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UEBERSICHT.

Rhynsolt und Sapphira, ein prosaisches Trauerspiel in drei Handlungen von Christian Leberecht Martini, [1] noch 1755 erschienen, 1756 von Ackermann aufgeführt. [2] Der Stoff ist aus Gellerts Erzählung Rhynsolt und Lucia genommen; [3] die ganze Handlung, die bei Gellert mindestens einige Tage umfasst, ist in eine Nacht zusammengedrängt.

Rhynsolt, ein Günstling Karls des Kühnen, sucht die Gunst Sapphiras zu erlangen; da es ihm auf keine andere Weise gelingt, verdächtigt er ihren Mann, den Kaufmann Danfeld durch falsche Zeugen und untergeschobene Papiere und bringt den Herzog so weit, dass er ihn zum Tode verurtheilt und ihm selbst, dem Rhynsolt, die Ausführung der Strafe überträgt. Rhynsolt lässt nun Sapphira die Wahl, sich ihm hinzugeben oder ihren Gemahl sterben zu sehen; sie schwankt lange; endlich ist sie entschlossen, ihren Mann zu retten. Rhynsolt hat trotzdem das Urtheil vollziehen lassen und als sie in den Kerker kommt, um sich an dem Unglücke Danfelds Muth zur Ausführung ihres Entschlusses zu holen, findet sie ihn bereits enthauptet. Karl erfährt noch in derselben Nacht das ganze Lügengewebe, zwingt Rhynsolt sich mit Sapphira zu vermählen, ihr sein ganzes Vermögen zu verschreiben und lässt ihn dann ebenfalls hinrichten. In fabelhafter Eile geht die Handlung an uns vorbei; die Reden scheinen manchmal fast nur skizzirt; auf Sapphiras grässlicher Entteuschung und auf Rhynsolts teuflischer Freude an derselben verweilt der Verfasser am längsten mit unverkennbarem Behagen.

Eine Umbildung dieses 'mittelmässigen' Trauerspieles beabsichtigte Herder [4] 1766, in derselben Zeit, wo er über Brawes Freigeist zu schreiben vorhatte und selbst den Plan <Seite 82:> zu einem dreiactigen bürgerlichen Trauerspiele Mendoza und Alvere entwarf, 'welches entfernt an Miss Sara Sampson erinnern kann'. [1]

Lucie Woodvil, ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen von Johann Gebhard Pfeil, 1756 erschienen [2] und noch in demselben Jahre von Ackermann in Danzig und an andern Orten mit grossem Beifalle aufgeführt. [3]

Lucie ist eine aussereheliche Tochter von Wilhelm Southwell, der sie nach dem Tode seiner Frau in sein Haus aufnimmt, ohne dass sie selbst und ihre Umgebung eine Ahnung von der bestehenden Verwandtschaft haben. Wilhelms ehelicher Sohn Carl verliebt sich in Lucie; sie gibt sich ihm ganz hin. Obgleich er weiss, dass sie ein Kind von ihm unter dem Herzen trägt, will er Amalie, die Tochter eines Freundes seines Vaters Sir Roberts heiraten; die Väter sind damit einverstanden; aber die Liebe zu Lucie ist nicht erloschen. Lange schwankt er, bis ihm die grossmüthige Amalie selbst Lucien in die Arme führt. Er begehrt sie von seinem Vater zur Frau. Dieser, entsetzt über die unselige Geschwisterliebe, verweigert sie ihm. Carl vermählt sich heimlich mit ihr; als der Vater dies erfährt, lässt er Carl mit Gewalt wegschaffen, um ihn nach America zu transportiren; er entflieht und kehrt zurück. Inzwischen hat Lucie auf Anstiften ihrer Kammerzofe Betty Carls Vater ermordet, weil sie meint, er sei selbst in sie verliebt und habe nur deswegen Carl von ihr getrennt. Sie erfährt von Sir Robert, dass der getödtete ihr Vater gewesen und ermordet zuerst Betty, dann sich selbst; Carl wird wahnsinnig.

