Zweiter Auftritt.
Henley, Clerdon.
Henley. So eilig und bestürzt, Clerdon?
Clerdon. Retten Sie mich, Henley, retten Sie Ihren Freund. Man
sinnt auf meinen Untergang; man ist noch nicht mit den
Bedrängnissen vergnügt, die mich bereits niederbeugen. Ich habe
Feinde, ich kenne sie nicht – vielleicht habe ich sie nie
beleidigt – eine dunkle und unterbrochne Warnung, ein Brief von
einer verborgnen Hand lehrt mich sie fürchten, ohne sie mir zu
nennen.
Henley. Meine Bestürzung gleicht der Ihrigen. Befriedigen Sie
meine Ungeduld. Entwickeln Sie diese fürchterlichen Geheimnisse.
Clerdon. Ihr Diener begegnete mir heute. Sein bleiches und
verändertes Gesicht verriet die aufgebrachten Bewegungen seiner
Seele. Schrecken und Abscheu schienen ihn ganz überwältigt zu
haben. Er verlangte von mir ein vertrautes Gehör. Seine dunkeln,
abgebrochnen, schüchternen Reden ließen mich soviel erraten,
daß man mich unter der Decke der Freundschaft hintergehen und
unglücklich machen will. Er entfernte sich, ohne sich deutlicher
auszudrücken. Die Furcht schien ihn mit Gewalt zurückzuhalten.
Henley (für sich). Ha! der Verräter! Kaum daß ich meine Wut
bezähmen kann!
Clerdon. Dieses würde mich wenig beunruhigen. Doch itzt erhalte
ich einen Brief von einen Unbekannten, der meine Besorgnis nur zu
gegründet macht. Hören Sie ihn selbst; Sie werden mir beifallen.
(Er liest.) "Man glaubt sich um Sie verdient zu machen, wenn man
Sie für einer Gefahr warnt, die eine unbegreifliche Verblendung
Ihren Blicken verbirgt. Hüten Sie sich. Eine Hand, die um so
gefährlicher, da sie versteckt ist, droht Ihnen den tödlichsten
Streich. Sie haben einen Freund, Sie schätzen ihn über alles,
Ihr ganzes Herz ist ihm offen; und er – ist ein Bösewicht, Ihr
Todfeind. Durch entsetzliche und unerhörte Verbrechen bereitet
er Ihnen insgeheim den Untergang. Die Furcht, entdeckt zu
werden, befiehlt, seinen Namen zu verschweigen. Sie werden selbst
die besten Mittel wissen, diesen frevelhaften Absichten zuvorzukommen;
dies einzige bittet man Sie, gehn Sie mit diesem Briefe
behutsam um; sein Urheber ist verloren, wo man ihn entdeckt."
Nun? ist meine Furcht ungerecht?
Henley (für sich). Wie nahe, verraten zu werden? ich zittre –
der Bösewicht! auch dieser Brief ist von ihm.
Clerdon. Sie antworten nichts, Henley?
Henley (für sich). Itzt komme ich auf die glücklichste List,
selbst dieser Brief soll mir behülflich sein, ihn wider
Granvillen aufzubringen. (Zum Clerdon.) Entschuldigen Sie mich,
daß ich Ihnen nicht gleich antwortete. Ein innerlicher Kampf
band meine Zunge. Ich fürchtete, wenn ich Ihnen das eröffnete,
was dieses ganze unglückliche Geheimnis aufschließen muß, mir
den Schein eines niederträchtigen Zerstörers freundschaftlicher
Verbindungen zuzuziehn. Doch Ihre dringende Not siegt über
alle meine Bedenklichkeiten. Sie sollen es erfahren – die
entsetzlichste Treulosigkeit, die jemals ausgedacht worden;
Granville – Sie zittern, da Sie diesen Namen hören; bald wird er
Ihnen nichts als Schauer und Abscheu erwecken –, Granville hat
mir eben itzt einen Brief übersendet. Sie wissen, wie frostig er
sich vorhin gegen mich bezeigte; sollten Sie wohl glauben, daß
dies alles nur Verstellung war? Sein Brief bezeuget es. Er fängt
mit den heftigsten Klagen über die Beleidigungen an, die ihm und
seiner Schwester von Ihnen widerfahren sind. Er hielte sie, wie
er versichert, für unverzeihlich und sich zur strengsten Rache
berechtigt. Ebendiese sei die Absicht seiner Reise; doch müsse
er sich noch gegen Sie verstellen. Die Anwesenheit seiner
Schwester, die ihn hieher begleitet, habe er Ihnen mit Fleiß
verhehlt; er wüßte, wie eifrig ich mich einst um ihre Gunst
beworben; itzt böt' er sie mir mit der Hälfte seines väterlichen
Vermögens an. Unsre Verbindung sollte sogleich vollzogen
werden.
