidbar machen?

Die Gebehrde kann abgezogene Begriffe, hauptsächlich nur durch Merkmale von Folgen und Wirkungen bezeichnen. So ist, in dem vorhergehenden Beispiele, die <Seite 91:> Schnellkraft des Arms die Wirkung der Stärke; so hat der Schauspieler für den Sturz, keine andere Gebehrde, als die Bezeichnung des Orts, und gleichsam der Tiefe, in welche der gestürzte Gegenstand geschleudert worden. Und hier schlüßt sich glücklicherweise der Satz an, der mir aus dem Dädalus der Betrachtungen wieder Ausgang verschaffen soll, in den ich mich unverwahrt vertiefet habe.

Das, was Schauspieler und Theatralkunstrichter so uneigentlich malende Gebehrde nennen, beschränkt sich ganz und einzig auf die Bezeichnung des Orts und Raums. Wenn Assur, Arsazen näher treten heißt, so wird ein Schauspieler von Nachdenken in den zwey Wörtern: Tritt näher! den ganzen Hochmuth des herrschenden Satrapen zu schildern, fähig seyn. Tritt näher! mit dem auf Näher verlegten Nachdruck wird er dem Soldaten die Erlaubniß ertheilen, herbeizukommen – welches dieser ohne Erlaubniß nicht hätte wagen sollen. Den Körper von Arsazen abgekehrt, nur mit einer leichten Wendung des zurückgewor- <Seite 92:> fenen Kopfes, wird er, durch den gestreckten Arm und die gesenkte Hand den Platz zu seinen Füssen anweisen, zu denen sich der Krieger unterwürfig schmiegen soll. Diese sogenannte malende Gebehrde, was ist sie? Bloß Bezeichnung des Orts. Komm! spricht Tankred, und zeigt mit hingestrecktem Arme nach dem fernen Kampfplatze. Diese Auffoderungsgebehrde schildert dem hochtragenden Orbessan den Zorn, die ganze Zuversicht des Gegners, dem er mit Geringschätzung begegnete. Diese malerische Gebehrde ist gleichwohl mehr nicht, als die Bezeichnung des Orts, wo Amenaide durch die Hand des Helden geschützt werden soll – Schnell stürzte das Ungeheuer auf Hippolyten los – Wenn Theramenes bei diesen Worten mit der dahinfahrenden Hand Schnelligkeit zu bezeichnen sucht, so vereinigt er, indem er eine Linie abläuft, Ort und Raum, von dem das Ungeheuer losgebrochen ist, den es zurückgelegt hat, gleichsam in dem Augenwinke, in welchem er durch die Hand die Bewegung ausdrückt – So erhebt die verlassene Ariadne, indem sie die Götter anruft, ihr thränendes Aug <Seite 93:> gegen den Ort, den die Meinung der Menschen Göttern zum Wohnsitze anweist – So strebt der Blick der Medea, bei dem Anrufen der Furien in den Tartarus zu bringen – So irrt der wilde Blick des von den Eumeniden herumgetriebenen Orestes den ganzen Raum ab, in welchem er die folgenden Rachgöttinnen wahrzunehmen glaubet – So mache man die Anwendung auf mehrere, auf alle Beispiele! und überall wird sich die Richtigkeit des Satzes bestätigen: Daß die sogenannte malende Gebehrde blosse Bezeichnung des Orts, Bezeichnung des Raums – das ist: bloß gerade Linie ist. Und gerade Linie hat nie einen malerischen Umriß gebildet.

