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Arthur Eloesser: Das bürgerliche Drama. Seine Geschichte im 18. und 19. Jahrhundert. Berlin: Hertz 1898. S. 34-43.

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II. George Lillos Kaufmann von London. Lessings Miß Sara Sampson. Edward Moores Spieler. Brawe. Weiße.

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Moores »Spieler« hat nicht die überzeugende Kraft seiner Vorgänger, da er auf eine moralische Nutzanwendung zugespitzt ist. Beverley ist ein ursprünglich edler Mensch, ein sorgsamer, zärtlicher Hausvater, der von einem falschen Freunde verführt und ruiniert wird. Dieser liebte seine Gattin; mit der Not des Mannes will er die Tugend der Frau erkaufen. Das Thema vom falschen Freunde geht dann in Brawes »Freigeist« über. Ch. F. Weiße hat es auch in ein Lustspiel »Amalia« übernommen, nicht von Brawe, wie Sauer 1) meint, sondern direkt von Moore: aus dem tragischen Süjet hat er einen Verkleidungsspaß gemacht, dem man aber die ernsthafte Abstammung noch deutlich anmerkt.

Die Zeichnung des Spielers Beverley ist dem englischen Dramatiker in der Hauptsache gut gelungen, weil dieser gerade als edel veranlagter Charakter den falschen Freund, den er von allen Seiten verleumdet glaubt, nicht aufgeben will. Der dämonische Verführer <Seite 35:> Stuckely ist ein philosophischer Bösewicht, der sein Opfer mit weiser Berechnung ins Verderben treibt. Aber auch er ist nicht von Ursprung böse, sondern er ist es geworden, weil der glänzende, liebenswürdige Beverley ihn überall, auch bei der Geliebten, ausgestochen hat. Der Schluß des Dramas ist, wie der des »Barnwell« kriminalistisch gehalten. Der Spieler vergiftet sich im Schuldgefängnis, nachdem er ehrlich bereut hat; Stuckely und seine Spießgesellen fallen ihren eigenen Anschlägen zum Opfer. Die Tugend siegt, und der Dichter zieht die moralische Nutzanwendung selbst.

Bekämpft man Thorheit nicht, wie sie nur immer heißt,
So wird sie Leidenschaft und unterwirft den Geist 1).

Der »Spieler« machte in Deutschland einen starken Eindruck. Von Ackermann wurde er wie »Der Kaufmann von London« zuerst und mit großem Erfolge in das Repertoire seiner Truppe aufgenommen. Die älteste Übersetzung wurde von der Saurin-Schröderschen Bearbeitung abgelöst, die dann durch Ifflands im Geschmacke des Familiengemäldes modernisierten »Spieler« in den Hintergrund gedrängt wurde. Auch in Frankreich wurde er gegeben, häufig in den Provinzen, seltener in Paris, wo er sich so wenig wie Diderots Dramen halten konnte. Bei seiner Besprechung der glatten, geschickten aber weniger kräftigen Bearbeitung von Saurin rühmt der Deutschfranzose Grimm das englische Original in vollen Tönen; er protestiert gegen die verengernde Bezeichnung »bürgerliches Trauerspiel,« da er in dieser Gattung überhaupt das Trauerspiel der Zukunft sieht. »Si Béverley est une tragédie, pourquoi est-elle bourgeoise? ou bien ce qui est tragique pour des bourgeois, est-il comique pour des princes? Il fallait dire tout simplement tragédie, et laisser la mauvaise épithète de bourgeoise aux critiques bourgeois du coin qui ont aussi inventé le terme de comédie larmoyante, et qui ont écrit sur l'une et sur l'autre de grandes pauvretés.« (Correspondance 1768.)

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Der »Spieler« eröffnet die Reihe von Stücken, in denen eine ganz bestimmte moralische Verirrung, die in der Charakterkomödie nur Stoff zum Lachen gegeben hatte, in ihren verderblichen Folgen für den Verirrten selbst, für die ihm zunächst Stehenden und für die ganze Gesellschaft dargestellt wird. »Regnards Spieler warnt höchstens vor einem Laster, vor dem der starke Pinsel des Briten uns zurückbeben macht: so schrecklich sind die Folgen aneinander gereihet.« Mit diesen Worten kennzeichnet Sonnenfels das Verhältnis der beiden Richtungen. In dem fortwährenden Prozesse der Verweichlichung des bürgerlichen Dramas verliert sich auch die ursprüngliche sittliche Strenge, die wenigstens die zeitliche Bestrafung des Schuldigen forderte. Auch die Art der Verirrung wird mit sentimentaler Empfindsamkeit abgeschwächt, bis allmählich aus dem Bösewicht nur ein Leidender oder ein Sonderling wird, der sich vor der Welt mißmutig verschließt, um endlich wieder sein fühlendes Herz zu entdecken.

