Sechster Auftritt.
Clerdon. Granville, den Truworth und ein Bedienter führen.
Granville. Setzt mich hier nieder, meine Freunde, und entfernt
euch. Ich wünschte meine letzten Augenblicke mit meinem Clerdon
allein zuzubringen. Bemüht euch nicht, mir Hülfe zu schaffen. Ich
empfinde es, sie würde fruchtlos sein – Stille deine Tränen,
Truworth, und auch du, dessen Treue gegen mich nicht die Treue
eines Bedienten, sondern eines Freundes gewesen – Wie kränkt es
mich, daß ich die Welt verlassen muß, ehe ich beiden diese
Zärtlichkeit zu vergelten vermag. (Truworth und der Bediente
gehn ab. Zum Clerdon, der in einiger Entfernung steht.) Nähern
Sie sich, Clerdon.
Clerdon. Ach, Unglücklicher, wozu haben Sie mich bringen müssen!
Granville. Ich komme nicht hieher, Ihnen Vorwürfe zu machen –
ich komme, mich zu rechtfertigen – Das Grab würde mir
fürchterlich und grauenvoll scheinen, wenn es mich mit Ihrem Haß
beladen empfangen sollte – Sie schlugen es mir vorhin ab, mein
Verbrechen mir zu eröffnen. Itzt bitte ich, verschweigen Sie es
nicht weiter. Lassen Sie es an dieser Rache genug sein; hören
Sie meine Verteidigung an, und gönnen Sie mir, in den Armen
meines ausgesöhnten Freundes zu sterben.
Clerdon. Konnte in einem Herzen von so großmütiger Zärtlichkeit
ein so schwarzes Verbrechen geboren werden? Schauervolle
Aussichten! wenn diese vielleicht betrügrischen Hüllen hinwegwichen,
wenn ich finden sollte, ich hätte mich geirrt – doch Sie
wollen es. So hören Sie denn die unselige Ursache meiner Raserei –
Henley zeigte mir einen Brief. Es war Ihre Hand, Ihr Name. Sie
trugen ihm darinne Ihre Schwester an; gegen mich hauchten Sie
nichts als unversöhnliche Rache wegen meines Betragens in London
aus. Sie wollten, wie der Brief redete, mich durch die
Zernichtung meiner teuersten Hoffnungen strafen und denn
öffentlich über meine Verzweiflung triumphieren – Verhaßter
Brief! hätte ich ihn nie gesehn! – Die Verbergung der Ankunft
Ihrer Schwester brachte meine von finsterm Verdacht umwölkte
Seele noch mehr auf. Endlich trieb eine Unterredung, die, wie
Henley vorgab, Sie mit ihm gehabt und die voll der grausamsten
Gesinnungen gegen mich war, die Furien meiner Brust aufs
höchste. Ich eilte – Hätte eine tödliche Erstarrung doch gleich
den ersten Schritt gehemmt! – Denn, sind Sie auch schuldig,
Granville, so bin ich doch unglücklich.
Granville. Dank sei dir, ewige Güte, daß du mir in meinen
letzten Augenblicken die Glückseligkeit gönnest, mich bei
meinem Freunde zu rechtfertigen! Auch Ihnen, Clerdon, danke ich
dafür – Meine Augen werden sich also noch mit dem Lächeln des
Vergnügens schlüßen! Ich fühle es, dieser freudige Gedanke
verjüngt mein schon stockendes Blut mit neuer Kraft zu seinem
letzten Geschäfte; (nach einigem Innehalten) die zu begrenzte
Zeit, die mir übrigbleibt, befiehlt mir, meine Rechtfertigung
abzukürzen – Ich kam mit meiner Schwester hieher, Sie mit ihr
verbunden und durch die Mitteilung meiner Güter wieder
glücklich zu sehn. Die Ehre und die Zärtlichkeit derselben
foderten, ihre Gegenwart Ihnen so lange zu verschweigen, bis ich
Ihre Gesinnungen sowohl in Ansehung ihrer als der Religion,
wider welche Sie sich öffentlich aufgelehnt hatten, erforschet;
dann hätte ich Sie mit dieser Freude unvermutet überraschen
wollen. Das war mein Vorhaben – Wofern es auch möglich wäre, daß
in dieser feierlichen Minute die Lippen eines Sterbenden
Unwahrheit entheiligen sollte, so werden doch die Schriften,
die ich stets bei mir führe und die ich Ihnen in Ihre Gewalt
gebe, mich gänzlich lossprechen – Mein letzter Wille – dieser
Zufall hat mich nicht unbereitet überfallen – erklärt Sie und
meine Schwester zu Besitzern meines Vermögens. Der Brief – meine
Unterredung mit Henley, alles ist Erdichtung – Und nun sein Sie
versöhnt, Clerdon, lassen Sie mich, liebster Freund –
Clerdon (der sich ihm zu Füßen wirft). Nennen Sie mich nicht
Ihren Freund; dieser Name ist ein Donner in meinen Ohren. Nicht
diese Blicke, nicht diese Güte, großmütiger, göttlicher Mann;
nennen Sie mich ein Ungeheuer – den Abscheu der Natur – Ihren
Mörder. Rufen Sie die zornigste Rache des Himmels über mein
Haupt. Sie wird, sie muß mich treffen – die entsetzlichsten
Flüche –
Granville. Nein, Clerdon, ich kann nichts, als Sie segnen. Meine
Religion befiehlt es, und wie leicht wird diese Pflicht meinem
Herzen! Stehen Sie auf, teuerster Freund – es ist mir nicht
möglich, Sie anders zu nennen – umarmen Sie mich, lassen Sie
mich ganz die Freude schmecken, von dem wieder geliebt zu
werden, der stets das kostbarste Glück meines Lebens gewesen
ist.