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Die Lissaboner, ein bürgerliches Trauerspiel in einem Acte von Christian Gottlieb Lieberkühn, [1] am 29. Januar 1757 von der Schuhischen Gesellschaft in Breslau aufgeführt, 1758 daselbst erschienen.

Don Pedro, ein junger Portugiese liebt Isabelle und ist so gut wie verlobt mit ihr, als ein reicher schottischer Edelmann Sir Carl die Gunst ihrer Mutter Elvire zu gewinnen weiss, auf deren Zureden sich ihm Isabelle geneigt zeigt, ohne dass Pedro zunächst etwas davon erfährt. Aber Sir Carl will Isabelle nach England entführen, ohne sie zu heiraten; der Plan ist gemacht, das Schiff steht bereit: das Erdbeben von Lissabon tritt dazwischen. Das Stück beginnt unmittelbar nach demselben und spielt auf einem Landhause von Isabellens Vater, Don Diego, vor der Stadt. Pedro sucht dort seine Geliebte auf, um sich von ihrem Wohlsein zu überzeugen. Der Vater theilt ihm ihre Sinnesänderung mit. Pedro ist unglücklich, der Vater verspricht, ihn zu unterstützen. Isabelle gesteht, dass sie Sir Carl nur geliebt, weil es der Wunsch ihrer Mutter gewesen. Als Sir Carl diese neue Wandelung erfährt, wird er wüthend, will sich rächen, Elvire und Pedro ermorden, in der Hoffnung, dem Vater allein die Tochter leicht entführen zu können. Er verwirklicht seinen Plan. Pedro lässt er durch seine Leute, unter dem Vorwande, dass ein sterbender Freund ihn zu sprechen wünsche, in ein baufälliges Haus locken und durch herabgeworfene Steine tödtlich verwunden; er wird entdeckt und muss fliehen. Aber schon vorher hat er Elviren Gift in den Thee gemischt, den durch Zufall Isabelle trinkt, Elvire ersticht sich aus Reue, der Vater bleibt allein am Leben.

Der Renegat, ein bürgerliches Trauerspiel in fünf Aufzügen, von Karl Theodor Breithaupt, im October 1757 zur Nicolaischen Preisbewerbung eingesendet, aber erst 1759 gedruckt. [2]

Edward, ein junger Engländer, mit seinem Vater Grandlove unversöhnlich entzweit, ist in die Türkei geflohen und <Seite 84:> unter dem Namen Zapor Muselmann geworden. Sein Vater empfand bald Reue über seine Grausamkeit und schickte ihm zuerst seinen alten Vertrauten Welwood nach, der Zapor vergebens zu bekehren sucht und ihm lästig fällt; später reist ihm Grandlove selbst mit seiner Tochter Therise nach; sie erleiden Schiffbruch, werden gerettet und an den Aufenthaltsort Zapors gebracht. Grandlove erfährt von Welwood, dass sein Sohn noch lebe; er verschweigt ihm aber, dass er vom Glauben abgefallen. Zapor sieht nur Therise, verliebt sich in sie und will sie heirathen, wenn sie Muhamedanerin wird. Welwood setzt seine Bekehrungsversuche fort; Zapor wird seiner steten Predigten so überdrüssig, dass er sich seiner entledigen will; in der Dunkelheit trifft er aber seinen Vater, ermordet diesen und, als er ihn erkennt, sich selbst.

Der Renegat ist eine Schicksalstragödie im Sinne von Müllner, Houwald und Werner; auch das unheimliche, grauenhafte der Ermordungsscene erinnert an jene Gattung von Dramen. Hettner [1] hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Lessings Fragmente 'Das Horoskop', sowie in einigen Stoffmotiven der Collectaneen Aehnlichkeit mit der später so verrufenen Schicksalstragödie finde und er führt das ganz richtig auf den Oedipus Rex, überhaupt auf Lessings Sophokles-Studien zurück: hier treffen wir nun ein Beispiel aus noch früherer Zeit.

