Adolph Müllner: Brawe. In: Anthologie aus Müllner's Schriften. Erstes Bändchen. Hg. vom Professor Dr. Schütz zu Leipzig. (= Müllner's Werke. Zweiter Supplementband.) Meißen: F. W. Goedsche 1830. S. 41-45.
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Brawe.
Jeder Schauspieler weiß, was es zu bedeuten hat, wenn die Zuschauer Bravo rufen. Es giebt aber verschiedene Fälle, wo ich wünschte, daß sie nicht Bravo, sondern Brawe (sprich Braweh) ruften, und nehme daher dieses Wort in mein Lexikon auf. Brawe nämlich ist der Name eines Mannes, der mit seinem ganzen Namen Joachim Wilhelm von Brawe heißt. Leute, welche diesen Namen nur vom Blatte weg kennen, werden glauben, er müsse nach den Regeln der deutschen Pronunciation eben so, wie Löwe, mit dunkelm und kurzem e gesprochen werden, in welchem Falle er zu dem obgedachten Zwecke nicht sonderlich taugen würde. Ich kann aber mit Gewißheit behaupten, daß er wie Braweh ausgesprochen werden muß; denn der Mann, dem er gehört, ist mein Landsmann und mein College, er ist ein Weißenfelser und ein Tragödienschreiber, und da ich von dem neunten Tage meiner Geburt an zu Weißenfels an der Saale heimisch gewesen bin, so giebt es in dem ganzen kleinen Städtchen nicht leicht irgend einen Schuhmacher, geschweige denn einen Tragödienmacher, von dem ich nicht genau wüßte, wie
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er ausgesprochen wird. Dieser Brawe nun hat sich zwar von gedachtem Orte ungefähr sechzehn Jahre früher hinwegbegeben, als ich daselbst angekommen bin, ohne daß man geographisch genau bestimmen kann, wohin: denn er ist, wie man gemeiniglich zu reden pflegt, im Jahre 1758 gestorben. Allein dieser zufällige Umstand hindert nicht, daß er noch lebe: denn ein Tragödienschreiber kann bekanntlich mit Hülfe der Druckerpresse unsterblich gemacht werden, nach Belieben.
Nun starb zwar dieser ungedruckt in seinem achtzehnten Jahre; aber zehn Jahre darauf machte ihn ein Buchhändler in Berlin, Namens George Ludwig Winter, unsterblich, indem er seine beiden Trauerspiele druckte, wovon eines der Freigeist und das andere Brutus heißt. Von dem Brutus will ich schweigen, denn er ist ein Jambenstück, und noch dazu in französischer Manier. Der Freigeist aber ist in Prosa und im englischen Geschmack geschrieben, von ihm kann ich getrost mit den deutschen Theaterliebhabern reden, und er ist es auch, durch den ich hoffe, meinem genannten Landsmann und Collegen eine große Theater-Celebrität zu verschaffen, deren er bis jetzt entbehrt hat. Ja,
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ich brauche dazu nicht einmal die Tragödie selbst, sondern nur ein Stück von ihrer Vorrede. Es heißt nämlich in derselben: »Der Freigeist machte kein geringes Aufsehen unter den wenigen guten Stücken, die wir damals (im Jahr 1756) auf der deutschen Bühne zählten; – doch fand man, daß es sich, seines mehr als ernsthaften Inhalts wegen, noch besser im Cabinete lesen, als von unsern Komödianten vorstellen ließe, unter denen es zum Theil noch an Personen fehlt, die ihre natürlichen Gaben durch Studiren der Bücher und der feineren Welt erhöht und sich tüchtig gemacht haben, dem Dichter in allen seinen Empfindungen zu folgen und zu Hülfe zu kommen.« Ob nun wohl seit jener Zeit mehr als ein halbes Seculum verflossen ist, während dessen alle unsere Komödianten sich in Künstler verwandelt haben, so kommt doch der damalige Fall auch jetzt noch zuweilen vor. Was soll alsdann das Publicum thun? Bravo rufen kann es nicht, denn das würden die Künstler irriger Weise auf sich ziehen. Pochen kann es auch nicht, denn das würden sie auf den Dichter schieben. Und geht es ganz stil nach Hause, so schreibt der Theater-Recensent, der es des Freibillets wegen gern mit der
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Theater-Direction hält, in die Tageblätter: »Das Stück des Herrn Ypsilon hat hier nicht gefallen.« Wäre es daher nicht gut, wenn das Publicum in solchem Falle weder still bliebe, noch pochte, noch Bravo riefe, sondern mit möglichster Dehnung der letzten Sylbe ein lautes und vernehmliches »Braweh!« hören ließe, um anzuzeigen, daß das neue Stück gut gedichtet, aber schlecht dargestellt sey, und daß es dasselbe lieber im Cabinete lesen, als hier wieder sehen wolle? Dieser Ruf ließe sich denn auch bei einzelnen Stellen anwenden, und wenn man meinen Vorschlag ausführt, so hab' ich mir dadurch das große Verdienst erworben, den Namen meines Landsmanns und Collegen in der deutschen Theaterwelt unvergeßlich zu machen und bei dem Publicum, auch ohne Aufführung seiner Werke, in ewig frischem Andenken zu erhalten. Zugleich erhalten auf diese Art die Zuschauer, welche zu unterscheiden wissen, ein ganz artiges Mittel, mit einem Worte dem Dichter Beifall und dem Schauspieler Mißfallen zu bezeigen, und ich werde darauf bedacht seyn, für den umgekehrten Fall ein ähnliches ausfindig zu machen, wofür ich jedoch, da es zum Vortheil der Schauspieler gereichen wird, mir von den
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sämmtlichen Bühnen ein anständiges Honorar ausbedingen werde, ehe ich die Erfindung drucken lasse.
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