Die Rolle des Publius war mit der Wildheit gespielt, welche den gräßlichen Karakter des Samniters eigen ist. Der jüngere Hr. Stephanie, den seine eherne Brust so sehr bei seinem Spiele unterstützt, hat in dieser Rolle den Vorwurf derjenigen in etwas widerlegt, die ihm alle Fähigkeit zu dem Tragischen versagen. Seine Recitation war, im Ganzen genommen, richtig, aber sein Spiel ungleich. Ich <Seite 94:> war stets versucht, ihm zuzurufen: Eilen Sie doch nicht! sprechen Sie doch bedächtlicher! suchen Sie doch die starken Zwischenräume anzubringen, welche die Recitation edel, glänzend machen! – Dann, war ich noch versucht, hinzuzusetzen: Sehen Sie die Leute als Feinde des Talents an, die sprechen: Sie hätten sich nur ihrer Natur überlassen! Nicht doch! ihre Natur ist die Natur Stephaniens; und wo wir diesen erkennen, da sind Sie wahrlich nicht Publius, nicht Ulfo und Constantin, oder was sonst für eine Rolle die Ihrige ist. Ihre Natur ist immer dieselbe. Nach dem Zurufe dieser Leute hätten Sie also den Lusignan, der mir Thränen in die Augen locken muß, wie den Ulfo, und beide vielleicht wie Baron Kreuzen zu spielen.

Ja wohl! Die Regel: Der Schauspieler soll sich der Natur überlassen! würde euch Herren, eure Berufsarbeit sehr bequem machen, wenn sie so buchstäblich hin zu verstehen wäre. Aber, da man Helden, Könige, und wieder Betrüger, Erzschurken auf die Schaubühne bringt, und <Seite 95:> Sie weder eines noch das andere sind, so ist es ziemlich erwiesen, daß der Sinn dieser Vorschrift nicht gerade auf der Oberfläche des Wortes liegt.

Lassen Sie mich solche ein wenig tiefer herausholen! Der Schauspieler studiere erst aus dem Inhalte des ganzen Stückes, dann aus den einzelnen Stellungen, die ihm der Dichter vorgezeichnet hat, seinen Karakter! Er beschäftige sich durch Nachsinnen ganz mit denselben! Er erhitze seine Einbildungskraft durch alles, was darauf Beziehung hat! Er täusche sich selbst, und werde, wenn das anders in seiner Seele liegt, ein Held, ein Weiser, ein Liebhaber u. s. w.! Und ist er nun durch solche Kunstgriffe, die ihn Gewohnheit und Uebung geläufig machen werden, ganz in den Karakter versetzt; dann ja, dann überlasse er sich der Natur! die nun aber nicht mehr seine, sondern die Natur seines Karakters seyn wird.

Sind Sie von der Richtigkeit dieser Erklärung überzeugt, so werden Sie nicht mehr glauben, man könne die Uebung, um sich den körperlichen Anstand, die Rich- <Seite 96:> tigkeit der Zeichnungen, den Reiz der Gebehrde zu verschaffen, immer verabsäumen, und alles das getrost von einem glücklichen Ungefähr erwarten. Man kann allenfalls richtig fühlen: aber, wenn man, wie ich sagen möchte, den Mechanismus der richtigen Gebehrde sich nicht eigen macht, so wird man sein Gefühl unrichtig! wenigstens immer ohne Anmuth ausdrücken.

Es war ein Wagestück von Hrn. Lang dem ältern, sich zum ersten Auftritte die Rolle des Marcius zu wählen. Ein junger Schauspieler, der noch das Gefäß des Schauspielhauses nicht kennet, und besonders eines Schauspielhauses, welches wie die Bühne, worauf die Deutschen spielen, nur für stentorische Stimmen erbaut ist; der noch nicht der für die Stimme ergiebigsten Standplätze sich zu bemächtigen weis; der noch nicht die Uebung hat, den Seitenwendungen auszuweichen, welche dem Hörsaale stets die halbe Stimme rauben; dem noch nicht alle Erhöhungen, Nachlassungen und Verflössungen der Töne zu Gebot stehen können; der endlich seiner Brust noch nicht die Stärke, seiner Kehle den Laut eigen <Seite 97:> gemacht hat, welche sie wie eine Geige oder Flötte erst durch ein längeres Spiel erhalten. Ein solcher Schauspieler, dem auch Furcht über den Ausschlag seines ersten Auftritts die Brust beklemmt, hat ohnehin alle Mühe, verständlich zu bleiben. Hier nun, kam noch die Heftigkeit des Karakters, und mehr als alles dieses, kam der jambische Vers dazu, dessen man so wenig gewohnt ist, und welchen die Hälfte der Zuschauer, mit dem Buche in der Hand nicht wohl verstehen.