In der Vorrede sagt Breithaupt er habe sein Stück vor der Veröffentlichung umgearbeitet, 'oder besser zu sagen, ein ganz neues verfertiget, indem nicht einmal zween Verse von dem vorigen ohne Aenderung geblieben sind'. Die in der Bibl. d. sch. W. mitgetheilte Scene zwischen Vater und Sohn [2] bestätigt dies; sogar die Namen sind verändert: Grandlove heisst dort Bridge, Zapor dort Korkud.

Der Renegat wurde ein beliebtes Repertoirestück; [3] für die Aufführung in Wien [4] überarbeitete es Stephanie; <Seite 85:> diese Ueberarbeitung erschien 1764 daselbst. Sie ist im Wesentlichen nur eine Verkürzung; erst im letzten Acte finden sich einige Aenderungen, von denen eine als Beispiel hier folgen mag. Im Original sagt der Sohn zum Vater, als dieser ihm trotz der Ermordung verzeiht:

Wer bist du, Göttlicher, der mir verzeihen kann?
Ein Engel oder wer? kein erdgeborner Mann!

Statt dieses Verspaares fügt Stephanie folgendes ein:

Du nennest mich noch Sohn? Umarmen willst Du mich?
Verzeihen willst du mir? Und ich ertödte dich!

Clementina von Porretta von Wieland, 1760 erschienen, ist wohl in der Reihe dieser bürgerlichen Trauerspiele zu nennen, kömmt aber als Bearbeitung des Richardsonschen Romanes nicht weiter in Betracht; [1] ebenso Clarissa, 'ein bürgerliches Trauerspiel, in drei Aufzügen, nach Anleitung der bekannten Geschichte', von J. H. Steffens, [2] das 1765 erschien.

Der Bankerot, ein bürgerliches Trauerspiel von J. J. Dusch, 1763 erschienen, [3] ist gewiss durch die Miss Sara angeregt, welche Dusch 1758 zu einem kritischen Briefwechsel veranlasst hatte; [4] das Stück selbst baut sich in höchst trockener, Gottschedischer Art auf einer Namensverwechselung auf, in Folge deren eine Familie fälschlicher Weise Bankerot erleidet, und hat glücklichen Ausgang; es entlehnt aus der Miss Sara nur den Rahmen des Familienlebens und die prosaische Sprache.

Miss Fanny, ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von J. C. Brandes, 1766 erschienen, [5] später umgearbeitet <Seite 86:> unter dem Titel: Der Schiffbruch, im achten Bande der dramatischen Schriften.

John Siward, der bei herrschenden Unruhen aus England fliehen musste, übernahm die Herrschaft über eine Insel und trat dieselbe später an seinen Sohn William ab, der ein Tyrann wird und seinem Vater jede Achtung versagt. Johns Gattin und Tochter erlitten Schiffbruch, als sie zu ihm reisen wollten; die Tochter wird gerettet und unter dem Namen Fanny in England erzogen. Sie verliebt sich in Nelton; dessen Vater gibt die Heirat nicht zu; die Liebenden entfliehen, ein alter Diener Johns, Namens Steely, mit ihnen; sie erleiden wieder Schiffbruch, kommen gerettet allein auf die von Siward beherrschte Insel. William verliebt sich in seine Schwester, und will Nelton tödten; der Vater, stets ein Beschützer der Unschuld, legt sich ins Mittel. William, des Vaters und seiner häufigen Ermahnungen überdrüssig, beschliesst ihn und Nelton zugleich unschädlich zu machen. Nelton wird von dem Diener Bates gereizt, William zu ermorden; der Vater soll untergeschoben und Nelton als Mörder eingezogen werden. Bates warnt den Vater, der inzwischen gerettete Steely wird in der Dunkelheit statt seiner ermordet. William tödtet Fanny, er selbst wird von Nelton erstochen; der Vater und Nelton bleiben am Leben.