Zwischen Moores »Gamester« und seinen deutschen Nachahmungen besteht derselbe typische Unterschied, der schon zwischen Lillos »Kaufmann« und Lessings »Sara« konstatiert worden ist. Der Engländer schrieb mit der Freude am realistischen Detail, mit der Lebenskenntnis eines erfahrenen Mannes, der in der größten Stadt der Welt beobachtet hat. Er ist durchaus kein nackter Moralist, da er von der künstlerischen Freude am Gesehenen ausgeht und lebensvolle Bilder für die wirkliche Bühne schaffen will. Allerdings schleppt sich sein Werk in der Überfülle von Figuren und Episoden nur schwer und langathmig dahin. Ganz anders verhält sich sein nächster Nachfolger, Joachim Wilhelm von Brawe, in seinem »Freigeist«. Indem er auf das dramatische Konzept von Moore ein sittliches Problem spannt, das an sich viel bedeutender ist als das niedrige Laster des Spiels, wandelt er genau in Lessings Bahnen, der die von Lillo übernommene grobe Verführungsgeschichte auf die Höhe feinerer psychologischer Behandlung gerückt hat. In beidne Fällen findet eine Vergeistigung des Stoffes statt; das Süjet wird seinen grobrealistischen Bedingungen entzogen und in der luftigeren Sphäre der Moral behandelt. Dieser Umwandlung liegt eine Stärke und eine Schwäche zu Grunde. Die geistigen Kämpfe der Aufklärung, die zunächst um eine unabhängige Moral ringt, drängen nach einem unmittel- <Seite 37:> baren ideologischen Ausdruck. Die Emanzipation ist auf eine Reinigung der Begriffe gerichtet, und die theoretische Forderung, die nach einem vernunftgemäßen Dasein verlangt, ist noch wichtiger, mächtiger wirkend als die Realitäten des Lebens. Die Mächte, die um das Individuum streiten, sind noch abstrakt gefaßt; jedem Einzelnen schwebt das zu erreichende Vernunftwesen vor. An ihm wird er gemessen, also an seinem Ziele, an seiner Bestimmung; das Individuum wird nicht in seinen Abhängigkeitsverhältnissen vom gesellschaftlichen Sein erklärt und auch nicht aus seiner besonderen Entwicklung begründet. Die individuelle Existenz ist relativ gegenüber dem erstrebten Typus. Der emanzipatorische Geist der bürgerlichen Dramatik verweilt noch nicht mit Behaglichkeit in der Malerei des Zuständlichen. Sie ist so einseitig auf das moralische Problem reduziert, daß sie die bunte Fülle des Lebens noch nicht darzustellen vermag. Diese ältere nur moralisierende Gattung hat noch gar keine koloristischen Reize; sie verzichtet auf die Wirkungen der Farbe wie die bürgerlichen Künstler Hogarth und Chodowiecki. Erst die Stürmer und Dränger versuchen, das Leben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit, mit seinen schreienden Gegensätzen rücksichtslos auf die Bühne zu werfen. Wohl haben ihre Werke, in denen ein gewaltsam herausfahrender Individualismus jede bändigende Form zerbricht, zumeist fragmentarischen Charakter, aber in ihren Torsos wogt eine Fülle des Erlebten und Gesehenen, gegen welche die starre Linienführung der vorausgegangenen Dramen kahl und leblos erscheint. Wie vollständig verleugnet Diderot, wenn er von der Bühne herunter moralisieren zu müssen glaubt, den originellen Witz seines »Jacques le Fataliste«, die psychologische Eindringlichkeit seiner »Religieuse«! In »Rameaus Neffen« ist mehr dramatisches Leben als in seinen beiden Musterstücken. Wie langweilig und nüchtern ist Beaumarchais in seinen bürgerlichen Rührstücken, in denen niemand die Klaue des Löwen hätte ahnen können!