Inzwischen, wenn man sich an denjenigen Standort stellet, von welchem Sie eigentlich beurtheilt zu werden, fodern können, war ihr Auftritt vielverheissend – Das ist, wie mir däucht, das Urtheil, welches unpartheyisch, zwischen dem übertriebenen Lobe des größten Haufens, und dem eigennützigen Tadel einiger Wenigen das Mittel hält, und mir die Freyheit läßt, an Ihnen das Viele gut zu finden, was wirklich gut ist, ohne über die wenigeren Unvollkommenheiten eine Hülle zu werfen, gegen welche Sie nicht zu zeitig können gewarnet werden.

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Der hervorstechende Theil ihres Spiels ist dermalen die Gebehrde. Ich verknüpfe mit dem Worte Gebehrde die Bedeutung von weitstem Umfange, dessen es fähig ist: den Ausdruck der Physionomie, die Zeichnung des Körpers, das Spiel des Arms.

Der Ausdruck der Physionomie zeigte von dem hohen Grade des Gefühls, mit welchem Sie gleichsam zum Schauspieler vorherbestimmt sind. Die Seele arbeitete sichtbar auf ihrem Gesichte, und zeichnete die Leidenschaften, von welchen Sie ergriffen waren, durch unverkennbare Züge. Ihr Auge sprach Unentschlossenheit, Furcht, Mitleid, Schrecken, Entsetzen. Der letzte Auftritt des dritten, und der vierte und fünfte Auftritt des letzten Aufzugs öffnete Ihnen ein grosses Feld, auf welchem Sie, als ein angehender Schauspieler, Bewunderung verdienten. Aber wollen Sie dieselbe in der Folge erhalten; so ist Ihnen die Mässigung nachdrücklich zu empfehlen.

Nicht dann nur ist es Ueberladung, wann der Ausdruck überhaupt übertrieben <Seite 99:> wird: auch da schon ist es eine, wann, an sich wahre Ausdrücke, zu häufig angebracht werden. Die Haushaltung in diesem Stücke ist das Werk der Einsicht und Kunst. Lassen Sie sich nicht etwan durch den Beifall, den Neuvil in der Adelaide erhielt, auf Abwege verleiten! Das ist ein Franzose: dem wird nun schon einmal zugeklatscht, wenn er sich auch hundert Meilen über die Gränzen der Wahrheit hinausreissen läßt! Als ein deutscher Schauspieler müssen Sie sich an dem Lobe Weniger genügen lassen. Aber der Beifall einiger wahren Kenner, wiegt auf der Wagschaale des Verstandes alles Lob der unzählbaren Halbkenner auf. Der anhaltende, oder zu oft wiederkehrende Ausdruck einer Leidenschaft hört auf, ein besonderer Ausdruck zu seyn: er wird eine ordentliche Physionomie. Nehmen Sie also in diesem Stücke den Maler zu ihrem Beispiele, der seine Lichter oft durch die tiefsten Schatten aufhöhet. Bringen Sie gleichfalls Schatten und Licht in ihr Spiel! und geben Sie ihrem Ausdrucke durch die Abstechung eine desto stärkere Kraft.