Carl von Drontheim, ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von O. N. Baumgarten, 1765 zu Berlin erschienen, [1] zeigt mit dem Freigeist in Stoff und Form eine so grosse Aehnlichkeit, dass es wohl als Nachahmung desselben angesehen werden muss. Carl wurde durch seinen falschen Freund Blackville von 'Tugend und Religion' abgebracht; seiner Mutter und seinem Freunde Grandfeld gelingt es, nach mehreren vergeblichen Versuchen, ihn seinem ausschweifenden Lebenswandel zu entreissen und zu seinen früheren Ansichten <Seite 87:> zurückzubringen. Aus Rache sucht ihn Blackville bei der Entführung einer unbekannten Reisenden zu misbrauchen, unter dem Vorwande, sie sei seine Schwester, die er aus den Händen eines grausamen Vormundes befreien müsse. Blackville verwundet den greisen Begleiter des Mädchens; Carl ist ihm bei der Flucht behilflich. Die Reisenden sind, wie sich ergiebt, Carls Grossvater, den er seit frühester Jugend nicht gesehen und dessen Enkelin Wilhelmine, die für Carl bestimmte Braut. Carl jagt dem enteilenden Verführer nach, rettet das Mädchen; wird aber von Blackville tödtlich verwundet; dieser ermordet sich selbst. Carl überlässt sterbend Wilhelmine, die er vom ersten Augenblick an geliebt, seinem treuen Freunde Grandfeld.

Die Aehnlichkeit mit dem Freigeist zeigt sich besonders in den ersten beiden Acten, in denen die Ueberredungsscenen wie im Freigeist parallel neben einander laufen, getrennt durch kurze Monologe des hin- und herschwankenden, unschlüssigen Carl.

Amalia, ein Trauerspiel in fünf Aufzügen 1766 (Frankfurt und Leipzig) von einem unbekannten Verfasser.

Amalia ist nach Paris gereist, um einen Erbschaftsprocess zu Ende zu führen; Graf Charles lernt sie kennen und vermählt sich heimlich mit ihr, ohne Wissen seines und ihres Vaters. Cleont, Charles' Vater, will diesen an ein anderes Mädchen verheiraten; er erfährt durch Sanville, den falschen Vertrauten Charles', von der Vermählung mit Amalia, lockt ihn von ihr weg; und inzwischen entführt sie Sanville, der selbst in sie verliebt ist. Als der geizige Cleont durch seinen Sohn erfährt, dass Amalia den Process gewonnen habe und dadurch sehr vermögend geworden sei, giebt er die Heirat zu und erlaubt Charles Amalien nachzureiten und sie zurückzubringen; Charles findet sie, aber von Sanville, welcher der Widerstrebenden Gewalt anthun wollte, tödtlich verwundet. Amaliens Vater hatte ebenfalls von der Vermählung seiner Tochter vernommen und war ihr mit ihrer vertrauten Freundin nachgereist. Er erkennt in Charles' Vater einen alten Jugendfreund; aber die Nachricht von Amaliens Tode schneidet plötzlich ihre gemeinsamen Hoff- <Seite 88:> nungen ab. Trauernd stehen sie an ihrer Leiche, Sanville bekennt ihnen seine Schuld und ersticht sich.

Amalia, ein Lustspiel in fünf Aufzügen von Chr. F. Weisse, 1766 erschienen; [1] ein bürgerliches Drama mit glücklichem Ausgange, das in diese Gruppe mit einbezogen werden muss.