Brawes »Freigeist« ist von vorn herein nichts als eine Moralpredigt, eine Lektion Gellerts, die ein tugendhafter junger Student in fünf Akte gebracht hat. Welcher fruchtbaren Behandlung diese Figur, in die geistigen Kämpfe der Zeit hineingestellt, im komischen oder im tragischen Sinne fähig gewesen wäre, das lehrt die kulturgeschichtlich so interessante Selbstbiographie von Karl Friedrich Bahrdt, <Seite 38:> oder das entbehrungsreiche Wanderleben des Spinozisten Edelmann. Von dem zeitlich bedingten Wesen des Themas giebt er überhaupt nichts, und der – in höherer Bedeutung – pikante Einfall Lessings, daß sein Freigeist von der Freigeisterei seines Dieners abgestoßen wird, ist mehr wert und menschlich bedeutender als die ganze Psychologie dieses Stückes. Dennoch war die ernsthafte Behandlung eines so aktuellen Stoffes eine mutige That, die dem jugendlichen Verfasser den von Nikolai ausgesetzten Preis vor Cronegk, dem Dichter des »Codrus«, hätte verschaffen dürfen. Mit seiner ganzen Haltung, mit seinem englisch-deutschen Charakter ist dieses Trauerspiel von der »Sara Sampson« abhängig. Der Plan des Stückes mag, wie Sauer meint, von Youngs »The Revenge« mit beeinflußt sein; in der Anlage der Intrigue, in dem Verhältnis der gegen einander spielenden Parteien folgt Brawe ganz genau dem Konzept von Moores »Spieler«.

In einem Kapitel seiner moralischen Vorlesungen »Von dem Vorzuge der heutigen Moral vor der Moral der alten Philosophen, und von der Schrecklichkeit der freygeisterischen Moral« hat Gellert eine Schilderung dieses Lasters entworfen, vor dem er die akademische Jugend ganz besonders warnt. Diese Moralpredigt, die der junge Studiosus mit andächtiger Ergriffenheit hörte, wollte er noch einmal von der profanen Kanzel der Bühne zum Nutzen seiner Mitbürger verkünden. Dem rationalistisch-pietistischen Professor galt jeder Deist als Freigeist; sie erschienen ihm als eine weitverbreitete wühlerische Sekte, die den Glauben untergräbt, damit sie ihrer Sündhaftigkeit ohne Furcht fröhnen könne. »Dieses System verdient keine Widerlegung«, sagt er. Es wird durch seine Folgen gerichtet, wenn man es allgemein anwenden wollte. Und er malt eine freigeistige Gesellschaft in den düstersten Farben, um die jungen Leute gruseln zu machen. »Es erwecket Abscheu, sobald man es in seinen Folgen denkt; und das nicht ganz verderbte Herz empört sich mit seiner natürlichen Güte wider die Frechheit des Unglaubens. Wie elend würde der Freygeist sein, wenn er eine Republik Menschen zu solchen Philosophen umbilden könnte, als er selbst ist, oder seyn will! Wie würde es mit seinem vergötterten Vergnügen, mit dem Besitze der Güter und Personen, die er zu seinem Wunsche bedarf, mit seiner Sicherheit und seinem Leben stehen? Ich und alle sind alsdann, <Seite 39:> wie er, gesinnet. Wir kennen auch keinen Unterschied des Guten und Bösen. Unser Gott ist der Eigennutz, die Selbstliebe und das Vergnügen der Sinne.« »Ewiger Krieg des Eigennutzes und der Frechheit! Ist kein gerechter Gott, keine Tugend, keine Unsterblichkeit der Seele, und also keine ewige Belohnung oder Strafe; was soll mich abhalten, so oft ich kann, der Stimme meiner erhitzten Leidenschaften zu gehorchen?

Dann hätt ich Lust ein Bösewicht zu seyn.
Und würde, wär kein Gott, auch keinen König scheun.«

Man sieht, daß die Religiosität des sächsischen Professors hier rein utilitaristisch begründet wird, daß die Religion mit der dem deutschen Protestantismus eigenen Loyalität vor allem als eine staatserhaltende Institution aufgefaßt wird. Wer seinen Gott nicht scheut, ehrt auch seinen König nicht; die Freigeisterei wird zur sozialen Angelegenheit, weil sie die Erhaltung der Gesellschaft gefährdet. Dieselbe Gesinnung geht durch Brawes Drama. Noch zwei andere sehr wichtige Züge hat der junge Dichter übernommen. Auch Gellert glaubt nicht an ursprüngliche Laster und Leidenschaften. Diese erscheinen ihm als vorübergehende und durch planvolle Therapie zu heilende Krankheiten der Intelligenz. Von der Freigeisterei urteil er, »daß diese Sünde nur möglich ist, infolge der Vedunkelung der von Gott eingepflanzten Vernunft.« »Ja, bey den Kräften einer dauerhaften Gesundheit, in dem Taumel der Leidenschaften, in der täglichen Erneuerung der Wollüste, in den Zerstreuungen und Gesellschaften ausschweifender Menschen, benebelt vom Weine, unterwiesen in den Geheimnissen der Zweifelsucht und des Spottes über die heilige Schrift, läßt sich der Verstand zwingen, Unsinn als Wahrheit zu glauben; und das Gewissen, gleich einer geschändeten Unschuld, verhüllt sich einige Zeit. Aber bey der Annäherung einer gefährlichen Krankheit, losgerissen von den Vergnügungen, an die der Ausschweifende gefesselt war, frey und genöthiget zum Nachdenken, erblickt er die Gegenstände in einem ganz anderen Lichte. Die Vernunft, vom aufgewachten Gewissen durchdrungen, behauptet die Rechte der Wahrheit.« Nach diesem Rezepte ist auch die Freigeisterei bei Brawe bereitet. Die Vernunft des Sünders ist verblendet worden, und der falsche Freund zieht ihn in einen Strudel <Seite 40:> von Zerstreuungen und Verwirrungen, damit er nicht wieder zur Besinnung und zur Umkehr gelange. Von dem verkannten aufrichtigen Freunde wird der Held voll Mitleid »der verdunkelte Clerdon« genannt.

