Bretschneider, Heinz: Ist er vergessen? Joachim Wilhelm von Brawe – ein viel zu früh verstorbener Weißenfelser Dichter. In: Weißenfelser Kreiszeitung. Hg. von der Kreisleitung der SED. 7. Jahrgang. Heft 9/1966. Weißenfels 1966. S. 6.
|
<Seite 6:>
Ist er vergessen?
Joachim Wilhelm von Brawe – ein viel zu früh verstorbener Weißenfelser Dichter
Wohl die wenigsten Bürger unserer Stadt wissen, daß in der Nikolaistraße 39 ein Weißenfelser Dichter seine Kindheit verlebte. Obwohl dieser Dichter nur 20 Jahre alt wurde, hat er sich mit seinen beiden Trauerspielen »Freigeist« und »Brutus« in seiner Zeit einen geachteten Namen erworben.
Am 4. Februar 1738 wurde Joachim Wilhelm von Brawe in Weißenfels geboren. Sein Vater war später Vizekanzler im Herzogtum Sachsen-Weißenfels. Als der Knabe fünf Jahre alt war, übrigens der älteste von fünf Geschwistern, wurde der Vater als Geheimer Kammer- und Bergrat ans Kammerkollegium nach Dresden berufen. Ein schwerer Verlust war für Joachim Wilhelm von Brawe der frühe Tod seiner Mutter. Von 1750 bis 1755 besuchte der junge Brawe die berühmte Landesschule von Schulpforte.
Zum Studium der Rechtswissenschaften ließ sich der Siebzehnjährige 1755 an der Universität Leipzig immatrikulieren. In Leipzig wirkten um diese Zeit die namhaftesten Vertreter der bürgerlichen Aufklärung Gotthold Ephraim Lessing und der Dichter volkstümlicher Fabeln Christian Fürchtegott Gellert. Auch der einflußreiche rationalistische Literaturtheoretiker Johann Christoph Gottsched gehörte zum geistigen Leipziger Leben des 18. Jahrhunderts. Joachim Wilhelm von Brawe wurde einer der befähigtesten Schüler und der Freund Lessings. Einen starken Einfluß übte auch Gellert, der damals Professor der Moral und der schönen Wissenschaften war, auf Brawe aus. In den Abendgesellschaften des Dichters Ewald von Kleist finden wir gleichfalls unseren jungen Weißenfelser Studenten. Sogar der Dichter Ludwig Gleim aus Halberstadt interessierte sich sehr für Brawe. In Leipziger Kreisen wurden der unermüdliche Fleiß und die Begeisterungsfähigkeit des jungen Brawe allgemein anerkannt. Kleist sah in ihm ein künftiges großes Genie.
Als 1756 der Herausgeber der Zeitschrift »Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freien Künste«, Christoph Friedrich Nicolai, 50 Reichstaler für das beste Trauerspiel aussetzte, bewarb sich auch Brawe mit seinem Drama »Freigeist«. Obwohl sich Lessing sehr für das Werk einsetzte, wurde Brawe der Preis nicht zuerkannt. Lange Jahre erfreute der »Freigeist« das Theaterpublikum, besonders in Berlin, Hamburg, Nürnberg, Münster, Darmstadt, Danzig und Prag. Im Jahre 1756 entstand auch Brawes zweites Trauerspiel »Brutus«, das durch seine neue Versform (fünffüßiger Jambus) bei der Aufführung in Wien 1770 nicht den gewünschten Erfolg brachte. Viel später wandten Goethe und Schiller für ihre Dramen gleichfalls die neue Versform an. »Freigeist« und »Brutus«, die beiden Trauerspiele des jungen Brawe, wurden von Christoph Friedrich Nicolai 1767 in seiner »Bibliothek der Wissenschaft« veröffentlicht.
Brawe sollte – auf Betreiben seines Vaters – nach Beendigung des Universitätsstudiums eine Stelle als Regierungsrat bei der Stiftsregierung in Merseburg erhalten. Diese Stelle konnte der Zwanzigjährige nicht antreten, da er bei einem Elternbesuch in Dresden am 7. April 1758 plötzlich starb. Seine Zeitgenossen waren der Meinung, daß er durch übersteigerten Ehrgeiz seine Körperkräfte zu früh verzehrt habe. Der Herausgeber seiner beiden Dramen, Ramler, schreibt über Brawe: »Was hätte ein so feuriger und fleißiger Dichter der Bühne nicht für Ehre machen können, wenn er länger gelebt hätte.«
Weißenfels kann stolz sein auf Joachim Wilhelm von Brawe, den hochbegabten, leider viel zu früh verstorbenen Dichter. Es wäre eine schöne Ehrung für Brawe, wenn das in der Nikolaistraße noch heute stehende Wohnhaus eine Gedenktafel erhielte.
Heinz Bretschneider
|