Sechster Auftritt.
Clerdon, Granville.
Granville. Finde ich meinen Freund ruhiger!
Clerdon. Zum mindsten wünschte ich es.
Granville. Ihre edle Gesinnung und der vielleicht nicht ganz
unnütze Eifer meiner Freundschaft werden, wie ich mir
schmeichle, über Ihren Schmerz endlich die Oberhand gewinnen.
Nicht als wünschte ich in Ihnen ganz das Andenken Ihres Vaters
zu ersticken. Nein, beweinen Sie seinen Tod. Die Tugend liebt
diese Tränen. Den Rechtschaffnen bedauern, verrät das
Bestreben, ihm gleich zu sein. Nur beweinen Sie ihn als ein
Weiser, der weitere, erhabnere Aussichten vor sich hat. Doch es
ist unnötig, Ihnen das zu wiederholen, was Ihnen Ihre eigne
Überlegung bereits sagt. – Entdecken Sie mir nunmehr Ihre
Absichten; sind Sie gesonnen, nach London zurückzukehren?
Clerdon. Ich hatte mich dazu entschlossen, ehe ich den Tod meines
Vaters erfuhr. Aber itzt werde ich London nie wiedersehn.
Glauben Sie, mein Schmerz könne einen solchen Anblick ertragen?
Würden nicht selbst diese Gegenden mit stummen Vorwürfen mich
ängstigen? Würde nicht jenes Haus, das meinen Vater einst in
solchem Glanze und dann durch mich in solcher Dürftigkeit
erblickt hat, das vielleicht von dem frohlockenden Jauchzen der
Besitzer seiner unglücklichen Beute ertönt, würde nicht dieses
wider mich reden? würde es mich nicht als den Zerstörer seines
Glücks anklagen? – Und überdies ist noch etwas in London, das zu
schmerzliche Regungen in mir aufwiegeln würde – Warum sollte
ich's Ihnen verhehlen? ich war ein Unmensch, ich wagte es,
diejenige zu beleidigen – darf ich sie noch nennen? – die
liebenswürdigste – Ihre Schwester – und dennoch habe ich sie
stets verehrt, und noch itzt bete ich sie mehr als jemals an.
Sie wird, sie muß mich hassen, und ich sollte es wagen, ihr so
nahe und doch von ihr gehaßt zu sein?
Granville. Umarmen Sie mich, Clerdon, welch Entzücken
überströmet mich! Ja, ich finde den Freund, den edeln Clerdon
wieder, den ich sonst in Ihnen fand. Nun sind meine Wünsche
befriedigt. Sie werden glücklich sein, und wie glücklich bin
ich, daß ich etwas dazu beitragen kann! Wenn der Anblick von
London Ihrem annoch unbeugsamen Schmerz unerträglich ist, so
begleiten Sie mich auf mein Landgut; meine Schwester – doch,
Clerdon, noch ein schrecklicher Zweifel widersteht dem vollen
Ausbruche meiner Freude. Entlästigen Sie mich seiner. Wollen Sie
dem Befehle Ihres Vaters gehorchen? wollen Sie dem schmählichen,
dem verhaßten Namen und den Grundsätzen eines Freigeists
entsagen!
Clerdon. Entschuldigen Sie mich, wenn ich offenherzig rede. Ich
halte es für sehr unrühmlich, Vorurteilen, die man einmal
besiegt hat, sich gutwillig wieder zu unterwerfen.
Granville. Was höre ich? – Clerdon, mein Freund! – Ach wüßten
Sie, wie empfindlich Sie itzt mein Herz durchbohrten! Meine
schönsten Hoffnungen haben Sie in Ihrer Blüte verheert. So
halten Sie es denn vor rühmlicher, von dem größten, dem
edelsten und dem vernünftigsten Teile abzuweichen und sich zu
einer Rotte verwegner Bösewichter zu gesellen, die in Ansehung
ihres Verstandes des Tollhauses und in Ansehung ihres Herzens
der schimpflichsten Todesstrafe würdig wären? Verzeihen Sie mir,
wenn ich mich zu heftig ausdrücke; wie schwer wird es, gelaßner
hiervon zu reden!
Clerdon. Heftige Ausdrücke beleidigen; aber sie beweisen nichts.
Granville. Sind hier Beweise nötig? Würde ich nicht diesen so
oft beschämten, so oft wiederholten Zweifeln zu viel Ehre
erzeigen, wenn ich sie einer neuen Beantwortung würdigen wollte?
Würde ich nicht zugleich Ihrem Verstande einen gewiß ungerechten
Vorwurf machen, gleich als wüßten Sie nicht bereits, wie man
diese ohnmächtigen Phantomen, die Bosheit und Unverstand
erschaffen, niederkämpfen kann? Sie kennen Ihre Religion. Es war
eine Zeit, da Sie es würden für eine Beleidigung angesehn haben,
wenn man an Ihrer Verehrung gegen dieselbe gezweifelt hätte.
Durchforschen Sie sich unparteiisch. Wenn wurden Sie ein
Freigeist? War es nicht der unglückliche Zeitpunkt, mit dem sich
zugleich Ihre Ausschweifungen anfingen? War es nicht der Haß
gegen eine verdrüßliche Lehrerin, die Ihnen Ihre Fehler
verwies? war es nicht Stolz, Eitelkeit, Zerstreuung, die Sie
wider Ihren Schöpfer –
Clerdon. Schöpfer, Granville? Setzen Sie mich in die Klasse der
Gottesleugner?