Gellert, der ein guter Menschenkenner war und die Jugend an sich zu ziehen wußte, lehrte besonders eindringlich, daß die Freigeisterei eine Sünde des Hochmuts sei, weil der ehrgeizige Jüngling sich durch eine besondere überlegene Anschauung durchaus über die Masse erheben wolle. Diesem verführerischen Lockruf jugendlicher Eitelkeit hat er in rührenden Versen Ausdruck gegeben.

»Denkt frey, und gebt nicht auf die Thoren Acht.
Der Pöbel ist der größte Hauf, auf Erden,
Von diesem reißt euch los. Er weiß nicht, was er glaubt,
Hält jeden Trieb für unerlaubt,
Und sieht nicht, daß er sich sein Glück aus Milzsucht raubt.
Drum faßt den kurzen Unterricht:
Was viele glauben, glaubet nicht.«

Auch dieses Motiv hat der eifrige Jünger Gellerts in seinem Drama aufgefaßt. Es ist der letzte entscheidende Grund, mit dem der Verderber Henley den schwankenden Clerdon immer wieder zu sich herüberzieht. Wenn das Gift der Schwermut ihn in seinen Verwirrungen quält, wenn seine eigenen Spöttereien ihm wie ein Schwert die Brust durchschneiden, dann reizt Henley seinen Hochmut mit Erfolg wieder auf; seine Intelligenz solle sich nicht gemein machen mit des Pöbels »Gewohnheit, Vorurteil, Milzbeschwerung.«

Die Moralität des »Freigeists« ist im hohen Grade bürgerlich, weil hier das Laster nicht nur als an sich schlecht erscheint, sondern weil es in seinen Folgen für die Gesellschaft dargestellt ist, der gegenüber der Einzelne verantwortlich gemacht wird. Die Folgen sind hier der Untergang des Clerdon selbst, seines Vaters und seiner Familie, die Ermordung des wohlmeinenden Freundes, der Verlust einer tugendhaften und reichen Braut. Da die Religion hier vor allem als eine staatserhaltende Einrichtung aufgefaßt ist, so wird es dem Clerdon zum Hauptverbrechen angerechnet, das er sich öffentlich als Freigeist bekannt hat. Dieser Schritt, auf den im Drama das größte Gewicht gelegt wird, ist für unser Empfinden, das den <Seite 41:> Konflikt mehr nach innen legen würde, völlig belanglos. »Öffentlich – hier ergreift mich Schauer und Verzweiflung – öffentlich erfrechte ich mich, ein Feind Gottes und der Religion zu sein, öffentlich ihnen den Krieg anzukündigen.« Diese Selbstanklage erscheint nicht mehr in jugendlicher Komik, wenn man sich der Ausführungen Gellerts erinnert; diese Worte stellen genau die Auffassung des Lehrers dar. Da die Religion an ihrem praktischen Werte für Leben, Glück, Zufriedenheit gemessen wird, so kann der Schaden der Verirrung auch nur durch seine Folgen illustriert werden. Dieser Utilitarismus ist äußerst oberflächlich, da hier nur die Freigeisterei interessieren soll, die sich öffentlich ausspricht und weiter wirkend ansteckt. Für das Seelische, worauf es hier ankommen sollte, hat diese Auffassung gar kein Organ. Von den inneren Kämpfen selbst, von der Tragödie im Menschen schweigt dieses dramatisierte Kolleg Gellertscher Moral.