Clerdon. Was höre ich? Mein ganzes Blut erstarrt.
Henley. Er setzte hinzu, er wüßte, Sie beteten seine Schwester
an, und ebendarum wollte er Sie auf der empfindlichsten Seite
angreifen; dies würde der geschickteste Weg sein, seine
verletzte Ehre zu rächen, Sie gänzlich niederzuschlagen und
öffentlich über Sie zu triumphieren, wenn er Ihnen Ihre Verlobte
und mit ihr alle Mittel raubte, Ihren bedrängten Umständen
jemals wieder aufzuhelfen.
Clerdon. Nein, ehe soll er sterben – der Unmensch! – Was hält
meine Wut noch zurück? – ich eile zu ihm – von meiner Hand soll
er sterben, der Treulose! – Doch Sie, Henley, befreien Sie mich
von diesem quälenden Zweifel, haben auch Sie sich wider mich
verschworen?
Henley. Wie können Sie einen solchen Argwohn bei sich aufsteigen
lassen? Widerspricht ihm nicht mein ganzes Verfahren? Würde ich
nicht geschwiegen haben, wäre ich nur im mindsten zweifelhaft
gewesen? Es ist wahr, ich liebte Miß Granville, solange der
Vorzug, den man Ihnen gab, meine Liebe nicht strafbar machte;
Eine günstige Gelegenheit bietet sie mir itzt an. Ein ansehnlich
Vermögen erhöht noch die schimmernde Lockung. Meine Umstände –
Sie wissen es selbst – raten mir, es nicht auszuschlagen. Doch
verabscheut sei das Glück, das sich auf den Ruinen meines
Freundes erhebt! Nein, Clerdon, ich will den Gesetzen der
Freundschaft mein Glück, ja meine zärtlichste Leidenschaft
aufopfern. Ich liebe Sie höher als mich. Sie sollen es erfahren,
Sie sollen erkennen lernen, wer von uns beiden den Vorzug in der
Freundschaft verdient, Granville oder ich.
Clerdon. Sie sind die Großmut selbst. Mein Leben ist eine
zu geringe Belohnung für diese edle Gesinnung. Soviel
Zärtlichkeit, Uneigennützigkeit, Hoheit der Seele – ach
verzeihen Sie, daß ich zwischen Ihnen und Granvillen jemals
zweifelhaft gewesen bin – Doch ist's möglich? kann ich diese
abscheuliche Niederträchtigkeit glauben? So ein schwarzes
Verbrechen von Granvillen?
Henley. Mir selbst war es anfangs unbegreiflich. Ich wagte es
nicht, meinen Augen zu trauen. Doch alles bekräftigt es
unwidersprechlich. Selbst der Brief, den Sie empfangen haben,
erklärt ihn für schuldig. Denn wen könnte er sonst anklagen?
Vermutlich hat Granville einem gemeinschaftlichen Freunde von
Ihnen beiden seine rachgierigen Absichten anvertraut, dem haben
Sie diese Warnung zu danken.
Clerdon (staunend). Granville kann treulos handeln?