Freemann war in Amalia verliebt, hatte sie aber um Sophiens willen verlassen, mit der er von London nach Bristol gieng und dort, ohne sie zu heiraten, in einem Gasthofe lebte. Daselbst verschwenden sie, er durch Gelage, sie durch Spiel, ihr beiderseitiges Vermögen. Amalia reist ihm, als Mann verkleidet nach, in der Absicht zu erfahren, ob Sophie seiner würdig sei oder nicht. Sie weiss mit Sophie bekannt zu werden, spielt mit ihr und lässt sie gewinnen, stellt sich in sie verliebt und erlangt endlich, als sie ihr mit Geld aushelfen soll, ihre volle Gunst. Sophie gestattet ihr eine heimliche Zusammenkunft, wobei Amalia nach langem Andringen nur eine Umarmung erreicht. Freemann hat sie belauscht und stürzt aus dem Nebenzimmer, um sie zu ermorden. Amalia entdeckt sich; findet Sophie ihres früheren Geliebten werth, überredet Freemann, sich mit Sophien zu vermählen, während sie selbst ihre Hand einem älteren Manne schenkt, der ihr in ihrer männlichen Rolle treuer Begleiter war.

Julie, ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von H. P. Sturz, 1767 erschienen. [2]

Julie liebte Belmont, der mit ihr auferzogen, dann aber wegen Armuth von ihrem Vater in die Fremde geschickt worden ist; sie soll Woldemar heiraten, hängt aber auch mit grosser Treue an ihrem Jugendgeliebten. Der Vater ist lange Zeit gütig gegen sie, bis er sie durch seinen Bruder, einen abgedankten Capitän, bewogen, <Seite 89:> zur Heirat zwingen will. Julie macht jetzt Woldemar zu ihrem Vertrauten, der grossmüthig auf sie verzichtet; sie flieht mit seiner Hilfe aus dem Hause und will sich bei seiner Mutter vor der Härte ihres Vaters verbergen. Der bestürzte Vater lässt ihr nachsetzen und verzeiht der zurückkehrenden alles: die Heirat mit Belmont wird beschlossen: man will seinen Aufenthaltsort erforschen. Er ist aber inzwischen verkleidet zurückgekehrt; die Nachrichten, die ihm ein Diener von den Vorgängen im Hause überbringt, überzeugen ihn von Juliens Untreue; schliesslich hört er von der beschlossenen Vermählung; er hält Woldemar für den Bräutigam, schlägt sich mit ihm und wird tödtlich verwundet, Julie an seiner Leiche wahnsinnig.

Miss Jenny, ein tragisches Nachspiel von unbekanntem Verfasser 1771 (Mittau); es ist eigentlich der fünfte Act einer Tragödie, deren Handlung erzählt wird.

Miss Jenny war verlobt; zwei Tage vor der Vermählung gab sie sich ihrem Bräutigam auf seine Bitten und Schmeicheleien ganz hin, dieser, von Natur eifersüchtig, fürchtete, dass auch ein anderer ihre Schwäche so leicht benützen könnte und wurde wahnsinnig; Jenny wurde von ihren Eltern verstossen; ihr Kind starb. Nach vier Jahren wird sie von einem mitleidigen Geschwisterpaar, Richard und Amalia, deren Vater auf einer Reise begriffen ist, in ihr Haus aufgenommen. Richard verliebt sich in sie; sein zurückkehrender Vater will eine Heirat mit der Fremden nicht zugeben. Ein Freund des Vaters findet in Jenny seine verstossene Tochter; die Heirat zwischen Richard und Jenny wird beschlossen. Da bringt der Oheim ihres ehemaligen Bräutigams diesen in das Haus und der Wahnsinnige ersticht Jenny und sich selbst.

Aus den Jahren nach 1772 will ich noch folgende Dramen heranziehen:

Olivie, ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von Brandes 1774 in Leipzig erschienen. [1]

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Gräfin Bardonia hält sich von Leontio geliebt und bewirkt dessen Rückkehr aus der Verbannung; er hatte sich aber schon vorher mit ihrer Stieftochter Olivie heimlich vermählt. Diese hat der Kummer um den Abwesenden und todt geglaubten schwermüthig gemacht. Bardonia überzeugt den Leontio von Oliviens Untreue, in dem sie ihm eine Kammerzofe in Oliviens Kleidern und in den Armen eines andern zeigt. Dann sucht sie Olivie zu ermorden; das Giftpulver wird durch Zufall für sie selbst in einer Ohnmacht angewendet; inzwischen ist sowohl der neue Betrug als ein altes Verbrechen, die Vergiftung von Oliviens Vater entdeckt worden, und ein Verhaftbefehl gegen sie ausgewirkt. Sie stirbt aber vor der Gefangennehmung; Olivie und Leontio werden glücklich.