Laster und Leidenschaften erscheinen hier wie in allen bürgerlichen Stücken nur abstoßend und abschreckend. Keinem ist in seiner Bosheit wohl, in seinem Abfall behaglich zu Mute. Die Sünde hat garnichts dämonisches, verführerisches, und selbst der erzböse Henley gesteht, daß er nur widerwillig die Sprache eines Freigeists rede. Das Böse erscheint auch hier nur als eine Unterbrechung des von der göttlichen Vorsehung gewollten Guten. So bemerkt Moses Mendelssohn in seiner Kritik mit Recht, daß derjenige, der sich durch den Raub der Tugend an seinem Feinde rächt, diese auch für das höchste Gut halten müsse, und daß der recht gläubig sei, der seinem Feinde die ewigen Höllenstrafen zudiktiert wissen will. Aber auch diese Höllenbosheit hat nichts dämonisches, sie ist trocken schematisch.

Der verirrte Held des Dramas wird als Leidender, als Unglücklicher behandelt, und dieser Zug den wir bei der »Sara« wie bei den Engländern fanden, ist hier besonders stark ausgeprägt. Den Guten ist er das Opfer seiner Verblendung, das keinen Haß erregt und ihrer Verzeihung immer gewiß bleibt. Der Vater, der selbst nicht die Bühne betritt, ist wie Sir William unerschüttlich in Liebe und Vergebung. Aus dem Schuldgefängnis, in dem er für den Sohn leidet, schickt er dem unglücklichen Kinde nicht seinen Fluch <Seite 42:> sondern seinen Segen. »Was schadet es, daß ich selbst nichts mehr habe? Laß mich, Gott, laß mich unglücklich seyn, nur mache meinen Sohn glücklich und tugendhaft!« Dieser im Gefängnis schmachtende Greis scheint der Ahnherr des alten Moor im Turme zu sein. Franz, der Intrigant, und Karl, der edle Sünder, entsprechen den Gestalten des Henley und des Clerdon. Wie der Vater ist auch der Freund, der milde Granville, unerschöpflich in der Liebe. Die Freundschaft erscheint nach der Religion als die höchste sittliche Lust, ja sie ist geradezu durch diese geboten. Der sterbende Granville, von dem falsch beratenen, aufgehetzten Clardon [sic!] zum Tode verwundet, nimmt diesen Mord kaum übel. »Nein, Clerdon, ich kann nichts als sie segnen. Meine Religion befiehlt es, und wie leicht wird diese Pflicht meinem Herzen.« Sogar die Schwester fügt sich dem Wunsche des Sterbenden, daß sie dem Mörder des Bruders noch ihre Hand und ihr Vermögen antragen soll. Die ursprünglichsten Regungen des Blutes sind hier in thränenreicher moralischer Auflösung ertränkt. Auch die Haltung der Diener entspricht den in den bürgerlichen Gattungen des Romans und des Dramas typisch gewordenen Zügen. Sie vertreten die Moral in volkstümlicherer Geradheit und Schlichtheit. Selbst der Bediente Henleys ist kein Scapin oder Figaro, sondern ein Anhänger der Tugend, und der treue Begleiter Clerdons will sich gar als Mörder ausgeben, um seinen geliebten Herrn zu retten. Während er diesen höchst unmoralischen Vorschlag macht, verdunkeln Thränen der Freude seine Augen. Und dieser ehrliche Mann hat auch das letzte entscheidende Wort zu sagen, das eine Hoffnung auf die göttliche Gnade eröffnet. »Ach, Menschen sind unerbittlicher als der Himmel.«

In Brawes »Freigeist« sind die moralisierenden Elemente der bürgerlichen Gattung in ihrer Nacktheit versammelt und mit jugendlich pedantischer Schulfuchserei wiedergegeben. Keine Farben, keine Stimmung, keine Freude am Leben selbst, an starken Persönlichkeiten – hier kommt es nicht auf die reizvolle Darstellung der Sache an, sondern auf die Illustrierung eines moralischen Exempels durch typische Figuren, die allerdings in der Hand des zu früh gestorbenen Verfassers nur tote Schemen geblieben sind.

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Während Brawe die von Moore empfangene Anregung in einer höheren Sphäre zu verwerten suchte, nimmt Christian Felix Weiße in seinem Lustspiel »Amalia«, das alte Süjet des »Gamester« wieder auf, nur mit der Neuerung, daß er aus dem einen Spieler ein Spielerpaar gemacht hat. [...]


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1) J. W. v. Brawe, der Schüler Lessings. Straßburg, 1878.

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1) Der Spieler, ein bürgerliches Trauerspiel aus dem Englischen übersetzt. Hamburg, 1766. 2. Beverlei, oder der Spieler, ein bürgerliches Trauerspiel in Versen. Nach dem Englischen des Herrn Moore von Joh. Heinr. Steffens. Wien 1765.

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