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Joseph Lange: Über Mozart. In: Biographie des Joseph Lange K. K. Hofschauspielers. Wien: Rehm 1808. S. 166-175. (26. Kapitel)

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Sechs und zwanzigstes Kapitel.

Virginia. Italienische Opern und Ballette. Pensions-Fähigkeit der Schauspieler. Werde von Herrn Klingmann erleichtert. Rollenzuwachs durch Zieglers Stücke. Ueber dieselben, und die Ritterstücke überhaupt. Tod des Kapellmeisters Mozart. Ueber denselben. Zerrüttung meiner Vermögensumstände. Unerwartete Hülfe.

Virginia, ein Trauerspiel vom Herrn Feldmarschall-Lieutenant v. Ayrenhoff, war die würdige Darstellung, zu welcher Se. Majestät Kaiser Leopold der Zweyte zum ersten Mahle das Schauspielhaus besuchte. Das Stück gefiel sehr, und wurde nur der damahligen Zeitumstände wegen von dem Herrn Verfasser zurück genommen. Von dieser Zeit an bis zur Aufführung der Octavia vom Herrn v. Kotzebue wollte sich das Publicum, durch die Sprache der Familien- und Ritterstücke ganz <Seite 167:> an leichtere Diction gewohnt, Stücke in Versen nicht mehr gefallen lassen. Versuche, die man mit dem Mönche von Karmel, und nach der Wiedererscheinung Bergobzooms mit Richard dem Dritten machte, mißglückten. Damahls war es so ziemlich die allgemeine Stimme, daß Verse gar nicht auf das Theater gehören. Der Kaiser hatte im Sinne, die Bühne auch in Ansehung der Mannigfaltigkeit der Schauspiele und der Pracht jedes Einzelnen auf die höchste Stufe zu heben, und schonte hierbey keines Aufwandes. Zu einer ersten italienischen Oper wurden große Sänger und Sängerinnen verschrieben; zu einem Ballette eine Gesellschaft Tänzer unter dem Ballettmeister Muzarelli aufgenommen. Allein so groß war das Interesse, welches das Publicum für das deutsche Schauspiel gefaßt hatte, daß nicht nur die Oper keinen besondern Enthusiasmus erregte, sondern auch die ersten Ballette: Capitän Cook, Bianka de Rossi, Hermann, trotz der Neuheit des Spectakels und des Verdienstes der Aus- <Seite 168:> führung, keinen besonderen Zulauf erhielten. Erst als Medina Vigano erschien, und durch ihr Mienenspiel und die Grazie ihrer Bewegungen Alles bezauberte; als sodann das Publicum zwischen Vigano und Muzarelli Partey nahm, ward die Aufmerksamkeit allgemein auf das Ballett gerichtet; und man kann, glaube ich, ganz richtig behaupten, daß von dieser Zeit an das Publicum immer schaulustiger wurde, und nun auch im Schauspiele jene Stücke mehr besuchte, wobey das Auge Befriedigung fand.

Ich gewann übrigens bey dieser Veränderung. Meine Frau wurde mit ihrem vorigen Gehalte bey der italienischen Oper angenommen. Ihre Heiterkeit schien wieder zurück zu kehren.

Da Herr Klingmann (den 5. May 1791) vom Hamburger-Theater mit großem Beyfalle auf der Bühne erschien, hatte ich Gelegenheit, mich durch Abgebung mancher jüngern Rolle, als des Hamlet, des Prinzen in Emilia <Seite 169:> Galotti, des Fritz Rehberg im Kind der Liebe, u. s. w. erleichtern. Als Albrecht behielt ich mir vor, mit ihm zu alternieren, und für den Prinzen in Emilia Galotti wählte ich den Appiani, weil es mir darum zu thun war, da ich nun St. Albin auch nicht mehr, Alters wegen, spielen konnte, meinen Freunden und Feinden in einer kleinen Conversations-Rolle zu zeigen, daß mich die Kunst der feinen Zergliederung und Schattirung, trotz meines Bestrebens in Heldenrollen, da, wo es hin gehört, kraftvoll zu seyn, noch nicht verlassen habe.

Für den Entgang dieser jüngern Rollen erhielt ich wieder einen bedeutenden Zuwachs durch die Beschäftigung, welche mir der seit dem 16. Februar wieder in die Gesellschaft eingetretene Herr Ziegler in seinen Stücken anwies. Konrad in Mathilde von Gießbach und den Pilgern war schon voraus gegangen; ihm folgte nun der würdige Ludwig der Baier in der Fürstengröße. Vielfache Gelegenheit mich auszuzeichnen, oft mit eigener Zurücksetzung, ver- <Seite 170:> schaffte mir dieser Dichter, worunter ich des Tempelherrn in der Weiberehre, und des Hermanns in Barbarey und Größe mit Dank erwähne.

Man hat von den Ritterstücken schon so viel Böses gesagt, daß ich mich wohl versucht fühle, recht viel Gutes von ihnen zu sagen. Zu jener Zeit, wo durch Iffland und Kotzebue, und alle ihre Nachtreter die Darstellungen auf die enge Gegenwart, auf unsere eigenen häuslichen Zirkel beschränkt wurden, that es dem Publicum und den Künstlern wohl, sich in die kraftvollere Vorzeit versetzt zu finden. Ohne diese Ritterstücke wäre ja gar kein Hall von Heroismus mehr laut geworden. Niemand wird Herrn Ziegler absprechen, daß er Meister in ergreifenden Situationen sey; das Interesse zu spannen, zu rühren, zu erschüttern, zu erheben wisse, und dem Schauspieler reiche Veranlassung gebe, sein Talent zu entwickeln. Ob und was der Aesthetiker daran vermisse, habe ich nicht zu entscheiden.

