Zweiter Auftritt.
Henley, Clerdon.
Clerdon (unruhig). Ich muß zu Ihnen, liebster Freund, meine
Zuflucht nehmen – eine tötende Unruhe jagt mich überall herum –
meine ganze Seele ist Aufruhr –
Henley. Ich erstaune, Clerdon, welche eine plötzliche Ursache –
Clerdon. Nicht plötzliche, Henley. Schon seit einiger Zeit haben
die oft erwachenden – wie soll ich sie nennen – Vorurteile der
Kindheit – ja, diese mögen es zu meiner Beruhigung sein – mein
Innres in eine qualvolle Zerrüttung gesetzt; schon lange hat
das Andenken meines unglücklichen Vaters alle Ruhe aus meiner
Seele verwiesen.
Henley. Ich weiß es, ich kenne die unmännliche Schwermut, die
Sie manchmal befällt, und ich erröte Ihrentwegen darüber. Aber
ein so wildes Entsetzen, eine so außerordentliche Bangigkeit
nahm ich nie an Ihnen wahr.
Clerdon. Nein, ich darf Ihnen die Ursache nicht eröffnen. Sie
würden meiner spotten.
Henley. Ich Ihrer spotten! Beleidigende Vermutung! Nein,
Clerdon, ich bin weder ein Unmensch noch ein verächtlicher
Leichtsinniger. Eins von beiden muß der sein, der über einen
Freund in der Betrübnis spotten kann. Ich würde fürchten müssen,
daß Ihre Freundschaft gegen mich zu ermatten anfinge, wenn Sie
länger anstünden, mir Ihre Bekümmernisse mitzuteilen.
Clerdon. Was werden Sie sagen, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich
unmännlich, klein genug bin, mich durch die nächtliche Geburt
einer beunruhigten Einbildung so aufbringen zu lassen?
Henley. Wie? Ist's möglich –
Clerdon. Ja, meine Schande ist Ihnen nunmehr bekannt; o könnte
ich sie vor mir selbst verbergen! Haben Sie Mitleiden mit meiner
Schwachheit – Doch lassen Sie mir Gerechtigkeit widerfahren;
nicht das fürchterliche Schicksal, das mir verkündigt zu werden
scheint, schrecket mich: Diese Drohungen, die eiteln Geschöpfe
eines aufgebrachten Blutes, war ich nie zu achten gewohnt; nur
das Andenken meines Vaters, das so stark in mir rege gemacht
worden, quälet mich – Mir kam es vor, als sähe ich ihn diese
Nacht, und wie? – peinigende Vorstellung! – sterbend zu meinen
Füßen liegen. Schon hatte eine tödliche Blässe sich über sein
ehrwürdiges Gesicht gezogen. Seine Augen, die in Tränen
schwammen, richteten sich flehend nach mir empor. Kein Unwille
flammte in ihnen; sie kündigten nur den gütigen, den versöhnten
Vater an. Er breitete seine zitternden Hände gegen mich aus und
bat mich mit gebrochner und sterbender, doch, Henley, mit so
rührender Stimme, daß mein Innerstes sie hörte, mich einem
fürchterlichen Abgrunde nicht zu nähern, zu welchem nicht fern
von uns ein lockendes Ungeheuer – das Schrecken hat gemacht, daß
ich seine Gestalt vergessen – mich hinrief. Er fiel endlich tot
zu meinen Füßen nieder. Ganz außer mir, ward ich von
Empfindungen, die allen Ausdruck übersteigen, durchstürmt.
Henley. Vielleicht haben die beständigen zaghaften Vorstellungen –
Clerdon. Hören Sie den Erfolg. Mich dünkte, die schmeichelnde
Stimme des Ungeheuers besänftigte nach und nach diese brausenden
Bewegungen. Ja, bewundern Sie, Freund, die Gewalt derselben; sie
zwang mich, die Ermahnungen meines Vaters zu vergessen und mich
dem Abgrunde zu nähern. Doch in dem Augenblicke schien eine
glänzende Wolke eine prächtige Gestalt aus ihrem Schoße
herabzulassen, in der ich die Züge des Granville – der sonst mein
Freund war – zu erkennen glaubte, nur daß sie mit etwas
Feierlichen und Erhabnen vermischt waren, das über die
Menschheit, selbst in ihrer größten Würde, ist. Ein
majestätischer Schimmer durchfloß den ganzen Raum um ihn her.
Mit freundlicher Hand wollte er mich von dem gefährlichen Orte
hinwegwenden; verächtlich stieß ich sie zurück, und in diesem
Augenblicke kam es mir vor, als wenn das Ungeheuer meinen
Freund vor meinen Augen tötete. Wütend stürzte ich mich auf
dasselbe los, ihn zu rächen, als plötzlich – wie flieht meine
Seele vor der schrecklichen Erinnerung zurück – der ganze Himmel
sich über uns öffnete und Feuer und Ungewitter ward. Ein
stürmender Donner schleuderte mich und den Vorwurf meiner Rache
in den gräßlichen Abgrund hinab, und ich erwachte.
Henley. Allzu schwacher Freund, dies kann Sie ängstigen?
Clerdon. Ich gestehe es, ich schäme mich vor mir selbst; und was
mir Erstaunen erweckt, so scheint seit einiger Zeit meine Natur
ganz ausgeartet zu sein und eine gewisse unwiderstehbare
Schwermut ihr Gift durch meine Seele ergossen zu haben.
Überall öffnen sich mir dunkle melancholische Aussichten;
überall bin ich, wie mich dünkt, von Gefahren belagert.
Henley. Dies macht, weil Sie sich noch nicht ganz von dem Joche
der alten Vorurteile entfesselt, noch nicht weit genug über den
Pöbel hinweggeschwungen haben und immer schüchtern zurücksehn.
Clerdon. Sollte denn aber dieser innre Zwang, dieses
unüberwindliche Gefühl, dieses Schwert, das – ich will
aufrichtig reden – meine Brust oft mitten unter den Spöttereien
durchbohrte, mit denen ich die Religion angriff, sollte dies
alles nur Gewohnheit, nur Vorurteil sein?
Henley. Nicht anders, Gewohnheit, Vorurteil, Milzbeschwerung,
wie Sie es nennen wollen. Wie sind Sie doch heute so überaus
kleinmütig! Ein Traum – denken Sie mir nicht mehr daran, es
schmerzt mich zu sehr, Sie so erniedrigt zu sehn.
Clerdon (nach einigem Nachsinnen). Unglücklicher, liebreicher
Vater, wie grausam habe ich dir begegnet!
Henley. Hören Sie auf, Sie werden immer schwermütiger. – Doch
eben itzt finde ich ein bequemes Mittel darwider. Die blühenden
Gänge des Gartens dieses Hauses scheinen Sie zu rufen. Dieser
entzückende Morgen hat alle ihre Schönheiten erhöht. Versuchen
Sie es; vielleicht verwehen frischere Lüfte die Nebel Ihres
Gemütes. Sie müßten sehr fühllos sein, wenn bei dem Anblicke
jener lachenden Aussichten keine sanfte Wollust sich Ihrer
bemeistern sollte. Ich würde Sie begleiten, wenn nicht einige
Geschäfte mich zurückhielten.
(Clerdon geht ab.)
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