Granville. Nein, Clerdon, eines solchen Grades der Raserei sind
nur die Verworfensten des menschlichen Geschlechts fähig. Ich
will es Ihnen zugestehn, Sie gehören zu denen, die auf das
stolze Bekenntnis einer natürlichen Religion trotzen. Allein muß
Ihr System davon nicht das verächtlichste Gespinst sein, das je
ein menschlicher Wahn zusammengewebt hat? Vernünftig handeln
wollen und mitten in einem verschwenderisch um uns her
ausgegoßnen Überfluß von Licht mit Gewalt sich die Augen
zudrücken; einen Schöpfer verehren, ihn erkennen wollen und
doch den vorzüglichsten Weg, uns von ihm zu unterrichten, sogleich
im voraus ohne alle Ursache sich verschließen und
zugleich sich mutwillig in Gefahr stürzen, als der undankbarste
Frevler gegen ihn zu handeln, wenn eine aus Parteilichkeit
verworfne Religion wahr sein sollte, die uns ihn –
Clerdon. Halten Sie ein. Mein Entschluß bleibt unerschüttert,
erwarten Sie nichts von Ihren Bemühungen.
Granville. Können Sie in diesem einzigen Punkte so unbeweglich
sein? So durchdrungen von dem Tode eines beleidigten Vaters, so
beugsam gegen das Andenken Ihrer vorigen Vergehungen und doch
so unüberwindlich gegen die Religion? Unbezwinglicher Stolz! –
ich muß das Äußerste versuchen, mit Schmerzen – doch Sie wollen
es – hören Sie also die schrecklichen Umstände, die den Tod Ihres
Vaters begleiteten, vielleicht machen Ihnen diese sein letztes
Gebot heiliger – Er starb im Kerker. Ihre Gläubiger – Sie kennen
die niedrigen und pöbelhaften Gesinnungen derselben, entblößten
ihn erst von allen, selbst den notdürftigsten Gütern. Von einem
grausamen Rechte unterstützt, da er, wie Sie wissen, Sie zu
retten, alle Ihre Schulden auf sich genommen, und Sie ihn vor
Ihrer Entfernung von London aller Mittel, sie zu tilgen, beraubt
hatten, warfen sie ihn in das schmählichste Gefängnis, ohne von
dem hülflosen und zitternden Alter dieses redlichen Greises, das
sie stillschweigend um Mitleiden anflehte, gerührt zu werden.
Clerdon. Die Unmenschen! – Entsetzliche Nachricht! – kann ich
sie nur anhören?
Granville. Die Dürftigkeit der Nahrungsmittel nebst dem Mangel
der Wartung entschieden hier bald sein Schicksal. Könnte ich
Ihnen alle Gegenstände des Jammers, die ihn umringten, schildern,
da ich ihn das letztemal erblickte; könnte ich Ihnen seine
verfallne, von den Spuren des traurigsten Mangels überdeckte
Gestalt, seine Mienen –
Clerdon. Grausamer Granville! nehmen Sie mein Leben, nehmen Sie
es, nur hören Sie auf, mich so zu peinigen.
Granville. Und Sie wollen die Bitte eines Vaters, der durch Sie
so viel erlitten und Sie doch so unaussprechlich, selbst da er
es litte, geliebt hat, fruchtlos sein lassen? Sie wollen in dem
zerstörenden Ungewitter, das Ihr Haus überfallen, nicht die
Winke Ihres beleidigten Schöpfers erkennen? Alles warnt Sie für
Ihrem Verderben, und Sie sind gegen alles taub? Geben Sie der
vereinigten Stimme der Pflicht und Freundschaft Gehör. Ihr Vater
ruft Ihnen aus jenen glänzenden Gegenden zu; folgen Sie ihm.
Lassen Sie nicht das Gebet, das er sterbend für Sie tat,
umsonst getan, die Tränen, die er für Sie vergossen, umsonst
vergossen sein! hören Sie die Bitten Ihres Granville. Nur Ihr
Wohl ist meine Absicht, Sie werden es dereinst erfahren. Sie
sollen in mir einen Freund und den, den Sie itzt beweinen,
zugleich finden. Meine Schwester, Ihre Amalia – Sie lieben sie
ja noch – fleht Sie mit mir mit Tränen an, hören Sie auf, Ihr
eigner tödlicher Feind zu sein – Und was für Sie das Wichtigste
sein muß, selbst Ihr Gott, den Sie so treulos verlassen, wider
den Sie sich so frevelhaft aufgelehnt haben, ermahnt Sie; kehren
Sie zurück. Denken Sie, er rede durch meine Stimme. Hüten Sie
sich, seine Warnung zu verachten. Vielleicht ist es die letzte.
Noch schont er Ihrer, noch brennt er, Sie zu retten, da Sie sich
bestreben, überall seine Verehrung zu vertilgen. Vielleicht ist
er ermüdet, vielleicht waffnet sich schon das Verderben – o
wende es ab, wende es ab, Langmütigster. Nimm mein Blut, mein
Leben, nur laß meinen Freund dir wieder unterwürfig werden! –
Sie scheinen erweicht, Clerdon? Ihre Tränen bekräftigen es.
Glückliches Merkmal! Versprechen Sie mir, zum mindsten eine
ernstliche Untersuchung darüber anzustellen, und ich habe
gesiegt.
Clerdon. Sie sind unwiderstehlich, Granville. Wenn es denn – ich
weiß nicht, was ich sagen soll – Sie wollen es, und ich muß –
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