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VIERTES CAPITEL.
DIE LITTERARISCHEN WIRKUNGEN DER MISS SARA SAMPSON.
Brawes Freigeist, der schon um des äusseren Erfolges willen eine litterarisch bedeutsamere Stellung einnimmt als der Brutus, war eines der ersten bürgerlichen Trauerspiele, welche Lessings Sara überall in Deutschland hervorrief und die sich in ununterbrochener Reihenfolge bis zum Erscheinen der Emilia Galotti hinziehen. Von da ab wurde diese das mächtig eingreifende Vorbild, und die Nachahmungen der Emilia überschwemmten den deutschen Büchermarkt, den sie freilich bald mit den noch zahlreicheren des Götz theilen mussten. Vom Jahre 1772 an finden sich daher jene älteren Motive, welche durch die Sara zur Herrschaft gelangt waren, nur noch vereinzelt und wo sie uns begegnen, können wir sie kaum direct auf Lessings Stück zurückführen. Die bürgerlichen Trauerspiele von 1755-1772, zusammen mit den erwähnten späteren Ausläufern, bilden eine Gruppe, deren gemeinsame Merkmale, deren einzelne verwandte Züge kaum zu verkennen sind. Um den Freigeist vollständig zu würdigen, ist es daher nothwendig, ihn im Zusammenhange mit diesen Erscheinungen zu betrachten; und so will ich versuchen, die mir bekannten bürgerlichen Trauerspiele jener Zeit in ihrer Abhängigkeit von Lessings Sara und in ihren Beziehungen zu einander darzustellen, indem ich zunächst ihre Titel aufführe und den Inhalt beifüge, dann aber verwandte Einzelheiten bespreche. Die Erörterung wird schliesslich auch Brawes Brutus wieder streifen müssen.
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