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Oeding, Fritz: Joachim Wilhelm von Brawe – ein vergessener Weißenfelser Dichter. In: Die Heimat. Blätter zur Erforschung der Heimatgeschichte und des Heimatgedankens. Folge II, Nr. 6 (Januar 1937). Weißenfels 1937. S. 61-62.

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Joachim Wilhelm von Brawe – ein vergessener Weißenfelser Dichter (1738-1758)

Von Fritz Oeding

Im Jahr 1756 setzt der Herausgeber der neuen Zeitschrift »Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freien Künste«, Christian Friedrich Nicolai, einen Preis aus für das beste deutsche Trauerspiel. Unter den Bewerbern befindet sich auch ein junger Leipziger Student, Joachim Wilhelm von Brawe aus Weißenfels.

Ob ein heute lebender Weißenfelser seinen Namen jemals gehört oder gelesen hat? – Und doch ist dieser Frühverstorbene eine große Hoffnung im Reiche der Dichter gewesen. Darum wollen wir ihm hier einige Zeilen widmen.

Das Geschlecht derer von Brawe gehört zu den ältesten deutschen Adelsgeschlechtern; es läßt sich bis ins 12. oder gar 11. Jahrhundert zurück verfolgen. Viele bedeutende Männer sind ihm entsprossen, und zu diesen muß man auch den Vater unseres Dichters rechnen, der 1741 Viezekanzler im Herzogtum Sachsen-Weißenfels war. Er hatte eine Dame aus dem alten fränkischen Rittergeschlecht von Heßberg geehelicht. Das älteste der fünf Kinder dieser Ehe war der am 4. Februar 1738 geborene Joachim Wilhelm, der – wie die alten Kirchenbücher sagen – vom Hofprediger Brehme in Weißenfels getauft wurde. Als der Knabe fünf Jahre alt war, wurde der Vater als Geheimer Kammer- und Bergrat ans Kammerkollegium in Dresden versetzt. Wenige Jahre darauf stirbt die Mutter, für Mann und Kinder ein schwerer Verlust.

Als Zwölfjähriger wird Joachim Wilhelm auf die Fürstenschule nach Pforta gebracht, die er nach fünfjährigem Besuch, am 28. Januar 1755, wieder verläßt. In seinem Abgangszeugnis lesen wir, daß er ein sehr fähiger Kopf auf einem schwachen Körper war.

Der Vater bestimmt ihn zum juristischen Studium, und so bezieht der Siebzehnjährige die Universität Leipzig, wo wir seinen Namen unter dem 1. Februar 1755 in der Immatrikulationsliste finden. Und nun geht es ihm wie so vielen Jüngern der alma mater jener Zeit: sie sind vom Vater zu irgend einem Studium bestimmt, das für sie aber nur Brotstudium wird, während ihre Neigungen ganz andere Bahnen gehen.

Lessing war 1755 nach Leipzig zurückgekehrt, und er und sein Kreis wurden scharfe Gegner des zur Zeit herrschenden literarischen Geschmacks, der seine Vorbilder aus Frankreich nahm, und dessen bedeutendster Verfechter der Professor Gottsched war. In den immer schärfer werdenden Streit der Geister um das Werden deutscher Dichtkunst, in Sonderheit um eine neue deutsche Tragödie, wurde nun auch Brawe hineingezogen, der einer der befähigtesten Schüler Lessings wurde. Mehr als das, er wurde sein Freund.

Als Ewald von Kleist 1757 als Major nach Leipzig kam, zog er zu seinen Abendgesellschaften Brawe hinzu, den man bald ständig in seiner Begleitung sah. Gellert, der damals Professor der Moral und der schönen Wissenschaften war, übte einen starken Einfluß auf ihn aus, und auch Gleim, der oft aus dem nahen Halberstadt herüberkam, faßte ein besonderes Interesse für den jungen, eifrigen Studenten.

