Sechster Auftritt.
Clerdon, Amalia, Granville.
Clerdon (für sich). Was seh' ich! – Himmel! – Granvillens
Schwester! –
Granville. Entschuldige mich, meine Schwester, bei unserm
Freunde, daß ich ihm deine Anwesenheit nicht eher entdeckt
habe. Er zürnt mit mir wegen dieser Verbergung; deine Fürsprache
wird ihn vielleicht besänftigen. (Zum Clerdon.) So bestürzt,
Clerdon?
Clerdon. Verzeihen Sie mir, Miß, meine Verwirrung – dies
unvermutete Glück – Ihre Gegenwart – das Andenken meiner
Verbrechen –
Amalia. Die Bewegung, in der ich Sie erblicke, läßt mich hoffen,
daß mein Andenken bei Ihnen noch nicht ganz erloschen ist.
Clerdon. Ich sollte Sie vergessen – Wie? haben Sie jemals einen
so grausamen Gedanken von mir fassen können? – doch worüber
beschwere ich mich? Haben Sie nicht meine frevelhaften
Ausschweifungen –
Granville. Erwähnen Sie ihrer nicht, Clerdon; auf ewig müssen
sie künftig aus unsern Unterredungen verbannt sein. Sie müssen
dieses marternde Andenken unterdrücken.
Clerdon. Kann ich es jemals, da ich Sie, Miß, dadurch
beleidigte? Doch Sie sind gerächt. Ich seufze unter einer Last
von Unglücksfällen – und ich habe sie alle verdient – zwar nie
dadurch, daß ich aufgehöret hätte, Sie anzubeten; nein, Miß,
nicht einen Augenblick ist Ihr Bild aus meinem Herzen verdrängt
worden, selbst da nicht, da ich der unempfindlichste Bösewicht
zu sein schien; selbst da ängstete es mich mit rächenden Qualen.
Der Gedanke, von Ihnen gehasset zu werden, hat alle meine Leiden
zu einer Höhe emporgetrieben, die mir den Tod wünschenswert
macht. Ich fühle seine herannahende zerstörende Gewalt, und
vielleicht wird im kurzen – Sie scheinen gerührt, Miß, Ihre
Augen fließen von gütigem Mitleiden über, (er wirft sich ihr zu
Füßen) ach, ich bin dessen unwert!
Amalia. Stehn Sie auf; mein Herz redet für Sie. Ich weiß nicht
mehr, daß mich Clerdon jemals beleidigte.
Clerdon. Himmlische Gütigkeit – teuerste, großmütigste Miß,
können Sie das zu einem so verworfnen Verbrecher sagen?
Unaussprechliches Glück! – ich kann es nicht fassen. Vergeben
Sie diesen überströmenden Freuden, dieser hinreißenden
Zärtlichkeit – hier zu Ihren Füßen lassen Sie mich (er will sich
ihr zu Füßen werfen) – doch – was tue ich? (Für sich.) Ich soll
sie verlieren? Entsetzlicher Gedanke!
Amalia. Sie erschrecken mich, Clerdon. Woher diese jählinge
Veränderung? Sie wenden sich weg, die Verzweiflung ist in Ihren
Augen.
Clerdon (außer sich). Ich soll Sie verlieren!
Amalia. Welche entsetzliche Blicke werfen Sie auf mich? Fassen
Sie sich, Clerdon, rufen Sie Ihre verirrten Sinne zurück.
Granville. Liebster Clerdon – das Entsetzen widersteht meinen
Worten – Liebster Clerdon, erwachen Sie aus dieser schauervollen
Betäubung. Kennen Sie mich nicht mehr, kennen Sie nicht mehr
Ihren Granville?
Clerdon (heftig). Ja, ich kenne ihn.