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Ich habe an Ihnen den starren Blick, den etwas geöffneten, unbeweglichen Mund, wodurch Sie die Vermischung des Erstaunens und Schreckens ausdrücken, tadeln gehört. Verschlüssen Sie vor solchen Beurtheilern ihr Ohr, die nicht wissen, wie weit der Schauspieler den Ausdruck treiben darf! Da die Gränzen der Schauspielkunst mit den Gränzen der bildenden Künste, der Malerey, der Bildhauerey, nach ihrem Endzwecke einerlei sind, so könnten Sie diese zu niedlichen Kunstrichter vor die Gruppe Laakoons führen, dem Agesander kein Bedenken trug, weil es der Ausdruck des Schmerzens foderte, den Mund gleichsam zum unwillkührlichen Seufzer zu öffnen. Freylich treibt der weise Grieche die Natur nicht bis an das äusserste Wahre, wie der Franzose Le Brün in den Cartons zu den prächtigen Tapeten von Gobelin, welche eine Reihe der Thaten Alexanders vorstellen, [*] und worauf er einem aus der Schlacht <Seite 101:> entfliehenden Perser einen offenen Mund zu geben, nicht gegen die Anmuth, das ewige Gesetz seiner Kunst gehalten. Freylich würden die Le brünschen Karaktere hier nicht für Sie beweisen, weil diese Verzerrungen selbst von den bildenden Künstlern nicht weiter zu ihrem Studium gewählt werden können, als, um zu wissen, welche Muskeln bei einer Leidenschaft in Spiel gesetzt werden? nicht, wie sie darein gesetzt werden. Aber, Sie könnten diese Herren, abermal nicht an Neuvilen in der Rolle des Arsazes, sondern an Vestris zurückerinnern, dem, als einem Tänzer gewiß engere Schranken, als dem Schauspieler vorgezeichnet waren, der gleichwohl eben durch dieses verirrte Aug, durch seinen offenen Mund, durch die Unbeweglichkeit seines ganzen Körpers allgemeine Bewundrung entriß. Doch, statt aller dieser Beispiele verweisen Sie ihre Tadler auf eine Stelle in Noverrs Briefen über die Tanzkunst, [*] wo Garricks Spiel als ein Muster des Theatralausdrucks aufgestellet wird! Die ganze Beschreibung ist ihrer Auf- <Seite 102:> merksamkeit würdig; aber hieher gehört eigentlich nur das Ende derselben. Ich sah ihn – spricht Noverre – einen Tyrannen spielen, »welcher, geschreckt von der Schwärze seiner Laster, von Gewissensbissen zerfleischet, stirbt. Der letzte Auftritt, war der Auftritt des Schmerzens, und der Verzweiflung. Die Menschlichkeit rächte an ihm so viele Mordthaten und begangene Grausamkeiten. Der Tyrann, gerührt von ihren Vorwürfen, verabscheute seine Laster, die stufenweise seine Verurtheiler, seine Henker wurden. Der Tod malte sich nach und nach auf seinem Gesichte; seine Augen verdunkelten sich; seine erlöschende Stimme reichte kaum noch der Anstrengung zu, seine Gedanken zu stammeln; seine Gebehrden, ohne von ihrem Ausdrucke zu verlieren, bezeichneten die Heranrückung des letzten Augenblicks; seine Beine entschlüpften unter dem Körper; seine Züge verlängerten sich; seine blasse, unterlaufene Farbe, war die Farbe der Reue, und des schmerzlichsten Gefühls. In diesen Augenblicken sank er dahin; und nun stellten sich seine Verbrechen seiner Einbildung unter den gräßlichsten Scheugestal- <Seite 103:> ten vor. Erschreckt von diesen gräulichen Bildern, kämpfte er gegen die Vernichtung: die Natur schien ihre letzten Kräfte anzuwenden. Diese Stellung machte Schaudern: er kratzte die Erde, er grub gewissermassen sein Grab. Aber der Augenblick nahte. Nun sah man wirklich den Tod: alles schilderte den Augenblick, der zur Gleichheit führt. Er starb endlich. Das Schluchsen des Todes, die verzückenden Bewegungen der Physionomie, der Arme, der Brust, waren der letzte Strich dieses schrecklichen Gemäldes –«

Die Stellung, worin Garrick geschildert wird, kann nicht schrecklicher seyn, als die Stellung des Marcius, in dem Augenblicke, wo er in demjenigen, den er verrathen hat, an dessen Tod er Schuld trägt, seinen Vater erkennet – seinen Vater, den er, und mit demselben Vaterland, Freyheit und die Tugend, gestürzet hat – Es ist ein im Grunde tugendhafter Jüngling, dessen grauvolle Thaten in eine Nacht der Betäubung gehüllt waren, um welchen nun das schreckliche Licht eines Blitzes helle macht. Es war nothwendig, in dieser Scene des <Seite 104:> Schmerzens, der Reue, des Entsetzens, der Verzweiflung so heftig zu seyn, als es die Vermeidung des Parenthirsus immer gestattete: und es war die Einsicht mehr als eines angehenden Schauspielers, im Ausdrucke so weit zu gehen, um in dem Tode eines von seinen Lasterthaten Gefolterten, mit dem ruhigern Ende des tugendhaften Brutus eine sichtbare Abstechung zu machen.