Johann Faust, ein allegorisches Drama in fünf Aufzügen, 1775 anonym erschienen, höchst wahrscheinlich von Paul Weidmann. [1] Nicht das allegorische in dem Stücke kommt hier in Betracht, sondern nur das Verhältnis Fausts zu seiner Familie. Faust hat sich aus seinem Heimatsorte entfernt; seine Eltern Theodor und Elisabeth reisen ihm nach und suchen ihn zu bereden, Helena zu verlassen und ihnen zu folgen. Faust schwankt lange. Um seinen Sohn nicht zu verlieren, den Mephistopheles als Geisel behält, bleibt er. Mephistopheles lässt den Vater durch Helena aus dem Wege schaffen.

Eduard und Cecilie oder die Klippe der Standhaftigkeit, ein Schauspiel in drei Aufzügen 1776, von einem unbekannten Verfasser. [2] Cecilie und Eduard heiraten sich gegen den Willen ihrer Väter, die sich hassen; sie werden <Seite 91:> verstossen und müssen kümmerlich ihr Leben fristen, sie verfertigt Handarbeiten, er ist Briefträger. Eduards Schwester führt einen geheimen Briefwechsel mit ihrem Geliebten Johnson unter Ceciliens Adresse; einen solchen Brief muss Eduard bestellen, liest ihn, hält seine Frau für untreu; er fordert Johnson zum Duell heraus und verwundet ihn, seine Frau vergiftet er aus Eifersucht; er wird vor den Friedensrichter gebracht, der zufällig sein eigener Vater ist. Dieser verurtheilt ihn zum Gefängnisse; da lässt sich Johnson herbeiführen, theilt Eduard mit, an wen der Brief gerichtet war, und verzeiht ihm; auch Ceciliens Vater erscheint; schliesslich Cecilie selbst, welche dadurch am Leben erhalten blieb, dass der Apotheker dem Eduard nur ein betäubendes Elixir gegeben hatte. Allgemeine Versöhnung. Die ganze Darstellung, besonders die Briefträgerrolle Eduards und das Vergiftungsspiel lassen das Stück beinahe als eine Parodie erscheinen.

Eugenia und Amynt, ein Trauerspiel in fünf Aufzügen von Franz Jeger 1777 (Frankfurt und Leipzig). Ich kenne das Stück selbst nicht, gebe daher den Inhalt nach dem Beitrag zum Reichspostreuter 1777, 84. Stück, weil es mit dem Freigeist im Stoffe Aehnlichkeit zeigt.

'Cleanth, ein Modedenker und verstellter Freund des Amynt, hat sich in des letzteren tugendhafte Gemahlin Eugenia verliebt, sucht Amynt zu seiner Denkungsart zu verführen und demselben gegen seine Gattin einen unversöhnlichen Hass einzuflössen'. Es gelingt ihm durch eine Reihe von Betrügereien Amynt von Eugenias Untreue zu überzeugen. Cleanths Kammerdiener und Helfershelfer verräth ihn jedoch. Nachdem Cleanths Wünsche vernichtet sind, tödtet er den Amynt; dieser kömmt verwundet auf die Bühne; Eugenia beweint seinen Tod. 'Cleanth erscheint und triumphirt, dass, da er Eugenia nicht besitzen kann, sie den Amynt gleichfalls nicht den Ihrigen werde nennen können'.


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[1] Altona 1755. Altona und Leipzig 1767. Theater der Deutschen 4, 73-106 (Goedeke 2, 592; Koberstein 5, 331, 364).
[2] Meyer, Frd. L. Schröder II, 2, 52.
[3] Gellerts Werke (Hempel) 1, 155.
[4] Werke (Suphan) 2, 378.