In diesem fehdelustigen und angeregten Kreise schloß sich Brawe bald ganz auf. Seine dichterische Anlage wurde so befruchtet, sein Talent so gefördert, daß Kleist in ihm ein künftiges große[s] Genie sah, einen deutschen Corneille. Seine Begeisterungsfähigkeit, sein unermüdlicher Fleiß und seine tiefe <Seite 62:> Frömmigkeit wurden allgemein anerkannt; desgleich sein Trieb zur Tugend und die für sein jugendliches Alter bewunderungswürdige Gelehrsamkeit. Einer aus dem Leipziger Kreise hat von ihm gesagt: »Er besaß einen großen Geist, ein ebenso edles Herz, studierte mit einem unglaublichen Fleiß, hatte eine brennende Liebe fürs Theater und besaß soviel Wissenschaft, Einsicht und Kenntnisse, daß man ihn unter die frühzeitigen Gelehrten rechnen konnte.«

Als Nicolai dann den eingangs erwähnten Preis von 50 Reichstalern für das beste Trauerspiel über eine beliebige Geschichte aussetzte, bewarb sich Brawe mit einem Drama in Prosa, dem Freigeist. Trotz Lessings warmer Fürsprache wurde ihm der Preis nicht zuerkannt, aber sein Trauerspiel blieb bis ans Ende der siebziger Jahre ein Zugstück vieler Bühnen, von denen Berlin, Hamburg, Münster, Nürnberg, Darmstadt, Danzig und Prag genannt sein sollen.

Der Inhalt des Freigeists sei kurz skizziert: Ein junger Engländer, Clerdon, wird durch einen Nebenbuhler, Henley, zu Ausschweifungen und Freigeisterei verleitet. »Eben diese glänzenden Vorzüge«, so ruft der Verführer aus, »diese so gerühmten Tugenden, durch die er mir überlegen ward, beschloß ich, ihm zu rauben, aus dieser erhabenen Sphäre ihn herabzustoßen, ihn zum Lasterhaften, zum Frevler, ja womöglich zum Ungeheuer zu erniedrigen, ihn mit ebenso viel Schande zu überhäufen, als ihn zuvor Ehre krönte; und endlich, wenn ich ihn zu den schwärzesten Verbrechen hingerissen, ihn noch vielleicht jenseits des Grabes – oh, wie schwellt mein Herz der stolze Gedanke auf! – beseufzen zu lassen, daß er mich jemals beleidigt.« Clerdon hat Amalia geliebt, aber später schnöde verlassen. Trotzdem will ihr Bruder Granville ihn retten. Aber der Intrigant Henley weiß durch falsche Briefe und Lügen Clerdon so gegen seinen Freund aufzubringen, daß er ihn im Zweikampf ersticht. Henley enthüllt dann dem Verzweifelten die Rache, die er an ihm genommen hat, worauf Clerdon erst ihn und dann sich selbst ersticht.

Im gleichen Jahre vollendete Brawe dann noch ein Drama in Versen, den Brutus, der einmal in Wien aufgeführt, aber vom Publikum des Verses wegen abgelehnt wurde. Wenn wir uns daran erinnern, daß Schiller und Goethe viel später noch mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, so ist diese Ablehnung heute vielleicht als eine Ehre anzusehen.

Auf Betreiben des Vaters war dem jungen Brawe eine Stelle als Regierungsrat bei der Stiftsregierung in Merseburg bewilligt worden, die er 1758 nach Beendigung seiner Studien antreten sollte. (Man bedenke: mit 20 Jahren!). Aber Brawe ist nie nach Merseburg gekommen. Bei einem Besuch der Eltern – der Vater hatte wieder geheiratet – befiel ihn plötzlich heftiges Kopfweh und ein immer stärker werdendes Fieber. Das Bewußtsein schwand ihm, und in der Frühe des 7. April 1758 starb er in Dresden. Seine Zeitgenossen nahmen an, daß er in übersteigertem Ehrgeiz nach Ruhm und Bedeutung seine Körperkräfte zu früh verzehrt habe.

Sein Tod wurde überall beklagt. Auch Fernerstehende, die ihn persönlich gar nicht gekannt hatten, standen erschüttert an seiner Bahre. So klagte z.B. der Dichter Uz: »Er soll ein treffliches Genie und das beste Herz gehabt haben. Was für ein Verlust für Deutschland!« Und der Herausgeber seiner beiden Dramen, Ramler, schreibt in seiner Vorrede: »Was hätte ein so feuriger und fleißiger Dichter der Bühne nicht für Ehre machen können, wenn er länger gelebt hätte!«

Weißenfels kann auch auf diesen seinen Sohn stolz sein.


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