Hätten Sie vor einem englischen Parterre gespielt, oder, wären unter dem Zuschauer mehrere Noverres gemengt gewesen, so würden die erhabenen und kühnen Züge nicht verloren gegangen seyn, die Sie so glücklich, und mit Verstand in ihrem Spiele angebracht: z. B. die Betäubung, mit welcher Sie sich aus den Umarmungen des Brutus losrissen, da die schlaffen Beine unter dem entkräfteten Körper nachliessen, und Sie gefühllos hinsanken, und dem Kenner des Alterthums in ihrem schön gezeichneten Falle den sterbenden Fechter [*] <Seite 105:> in das Gedächtniß riefen. Oder, als den Marcius bei seiner Annäherung der Anblick des sterbenden Brutus schreckte, und er sich dem gräulichen Anblicke durch die Verhüllung seines Hauptes entzog; wie einst Timanthes, dessen Bilder nach dem Zeugnisse des Plinius, immer mehr ausdrückten, als gemalt war; in dem Opfer Iphigeniens das Gesicht Agamemnons verhüllte, weil der Schmerz eines Vaters in diesem Augenblicke über allen Ausdruck der Kunst reichte – Vielleicht, daß man bei einer zweyten Vorstellung, auf solche Schönheiten aufmerksamer wird!

Schönheiten sind es, wenn sie sparsam, und mit Verstand untergestreuet werden: aber nicht mehr Schöhnheiten, wenn man sein Spiel, fast sollte ich den Ausdruck wagen, damit über und über bebrämet. Diesen Vorwurf kann man Ihnen bei ihren Stellungen mit Grund machen; und es ist der ewige Vorwurf des durch die Kritik noch <Seite 106:> nicht gezähmten Genies. Sie zeichnen sich richtig, stets malerisch, edel, und mit Wechsel; nur zu häufig: man sieht Sie beinahe nie in einem ruhigen Stande. Aller Orten seinen Reichthum auskramen, heißt, verschwenden. Ich will hier auf ihre Zeichnungen anwenden, was Noverre von der Anmuth überhaupt erinnert. »Nirgend ist die Sparsamkeit so schwer, als in diesem Stücke. Es gehört Geschmack dazu, sie schicklich anzuwenden: es ist ein Fehler, aller Orten darnach zu laufen, und sie überall gleich anzubringen. Wenn man wenig Anspruch darauf zu machen scheint, wenn man aus einer klugen Vernachlässigung, sie manchmal geflissentlich verabsäumt, so werden sie dadurch nur desto reizender.«

Bei dem Armspiele ist eben diese Erinnerung nicht überflüssig. Sie brauchen ihren Arm richtig, Sie kontrastiren den Körper mit Anmuth. Lassen Sie sich auch noch empfohlen seyn, ihrem Spiele das Ansehen des Manierirten zu benehmen! wenn ich von den Malern ein Kunstwort <Seite 107:> hieher borgen darf. Doch, mich däucht, von dieser Unvollkommenheit wird Sie die Zeit, und eine längere Uebung auf der Schaubühne von selbst befreyen.

Zeit, und Uebung werden auch ihre Recitation verbessern. Sie haben ihr Rolle mit Einsicht gesagt; mit mehr Einsicht, als man von einem Anfänger erwarten durfte. Sie haben Abfälle, Nachdruck, Wechsel, überall am eigenen Orte angebracht. Aber es schien, als versagte sich ihre Brust ihrer Einsicht. Sie waren manchmal unverständlich. Das Publikum entschuldigte Sie – Freunde müssen Ihnen rathen.

