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[Rahbek, Knud Lyne:] 12. Fortsetzung der Briefe eines Schauspielers an seinen Sohn. In: Theater-Journal für Deutschland. Dreyzehntes Stück. Gotha: Carl Wilhelm Ettinger 1780. S. 15–19.

<Seite 15:>

[...]

12.

Auf den meisten Bühnen hat sich noch ein Mißbrauch eingeschlichen, der zu der schlechten Vorstellung mancher Stücke <Seite 16:> sehr vieles beyträgt. Der Akteur geht nämlich in die Proben, ohne seine Rolle studiert zu haben, oft sogar ohne sie auswendig zu wissen. Er ließt ein Stück davon nach dem andern her, ohne in den Karakter der Rolle einzudringen; es ist nicht Gräfin Waltron oder Richard der dritte, es ist Madam .... oder Mamsell .... oder Herr .... der ein Stück in Versen oder Prose ablesen, das sie auswendig gelernt haben. Sie sehen bey den Proben keinen andern Zweck, als sich zu versammeln und zu versuchen, ob sie ihre Rolle auswendig wissen, das Einzige Erforderniß in den Augen mancher Schauspieler, um sie spielen zu können; haben sie nichts zu sagen; so stehn sie da, schnikschnaken mit den andern, oder, was noch ärger ist, sie lärmen und halten sich mit lautem Gelächter über den auf, der die Probe zu dem, was sie ist, machen will. Sie laufen hinaus, herein, wie's Ihnen beliebt, ohne sich darum, was ihre Rolle erfordert, zu bekümmern, und oft sieht man einen Akteur gerades Weges zu einem Fenster, oder queer über eine Strase hinaus wandern. Wäre dieses auch nur die einzige Unschicklichkeit, die daraus entsteht, so wär' es für den ehrliebenden Schauspieler schon hinreichend, ihn zur Aufmerksamkeit in den Proben zu ermuntern, zumal wenn er selbst den Verdruß empfunden hat, den solche Ungereimtheiten einem theilnehmenden Zuschauer machen, in dem Augenblick, wo der Pinsel des Malers, unterstützt von dem wahren Spiel der Aktrize und der Vortreflichkeit des Stücks, ihn so weit getäuscht hat, daß er glaubt, er sehe eine würkliche Geschichte, die Personen seyen würklich in Rom, oder wohin sonst der Dichter sie versetzt haben mag. Auf einmal nun erinnert ihn der Akteur, der durchs Fenster hinausgeht, daß er nur ein Schauspiel sieht, nur gemalte Leinwand, nicht Roms prächtige Kolonnaden, und so erwacht er denn auf einmal aus seiner ergötzenden Laune. Lieber eine Ohrfeige! sagt Gonsale in <Seite 17:> Göthens vortreflicher Claudine. – Und doch ist dieses noch das geringste; die Vernachläßigung der Proben ist schuld an allen den Fehlern, die bey den Aufführungen vorfallen. In den Proben sollten die jungen Schauspieler von den ältern in den Rollen unterrichtet werden, die sie zuvor gespielt haben; hier sollten die Tableaux, dieser so wesentliche Theil eines guten Spiels, die allein so oft hinreichen, das Glück eines Stückes zu machen, versucht, abgeredet, bestimmt, hier sollten die Theatercoups probirt werden. Jeder Akteur sollte dem andern seine Gedanken mittheilen und dadurch zu seiner Vervollkommung beytragen. Wär' einer nicht geschickt zu der ihm angewiesenen Rolle, so wäre hier Ort und Zeit, wo man ihn unterrichten, sich bemühen könnte, ihn dazu geschickt zu machen, oder wäre das unmöglich, sie ihm mit einer andern auf die beste Art vertauschen lassen. Die jungen Akteurs sollten hier sich bilden, die alten in ihren Rollen üben; ja es sollte vielleicht ein aus der Theaterkasse besoldeter Dramaturg angestellt werden, ein Mann von Geschmack und Autorität, der jedem unter vier Augen sagen könnte, welche Fehler, was für Gutes er an sich habe. Aber nichts von allen dem, gar nichts! Kaum ist die Probe noch eine blose Zärimonie; die Akteurs nehmen ihre Freunde, die Aktrizen ihre Anbeter mit sich dahin, plaudern mit ihnen ohne sich um ihre Rolle zu bekümmern, und eilen ihr Reimgebetlein herauszuplappern, um nur mit andern ihr Geschwätz fortsetzen zu können. Ist auch einer darunter, der seine Rolle mit Wärme spielen will, so hilft ihm das nicht viel, denn die andern haben keine Lust, ihn zu unterstützen, (hierinnen liegt der Grund, warum bey der Aufführung des theatralischen Ensemble so schlecht beobachtet wird) anstatt ihn aufzumuntern, ihn zurechtzuweisen, suchen die andern, die ihn umgeben, durch tausenderley Ungezogenheiten verwirrt zu machen, und wagt ers, böse zu thun, <Seite 18:> so ist ein Hohngelächter die ganze Antwort. Das alles hab ich selbst mehr als einmal mit angesehen. Doch darfst du dir nichts daraus machen, mein Sohn, mußt dich immer an Bönikens Sprüchwort von der Würde der Proben erinnern. Sey versichert, sie werden dessen ohngeachtet dir dennoch nützlich seyn; wenigstens hast du doch deine Pflicht erfüllt. Wüßte doch jeder Schauspieler, wie schädlich es ihnen allen ist, daß sie in den Proben so zerstreut, so nachläßig sind! Mögten sie doch bedenken, daß eben die Ideen, die sie in der Probe hatten, bey der Vorstellung ihnen wieder einfallen werden, gewiß würden sie – wenigstens die bessern, ehrliebenden unter ihnen – aufmerksamer in den Proben seyn! – – – Der beste Akteur, den ich jemals in einer rührenden Rolle gesehen habe, ein Mann, der sehr viel Gefühl hatte, war eben so bey der Aufführung, wie er bey der Probe gewesen war. Er war mein Freund; als ich ihn das erstemal in der ersten Probe von Brawe's Brutus sah, nach der schrecklichen Scene in dritten Akt, wo er mich bis zu Thränen gerührt hatte, gieng ich auf ihn zu und sagte: Ich danke dir, Lieber, du hast mich ganz dahin gerissen. – »Geh, antwortet' er mir, – immer noch Marcius – geh!« – und sties mich mit der einen Hand von sich ab und rieb seine Augen mit der andern; so bang war ihm, sein Enthusiasmus mögte verhauchen; immer war er derselbe in dieser Rolle, in jeder Probe gleich stark, in jeder Probe neu, denn er spielte, wie ers fühlte, nicht nach den Regeln des Tanzmeisters; eine Pantomine, vor dem Spiegel gelernt, war ihm unerträglich. Laß dir sein Beyspiel empfohlen sehn. Spiele immer deine Rolle eben so in der Probe, wie du sie auf der Bühne selbst vorstellen willst, ich weis, dein Stolz ist von zu ädler Art, als daß er dich hindern sollte, die Anmerkungen, die man etwa über dein Spiel machen mögte, <Seite 19:> anzuhören und zu benutzen. Noch etwas von Proben in meinem nächste Briefe.

(Die Fortsetzung folgt.)


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