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Die Pracht, mit welcher auch die deutschen Schauspiele aufgeführt wurden, zeigte, daß der Kaiser keinesweges dasselbe weniger, als die Opern und das Ballett, achtete.

Seiner Großmuth danken die Schauspieler ihre Pensions-Fähigkeit nach dem für die Staatsbeamten bestehenden Normal, und können nunmehr ruhiger ihrem Alter entgegen sehen.

Dieses Jahr wurde mir auch noch durch den Tod meines Schwagers, des erst nach seinem Tode, als Neid und Cabale verstummten, allgemein berühmten Kapellmeisters Mozart *), der am 5. December starb, getrübt. Es ist so Vieles von den Eigenheiten dieses großen Mannes geschrieben worden, daß ich mich hier nur auf eine beschränke. Nie war <Seite 172:> Mozart weniger in seinen Gesprächen und Handlungen für einen großen Mann zu erkennen, als wenn er gerade mit einem wichtigen Werke beschäftiget war. Dann sprach er nicht nur verwirrt durch einander, sondern machte mitunter Spässe einer Art, die man an ihm nicht gewohnt war; ja er vernachlässigte sich sogar absichtlich in seinem Betragen. Dabey schien er doch über nichts zu brüten und zu denken. Entweder verbarg er vorsetzlich aus nicht zu enthüllenden Ursachen seine innere Anstrengung unter äußerer Frivolität; oder er gefiel sich darin, die göttlichen Ideen seiner Musik mit den Einfällen platter Alltäglichkeit in scharfen Contrast zu bringen, und durch eine Art von Selbst-Ironie sich zu ergetzen. Ich begreife, daß ein so erhabener Künstler aus tiefer Verehrung für die Kunst seine Individualität gleichsam zum Spotte herabziehen, und vernachlässigen könne.

In diesem Zeitpuncte hatte sich meine Schuldenlast durch Krankheiten, Unglücksfälle, <Seite 173:> und warum soll ich es nicht sagen, was ich bloß zu meiner Rechtfertigung sage, durch Verbürgungen für Unglückliche und Verwandte, bis auf die beträchtliche Summe von 6000 Gulden gesteigert, wodurch mein Gram auf eine Höhe stieg, daß ich, wenn sich mir nicht ganz unverhofft ein rettender Engel gewiesen hätte, ganz gewiß daran gestorben wäre. Se. Majestät hatten meine Schulden gegen einen Bürgen und monathlichen Abzug bey der Theater-Cassa auszahlen lassen. Nun aber reichte meine Besoldung zur Erhaltung meines Hausstandes nicht zu, indem ich eine Frau mit sechs Kindern, dann meine Mutter, die noch lebte, und die ihre Pension in ihrem Vaterlande ließ, um ihren Sohn zu sehen, zu ernähren, und meiner Schwiegermutter gleichfalls die ausgemachte Pension zu bezahlen hatte. Es war mir schon eine große Erleichterung, daß ich allmonathlich von unbekannter Hand 50 Gulden Aushülfe erhielt. Aber eben derselbe unsichtbare Retter warb eine Gesellschaft von Freunden, <Seite 174:> die durch ihre Zuschüsse auf ein Mahl mich von der ganzen Last befreyten, und zur Bedingung machten, ewig verschwiegen zu bleiben. Diesen Edlen, die mich dem Leben und der Kunst auf eine so großmüthige Art wieder schenkten, mit gerührtem Herzen hier nochmahls öffentlich danken zu können, war eine der Hauptursachen, die mich bestimmten, meine Biographie noch bey meinen Lebzeiten heraus zu geben.

Ihm vorzüglich gebührt mein heißester Dank, ihm, meinem Freunde, der sich mit so vielem Zartgefühle verbarg, der aber meinem forschenden Blicke nicht entgehen konnte. Ich speisete in dem Zirkel einer würdigen Familie, wo dieser Mann war, erzählte dort die stille wohlthätige Handlung desselben, und äußerte, beklommen von Rührung und Dankgefühl, den Wunsch, meinen Wohlthäter kennen zu lernen. Plötzlich, wie ein Blitzstrahl, fiel meine Vermuthung auf den gegenwärtigen rechten Mann, und wie er sich auch zu bezwingen, zu verbergen suchte, ich hatte ihn <Seite 175:> durchschaut, und war bald sicher, daß er und kein anderer es sey. Sein Bild war es, das mich, so oft ich seitdem von Undank, Verfolgung und Neid der Menschen zurück schauderte, mit der Menschheit versöhnte; sein Bild ist es, zu dem ich auch noch den Rest meiner Tage, wenn Unmuth in trüben Stunden über mein Schicksal mich ergreifen will, lebensfroh zurück fliehen werde; es wird mir nie, es kann mir nie, auch nicht in der Todesstunde erlöschen.


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*) Sein Meisterstück, Don Juan, welches nun fortgesetzt das Haus zum Erdrücken füllet – gefiel Anfangs nicht, und wurde nach der dritten Vorstellung zurück gelegt.

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