<Seite 82:>

[1] Haym, Herder I 1, 167 Anm.
[2] Zuerst gedruckt in den neuen Erweiterungen der Erkenntnis und des Vergnügens 7 (1756) 449-571; einzeln Leipzig 1756; dann Th. d. D. 3, 1-122. Ueber den Verfasser vgl. Koberstein 5, 89. Ein zweites bürgerliches Trauerspiel von ihm das Muttersöhnchen, Liegnitz 1756, kenne ich nicht.
[3] Neue Erweiterungen 8 (1756), 525. Dem Berichterstatter aus Danzig gefiel es besser als Miss Sara Sampson.

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[1] Vgl. Redlichs Anm. zu Lessings Werken (Hempel) 12, 651.
[2] Helmstädt; Th. d. D. 2, 119-190.

<Seite 84:>

[1] Hettner, III, 2, 519.
[2] Vgl. Cap. II.
[3] Nach Meyer Frd. L. Schröder II 2 wurde er in Hamburg zuerst 1772 aufgeführt. Dorothea Ackermann spielte die Therise.
[4] Am 4. Aug. 1764 (J. H. Müller, genaue Nachrichten von beiden königl. Schaubühnen in Wien 1772).

<Seite 85:>

[1] Vgl. Erich Schmidt: R. R. Goethe, 47 f.
[2] 1768 erschien noch ein bürg. Tr. von demselben 'Kleveland', das ich nicht kenne.
[3] Hamburg und Berlin; Th. d. D. 17, 139-248.
[4] Danzel, Lessing 1, 312.
[5] Gedruckt in Berlin 1766; 1770 o.O. über die Entstehung vgl. Brandes Meine Lebensgeschichte 2, 44, 47, 53. In Berlin wurde es mit sehr grossem Erfolge aufgeführt, dagegen in Leipzig nur 2 Mal 1767 und ein Mal 1768. Vgl. Unterhaltungen (Hamburg) 4, 1 und 5, 2, wo das Stück getadelt wird. Auch Lessing tadelte. Lebensgeschichte 2, 53; <Seite 86:> Lessings Werke (Lachmann) 13, 134. Sehr tadelnd ist auch eine Recension in Klotzens deutscher Bibliothek 2, 639 f. Auf S. 641 werden eine Reihe von Punkten erwähnt, in denen das Stück fehlerhaft ist; diese Aufzählung schliesst: 'eine Menge Haranguen und 14 Monologen, kurz noch schlimmer als in dem Freigeist'.
[1] Eine kurze tadelnde Recension steht in der Allg. d. Bibl. 4, 273.

<Seite 88:>

[1] Beitrag zum deutschen Theater 4, 111-240. Vgl. Hamburgische Dramaturgie St. 20 und 73. Werke (Hempel) 7, 142 ff. 363 f.
[2] Kopenhagen und Leipzig; dann in der zweiten Sammlung der Schriften. Leipzig 1782; vgl. Schnorr's Archiv, 7, 67. Eine tadelnde Recension des Stückes in der deutschen Bibl. von Klotz 1, 112-124. Lessing lobte es gegen Boie, Weinhold Boie S. 15.

<Seite 89:>

[1] Wieland, dem Brandes es im Manuscript vorlas, äusserte darüber seine Zufriedenheit; einige Fehler, die er rügte, wurden nach seiner Kritik berichtigt. Auf der Bühne wurde es mit Beifall aufge- <Seite 90:> nommen. (Brandes, Lebensgeschichte, 2, 158). Klopstock weinte bei der Vorstellung des Stückes (Göttingen vor hundert Jahren, von H. Uhde, Im neuen Reich 1875. S. 286).

[1] Das Stück ist wieder herausgegeben von Carl Engel (Oldenburg 1877); Ueber den Verfasser vgl. R. M. Werner im Anzeiger f. d. A. 3, 203 f.; 281.
[2] Frankfurt und Leipzig. In den Hallischen gelehrten Zeitungen 1776, 11, 102 f. wird das Stück sehr getadelt.


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