Granville. Ihr Ton ist wütend, Ihre Blicke strahlen nichts als
Grimm und Abscheu auf mich, Sie stoßen meine Arme, die Sie zu
umfassen begehren, mit Unwillen zurück? O mein Freund –
Clerdon. Entweihen Sie diesen Namen nicht; es war eine Zeit, da
er die Wollust meines Ohres war –
Granville. Und diese Zeit ist vorbei? und das mußte ich jemals
von Ihnen hören? Doch Sie bleiben mein Freund. Mit so vieler
Grausamkeit Sie mir auch begegnen, so können sich meine Lippen
doch nicht gewöhnen, Sie anders als Freund zu nennen.
Clerdon. Warum zerreißen Sie mein Herz, Unglücklicher? Es ist zu
schwach, Ihren schmeichelnden Künsten zu widerstehn. Nehmen Sie
mein Leben, ich überlasse es Ihnen, suchen Sie nicht durch
marternde Umschweife eine Rache zu sättigen –
Granville. Ich an Ihnen meine Rache sättigen? ich Ihr Leben
rauben? Mit Entzücken würde ich für Sie das meinige aufopfern –
Ihr Bezeigen, Clerdon, bestätigt nur zu sehr meine Furcht – Sie
müssen etwas vor mir verhehlt halten – einen Verdacht, der mich
in Ihren Augen zum Ungeheuer macht.
Amalia. Ihre Reden haben alles in mir in Aufruhr gesetzt. Klären
Sie, ich beschwöre Sie, die fürchterlichen Dunkelheiten auf.
Clerdon. Möchte eine ewige Nacht sie begraben! möchte ich diese
Abscheulichkeiten nie erkannt haben! Grausamer Freund, daß du
mir sie eröffnetest! Warum werd' ich nicht unwissend ihr Opfer.
Amalia. Können Sie gegen meine Bitten so fühllos sein? Wo Sie
mich jemals geliebt haben, Clerdon – und Sie versicherten mich
ja, daß Sie mich noch liebten, so stillen Sie mein Verlangen,
erklären Sie dieses traurige Geheimnis.
Clerdon. Wo Sie es noch nicht wissen, so wünschen Sie nie, es zu
erfahren. Graun und Entsetzen ruhen darauf, eine Hölle von
Frevel ist darinnen beisammen. Noch einmal beschwöre ich Sie,
Miß, dringen Sie nicht weiter in mich, ich würde die heiligsten
Rechte der Freundschaft und Vertraulichkeit verletzen, wenn ich
Ihnen gehorchte.
Amalia. So wollen Sie unerbittlich bleiben, so wollen Sie mich
der Angst, dem Schrecken, den heftigsten Qualen – und die ich
für Ihr Schicksal fühle – aufopfern? Können Sie mich über eine
Sache, die Ihr Wohl so nahe angeht, unruhig lassen? – Vielleicht
wissen Sie nicht, wie nahe das meinige damit verwandt ist –
Hören Sie auf, meinem Flehen länger zu widerstehen. Wenden Sie
Ihre Blicke nicht weg, suchen Sie sich nicht gegen die Gewalt
meiner Tränen zu verhärten. Ihr Herz, Clerdon, schien einst
nicht zur Fühllosigkeit geschaffen zu sein.
Granville. Geben Sie den vereinigten Bemühungen der Liebe und
Freundschaft nach. Haben Sie Mitleiden mit den tötenden
Schmerzen, womit Ihr hartnäckiges Schweigen mich erfüllt.
Vormals in den glücklichen Tagen unserer Freundschaft – warum
mußten diese so schnell vorüberrauschen? – empfanden Sie die
geringste Bekümmernis, die mich angriff, heftiger als ich
selbst.
Clerdon. Ich fühle es, meine Standhaftigkeit ermattet. Wie
schwer ist es, Ihnen zu widerstehen, Miß! Ihre Reden haben einen
Kampf in mir entzündet, den ich nicht länger aushalten kann. Ich
würde treulos handeln, wo ich Sie nicht flöhe. Entschuldigen Sie
mich, eine gebieterische Notwendigkeit zwingt mich dazu.
(Clerdon geht ab.)
|