Brawe Ressourcen Logo | unten |

[Walch, Albrecht Georg]: Trauerspiele des Hrn. Joach. Wilh. von Brawe [Rezension]. In: Allgemeine deutsche Bibliothek. Hg. v. Friedrich Nicolai. 12. Bd., 1. St. Berlin und Stettin 1770. S. 288-290.

<Seite 288:>

Trauerspiele des Hrn. Joach. Wilh. von Brawe. Berlin, bey Georg Lud. Winter 1768. 16 B. kl. 8.

<Seite 289:>

Diese Sammlung kann hauptsächlich dazu dienen, unserm Vaterland aufs neue die schmerzhafte Erinnerung zu geben, daß es dazu bestimmt zu seyn scheine, seine guten, und zumal tragischen, Genies in ihrer ersten Blüthe zu verlieren. Denn für einen vollkommen ausgearbeiteten Beytrag für unsre tragische Schaubühne darf man sie freylich nicht ansehen. Doch kann man sie nicht lesen, ohne mit einem wahren Patriotismus zu beseufzen, wie viel Deutschland verlohren habe, und wieviel es noch von einem Dichter habe erwarten können, der in seinem 20ten Jahr verstorben ist, und doch schon einen Freygeist und Brutus geschrieben hat. Denn dies sind die beyden Stücke der gegenwärtigen Sammlung. Der Freygeist ist bereits bekannt genug; er hat mit dem Codrus um den Preiß gestritten, er ist gelesen und aufgeführt, gelobt und getadelt, und vielleicht mehr getadelt worden, als er verdiene. Das zweyte Stück hat vor dem ersten das zum voraus, daß es poetisch und zwar in fünffüßigten Jamben geschrieben ist; ein Sylbenmaaß, worinn billig alle deutsche Trauerspiele geschrieben seyn sollten: so sehr scheint es, zur Deklamation gemacht zu seyn; so glücklich vermeidet es bey allen Vortheilen eines poetischen Dialogs, die Monotonie des Alexandriners, den Zwang und das weniger Natürliche einer gereimten Unterredung. Unter dem Namen Brutus erwarteten wir, den ersten römischen Consul, den Feind der Tarquinier und Verurtheiler seiner eignen Söhne, ein tragisches Sujet von der erhabensten Art. Allein das ist er nicht, sondern der Mörder Cäsars, wie er, nach der zweyten Philippischen Schlacht sich selbst entleibt. Wir halten es im ganzen Ernst für ungerecht, einen verstorbenen Schriftsteller, zumal von solcher Jugend und Hoffnung, scharf zu beurtheilen, wenn auch gleich Lebendige seinen Tadel nutzen könnten: sonst liessen sich gegen diesen Brutus, in Ansehung der Abweichung von der wahren Geschichte, der unnöthigen Anhäufung entbehrlicher und nicht individuel genug gezeichneter Personen, der Vertheilung der Handlung, der vielmals willkührlichen Verbindung der Auftritte, und hauptsächlich in Ansehung des Ausdrucks, manche gegründete Anmerkungen machen. Wenn wir es auch nicht gewußt hätten, so würden wir doch aus dem ganzen Stück einen jungen und feurigen Dichter erkannt haben, der zwar Genie und Geschmack zu Anlegung mancher rührenden Situationen und Einstreuung einzelner schöner Stellen, aber vielleicht nicht kritische Genauigkeit genug besaß, um einen Plan kaltblütig zu überdenken, anzuordnen und auszubessern, und <Seite 290:> der, wie es wohl geübtern Dichtern wiederfährt, die diese schwere Kunst den Griechen nicht abgelernt haben, bey seinem dichterischen Feuer, die rechte Temperatur der epischen und der tragisch-heroischen Sprache nicht allemal zu treffen gewußt hat, der aber ganz gewiß, wenn er länger für unser Theater hätte arbeiten sollen, diese Mängel erkannt und verbessert haben würde. Wir wollen nur noch den Schluß des Vorberichtes des Herausgebers auszeichnen, die wir mit unsern ganzen Beyfall unterschreiben. Er hatte das widrige Schicksal unsers deutschen Theaters beym Verlust guter dramatischen Dichter und dem Mangel an Schauspielern, die ihre Kunst studieren, beklaget, und schließt sodann: »Doch, so lange man in Deutschland nur dem Mahler, dem Tonkünstler, dem Baumeister erlaubt, seiner einzigen Kunst getreu zu bleiben, dem Dichter aber, der die schwerste und weitläuftigste unter allen schönen Künsten treibt, noch andre Geschäfte aufladet, die ihn ernähren sollen, und ihm nur erlaubt, wenn er bereits ermüdet ist, sich noch einmal durch Verfertigung poetischer Meisterstücke zu ermüden: was kann man da anders erwarten, als daß er seine Kunst zuletzt vernachläßigt, oder in seinen besten Jahren stirbt?«

Ch.


  | oben |