Zweiter Aufzug.
Erster Auftritt.
Granville, Miß Amalia.
Granville. Wie glücklich sind wir, meine Schwester! Nach einer
so langen Entfernung befinden wir uns wieder so nahe bei unserm
bedrängten Freunde.
Amalia. Hast du ihn bereits gesehen?
Granville. Ich sah ihn vorhin, ohne von ihm bemerkt zu werden.
Er eilte in den Garten an diesem Hause. Doch wie sehr –
Amalia. Sage mir vorher, ob wir fürchten müssen, daß ihm unsre
Ankunft, bevor es zu unserm Vorhaben bequem ist, wird bekannt
werden?
Granville. Ich fürchte nichts. Ich glaube genugsame Mittel
darwider vorgekehrt zu haben.
Amalia. So hast du den unglücklichen Clerdon gesehn? Er
beleidigte mich – dennoch kann ich für sein Schicksal nicht
unempfindlich sein.
Granville. Deine Empfindungen sind gerecht, er war für dich
bestimmt. Ein gleiches heiliges Band verknüpfte ihn mit mir; er
war mein Freund – trauriger Gedanke! Vielleicht haßt er mich
itzt, da ich ihn zu retten komme – als ich ihn sah – wie wahr
hat uns Truworths Brief seinen Zustand geschildert! – wie
verändert war er! Nicht mehr der blühende Jüngling, den die
Gesundheit, die Freude und Lebhaftigkeit überall zu begleiten
schienen. Sein verfallnes Gesicht war in kranke Schwermut und
finstern Verdruß eingehüllt, seine wankenden Schritte
verrieten Angst und Entsetzen. Der strafende Arm des Himmels
muß über ihn schon ausgestreckt sein; er büßet bereits – du
weinst, Schwester? –
Amalia. Du kennst mich, und es befremdet dich, mich bei seinen
Leiden gerührt zu sehn? Unglücklicher Jüngling! vielleicht sind
dies die Boten deines nahen Verderbens.
Granville. Laß uns beßre Hoffnung fassen. Vielleicht wird diese
Schwermut zur Quelle seines Glücks. Was ist der Zweck unsrer
Reise? Ist es nicht, einen liebenswürdigen jungen Menschen der
Tugend und Religion wieder zuzuführen, dessen Herz dieser
Bemühung nicht unwürdig ist? Und könnte wohl etwas unserm
Vorhaben günstiger sein, als wenn das in ihm wieder entfesselte
Gewissen uns den Weg dazu bahnte? Clerdon ist kein Unmensch. Ein
Bösewicht hat ihn verführt, allein seine Verblendung kann nicht
ewig währen.
Amalia. Du entzückst mich, Bruder; ja, mein Herz überläßt sich
dieser liebkosenden Hoffnung. Ich werde den Clerdon wieder
tugendhaft, wieder getreu sehn; ich werde ihn ohne Tadel wieder
lieben können: Mit welcher Freude werde ich mein Vermögen mit
ihm teilen. Sein Unglück, das ihm alles, nur mein Herz nicht
geraubt hat, macht ihn mir werter. Ich werde ihm also seine
Ruhe, seinen Wohlstand, seine Freude wiedergeben können.
Entzückender Gedanke! – Aber vielleicht liebt er mich nicht mehr –
sollte dieses sein – und warum zweifle ich? –
Granville. Fürchte nichts. Er wäre deiner unwürdig – ein
Ungeheuer, könnte er dich vergessen. Eine Liebe wie die seinige
kann durch lärmende Ausschweifungen übertäubt, niemals ganz
unterdrückt werden. Du selbst hast vor seiner Flucht aus London
häufige Merkmale davon gehabt – doch itzt entferne dich. Ich
habe den Clerdon um diese Zeit hieherrufen lassen – Ich werde ihn
rühren. Der unglückliche Fall, von dem ich ihm Nachricht bringen
muß –
Amalia. Sollte ihn auch diese Nachricht zu sehr niederschlagen?
Sie ist schrecklich; ich kenne sein zärtlich Gefühl und überdies
seine Schwermut – ach, sein Herz braucht keine neuen Wunden!
Schone ihn, setze ihn nicht in Verzweiflung.
Granville. Deine Neigung verführt dich. Einen Freigeist zu
rühren – Tränen entfallen mir, da ich dies von meinem besten
Freunde sagen muß –, kann nichts schrecklich genug sein –
Entferne dich nur und überlaß meiner Freundschaft diese Sorge.
Du weißt, ich bin nicht gemacht, jemand grausam zu begegnen.
(Amalia geht ab.)
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