Henley. Hätte Ihnen doch Ihr edelmütiges und über alles
Mißtrauen erhabnes Herz eher erlaubt, die Falten des seinigen zu
durchschauen. Ich bekenne es, schon lange haben nur zu gewisse
Nachrichten einen geheimen Argwohn gegen ihn bei mir unterhalten –
vielleicht war es meine Schuldigkeit, es Ihnen eher zu melden –
ich fürchte, seine verborgne Feindschaft hat nicht wenig
beigetragen, Ihre Gläubiger mit unerbittlicher Strenge zu
bewaffnen.
Clerdon. Granville kann treulos handeln!
Henley. Ich sehe es, Ihr Herz weigert sich, ihn für einen
Verräter zu halten. So lesen Sie denn diesen Brief selbst; Sie
kennen seine Hand. Dieser muß Sie einem vielleicht
schmeichelhaften, aber gefährlichem Irrtume entreißen – (Für
sich, indem Clerdon liest.) Seine Blicke sind Wut – ich
triumphiere.
Clerdon (nachdem er ihn durchgelesen). Ich habe ihn gelesen, und
ich verfluche seinen Urheber. Dieser Augenblick ist der Tod
unsrer Freundschaft. Wo Rache, Wut, Verzweiflung – Worte
mangeln meinen Empfindungen – Welche abscheuliche Gesinnungen
entweihen dieses Blatt! Er beschwört Sie – der Treulose! – er
beschwört Sie, mir alles so lange zu verhehlen, bis die
Verbindung mit seiner Schwester völlig geschlossen und sie dann
beide öffentlich über mich triumphieren könnten – triumphieren?
Ja, ich will ihnen die Freude dieses Triumphs verbittern. Lassen
Sie mich, ich eile zu ihm, meine Rache –
Henley (der ihn zurückhält). Wo wollen Sie hin, Clerdon? Ihre
Hitze macht Sie unbedachtsam. Granville kann vielleicht den
Augenblick zu Ihnen kommen. Allein wo Ihnen unsre Freundschaft
teuer ist, wo Sie mir einige Erkenntlichkeit für das, was ich
Ihnen heute aufopfre, schuldig zu sein glauben, so verhehlen Sie
ihm unsre Unterredung. Nie kann man vorsichtig genug sein,
Freundschaften aufzurichten, und nie vorsichtig genug, schon
geschloßne zu trennen. Es ist wahr, Sie haben bereits
unverwerfliche Zeugnisse von Granvillens Treulosigkeit. Wird es
indessen nicht besser sein, auch dem mindsten Scheine der
Ungewißheit auszuweichen? Reden Sie mit dem Granville,
verstellen Sie sich, tun Sie, als hätte Sie sein Vorschlag, mit
ihm ein Einsiedler zu werden, überredet. Lenken Sie das
Gespräch auf seine Schwester. Finden Sie, daß uns der Brief nicht
hintergangen hat, daß seine Schwester gegenwärtig ist und er es
doch für Ihnen verborgen hat, so ist leider – Sie werden es
selbst wissen, welche unglückliche Folgerung Sie daraus ziehen
müssen – doch wie sehr wünschte ich, wir irrten uns, und
Granville wäre unschuldig!
Clerdon. Ich fürchte, dieser Versuch wird mir mühsam werden. Ich
war stets zu stolz, die Verstellung zu Hülfe zu rufen, und da
ich in ihren Künsten ein Fremdling bin, versagt sie mir
vielleicht itzt ihren Beistand.
Henley. Und dennoch müssen Sie alle Ihre Kräfte aufbieten, in
diesem Versuch glücklich zu sein. Ich wiederhole es, so teuer
Ihnen unsre Freundschaft, ja Ihr eigen Wohl ist – doch es kommt
jemand; vielleicht ist's Granville – Noch einmal, liebster
Clerdon, beschwöre ich Sie –
Clerdon. Fürchten Sie nichts; Ihren Wunsch zu befriedigen, würde
ich auch das schwerste Geschäfte nicht ausschlagen.
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