Die Unverständlichkeit lag oft an der Wendung ihres Körpers, oft an dem tiefen, oft an dem zu weichlichen Tone; manchmal auch, weil Sie in der That zu leise sprachen.

Wenn der Körper in einer Seitenwendung steht, so geht die Richtung der Stimme, statt gegen den Zuschauer, <Seite 108:> nach den Schiebwänden hin. Die Schauspieler müssen daher, wann sie zu sprechen haben, der Profilstellung geschickt auszuweichen wissen; welches ganz wohl angeht, wofern sie sich in ihrem Spiele wechselweise unterstützen, damit derjenige, der zu sprechen hat, unvermerkt immer den Hintergrund gewinne. Durch diesen Kunstgriff, fällt die Stimme gerade gegen den Zuschauer, der bei der Seitenwendung die Hälfte verliert.

Jeder tiefe Ton widersteht natürlicherweise mehr der Artikulation, weil die Stimmwerkzeuge dabei sehr gedehnt werden müssen: von der Artikulation aber, hängt eigentlich die Deutlichkeit der Aussprache ab. Der tiefe Ton hat auch noch den Nachtheil, daß der Nachhall, welcher durch die gewaltsame Andrückung der aus der hohlen Brust gestossenen Stimme an die Wölbung des Gaums, entsteht, mit dem darauf folgenden Worte zusammenflüßt. Der Mechanismus der Stimme ist also dem öfteren Gebrauche der tieferen Töne entgegen, und nur <Seite 109:> Wenige, welche man, wie die Larven der Alten, ærisonos, Stimmen von Erz, nennen darf, machen hier eine Ausnahme. Wenn ein tieferer Ton, um Wechsel in die Recitation zu bringen, unmittelbar gefodert wird, so muß der Schauspieler sich dadurch zu helfen wissen, daß er in der vorhergehenden Stelle seine Stimme auf eine gewisse Höhe spannet, wodurch der nachfolgende Abfall merklich werden kann, ohne, daß es eben nöthig ist, zu den tiefsten Tönen hinabzusteigen. Um den Wiederhall auszuweichen, muß man langsamer sprechen, und gleichsam den vorhergehenden Tönen Raum lassen, ehe zu verhallen, als die anderen folgen.

Bei dem Geschmacke die übertriebene Süssigkeit, bei dem Gefühle und Gehör die allzugrosse Weichlichkeit, beide haben einerlei Folgen, das wiederwärtige Gefühl, wozu wir in der Sprache nur den allgemeinen Ausdruck, Ekel haben. In der Aussprache entsteht die Weichlichkeit, wann die Selbstlauter zu lange gedehnet, die Mitlauter nicht durch einen zurei- <Seite 110:> chenden Nachdruck der Sprachwerkzeuge gebildet werden, und ihre Festigkeit erhalten. Ich will versuchen, dieses durch ein Beispiel deutlicher zu machen. Wenn das Wort, Empfindungen ausgesprochen würde – Eehn-fi-nungen – und, welches sich nicht durch Buchstaben bezeichnen läßt, die N nicht durch den Druck der Zunge an dem Gaum vollendet werden, so ist das Wort jederman unverständlich. Die Schuld liegt daran, daß bei der Syllbe Em die Lippen nicht genug zusammgepreßt, bei Pfi der Rückgang von dem Lippenbuchstaben P auf den Buchstaben F nicht merklich gemacht, die N nicht ausgebildet, und nach der Syllbe Pfin, der Buchstabe D nicht durch die angedruckte Zunge vernehmbar gemacht wird.

Doch diese kleine Pedanterey über die Aussprache beiseite gelegt, wozu auch hier nicht der angemessene Platz ist! Herrn Lang geht eigentlich nur die Erinnerung an, zwischen dem Zärtlichen und Weichlichen der Aussprache einen Unterscheid zu machen. Der zärtliche Ton wird aus <Seite 111:> der Brusthöhle heraufgeathmet; der weichliche wälzet sich zwischen Kehle und Gaum herum, und verschlägt den Laut ganz in dem Hintertheile des Mundes. Es ist ungefähr die Verschiedenheit, wie die zwischen der Halsstimme und Bruststimme bei Sängern.

Es wäre freylich ein Glück für die Schauspieler, es wäre ein Vergnügen mehr für die Zuhörer, wenn die Schaubühne, wo die Deutschen spielen [*] erlaubte, von der leisen Modulation Gebrauch zu machen. Aber, das ist nun einmal nicht. Wir Zuschauer selbst, haben wir uns nicht auch den Vorwurf zu machen, daß unter uns nicht das Stillschweigen herrscht, welches eine feinere Recitation fodert? Es ist gewiß unartig, wenn ein paar Leute sich mitten hinpflanzen, und durch ihr Geschwätz das Vergnügen und die Aufmerksamkeit einer ganzen, grossen Versammlung stöhren. Einige Frauen sind Amazonin- <Seite 112:> nen genug, um den nach ihren Logen gerichteten Blick des ganzen Schauspielhauses auszuhalten, ohne daß sie hierüber die Farbe änderten, dem Sh! des aufgebrachten Parterrs unerschrocken Trotz zu bieten. Vielleicht wäre hier die Vermittelung der Polizey nicht überflüssig. Jeder Einzelne ist der Menge Achtung schuldig.

Die französischen Schauspieler, welche den deutschen immer das Uebertriebene des Tons vorwerfen, mögen es versuchen, ob sie auf dieser Bühne verstanden werden. Das einzigemal wenigstens, da sie auf derselben ein Stück vorstellten, verstand niemand ein Wort. Der deutsche Schauspieler darf also, wenn er allen Plätzen genug thun will, seine Lunge nicht schonen, bis er einen ruhigeren, beinahe wäre mir entfahren, gesitteteren Hörsaal vor sich haben, und vielleicht durch den Fortgang, den die Nationalbühne machet, die ausländischen Schauspieler von dem Orte verdrengen wird, der ihm aus so vielen Betrachtungen [*]

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Doch! wie ferne sind wir noch von diesem Zeitpunkte! und wie thätig arbeiten vielleicht gerade diejenigen daran, ihn zu entfernen, von welchen sich alles, was die Bildung und den Ruhm der Nation vollenden kann, entschiedenen Schutz sollte verheissen können!

Um desto grössere Ermunterung verdient der Nationalschauspieler, der, wie H. Lang nur in sich selbst, und in einem Enthusiasmus, welcher ihn über alle Annehmlichkeiten seines Berufs blendet, Beweggründe auffinden muß, nach der Vollkommenheit zu ringen.

Sollten Sie den Beifall eines Mannes, der den rechtschaffenen Schauspieler seiner Nation öffentlich zu schätzen, und den grossen zu bewundern, das Herz hat, diesen Beweggründen beizählen; sollten Sie meine Freymüthigkeit im Erinnern dem Eifer anrechnen, etwas zu ihrer Vollkommenheit mitzuwirken; so werde ich von Zeit zu Zeit Anlaß finden, auch diejenigen wackeren Leute meiner Hochach- <Seite 114:> tung zu versichern, die in dem Brutus jeder an seiner Stelle gleichfalls Beifall verdient, aber mir in andern Stücken Gelegenheit geben werden, von ihren Talenten mit Unterscheidung zu sprechen.

Wien den 22. August 1770.


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[*] In einem der kaiserlichen Vorzimmer sind nach diesen Cartonen gearbeitete Tapeten. Die Figur, auf welche hier gedeutet wird, fällt am Eingange zur Rechte in die Augen.

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[*] S. 215 und 216 der stutgardschen Auflage.

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[*] Welchen Winkelmann zu einem Helden aus den alten Zeiten Griechenlands zu erheben, bemüht ist. Ich folge aber hier der angenom- <Seite 105:> menen Kunstsage, wie ich in dem vorhergehenden Gedichte, um der poetischen Zukömmlichkeit wegen, es ebenfalls gethan habe.

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[*] Damals war das Nationalschauspiel in das Schauspielhaus nächst dem Kärntnerthor verwiesen.

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[*] Diese Vorhersagung ist nun zum Theile in Erfüllung gegangen.

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