Clerdon. O Worte voll Tod! o Qual! o Verzweiflung! Und Sie
können dem vergeben, was sage ich, Sie können mit dem von Liebe
reden, der den abscheulichen Stahl in die zärtlichste, in die
edelmütigste Brust stoßen konnte? Wo jemals –
Granville. Nicht weiter, Clerdon; ich erlaub' es Ihnen, einige
stille Tränen der Freundschaft auf mein Grab hin zu weinen, doch
diese tobende, stürmische Angst müssen Sie bezähmen. Sie
vollführten den Streich in einer Trunkenheit von Wut, da Sie
selbst nicht Herr über Ihren Arm waren. Ein unglücklicher
Irrtum hatte ihn bewaffnet –
Clerdon. Nein, entschuldigen Sie nicht eine Freveltat, für der
sich die Natur entsetzen muß. War es nicht schon Verbrechen
genug, ein Herz wie das Ihrige in Verdacht zu haben? – O Henley,
Ungeheuer, das mich fast selbst übertrifft, dich müsse meine
Rache –
Granville. Sie müsse ihn nie treffen. Ich bitte für ihn –
Verwerfen Sie nicht die Bitten eines sterbenden Freundes;
huldigen Sie aufs neue den sanften Gesetzen der Religion, und
dann werden Sie diese selbst lehren, ihm zu verzeihen –
Versichern Sie ihn von mir, daß ich ihm meinen Tod vergebe und
in meinem letzten Augenblicke die feurigsten Wünsche für seine
Wohlfahrt tue – Lassen Sie uns, liebster Freund, diesen stolzen
Geist zu seinem Besten schamrot machen und ihn nötigen, wenn
er sieht, wie Christen, die er so tödlich beleidigt, sich
rächen, selbst einer und glücklich zu werden. (Nach einigem
Stillschweigen.) Ich sehe Sie trostlos, Clerdon, in stummer,
betäubender Verzweiflung – Ach, Unglücklicher! Ihr künftiges
Schicksal – traurige Ahndung!
Clerdon. Wie! Sie würdigen mich, mich zu beklagen? Für mich
fließet dieses großmütige Mitleid aus diesen liebreichen Augen,
die nun bald durch mich sich auf immer schließen.
Granville. Itzt gedenke ich an meine Schwester – die
unglückliche Amalia! – Ihnen, Clerdon, befehle ich Sie an, das
kostbarste Kleinod, das ich besitze. Sein Sie ihr ein Bruder,
ein Freund, ein Gemahl – ja, ein Gemahl – denn warum sollte
dieser widrige Zufall meine Absichten zerstören – sie war schon
die Ihrige, sie soll es auch bleiben. Nie darf sie die Art
meines Todes erfahren. Ihr Diener und der meinige, die mich
verwundet gefunden, glauben, es sei von unbekannter Hand
geschehn – Meine Güter werden Ihren verfallnen Umständen wieder
emporhelfen – dies ist der einzige Zeitpunkt meines Lebens, wo
ich mir großen Reichtum gewünschet – Möchten doch Ihrer beider
Tage in Gefilden voll Glücks und ruhiger Freuden dahinfließen
und Ihr Bruder und Freund Ihnen nicht ein trauriges, sondern
angenehmes Andenken sein.
Clerdon (der sich ihm zu Füßen wirft). Erhabner, schon den
Unsterblichen, die deiner warten, ähnlicher Mann, wenn ein
Elender aus seiner Tiefe dich um etwas beschwören darf, o so
töte mich nicht mehr durch diese mehr als menschliche Güte! Sie
ist Marter, unerträgliche Marter für mich. Ich sollte dir
danken und kann nichts als verzweifeln.
Granville. Halten Sie ein, Clerdon. Gönnen Sie mir doch die
Freude, Sie ruhiger zu sehn, ehe ich sterbe – Ich fühle es, der
wichtige, der große Augenblick nahet heran – noch wiederhole ich
meine Bitte, die letzte, die feierlichste Bitte, werden Sie
wieder, was Sie vormals waren, der Bekenner einer Religion, die
ihre Bekenner weit über die Klasse gemeiner Menschen emporhebt –
Lassen Sie meinen Tod den Zeitpunkt sein, da Sie zu Ihrem Gott
zurückkehren – O Clerdon, welch ein Glück, ein Christ zu sein!
In der Stunde des Todes, dann werden Sie es erst recht fühlen –
Möchte doch die Ihrige der meinigen ähnlich sein! Sie ist heiter –
ganz heiter, wenn nicht die Bekümmernis um Sie mir Tränen
ablockte – Unaussprechliche Wollust ergießt sich durch meine
Seele – Große – ein nahes Glück weissagende Empfindungen
bemeistern sich meiner; mein entzücktes Ohr höret die Harmonien
der Unsterblichen! – (Nach einigem Innehalten.) Unterstützen Sie
mich, Clerdon, mit Ihren freundschaftlichen Armen – mein Auge
kann Sie nicht mehr sehen, die Natur verwelkt vor meinen Blicken –
wie sanft ist der Tod an der Brust eines Freundes! – Ihre
bebenden Arme vermögen mich kaum zu umfassen, Ihre Tränen
benetzen häufig mein Gesicht – o träufle Trost auf ihn herab,
du, zu dem sich mein Geist voll Ungeduld aufschwingt, und auch
mir – (Er hebt die Augen gen Himmel und scheint einige Worte für
sich zu sprechen.) Nun ist es geschehn – Leben Sie glücklich,
Clerdon – sein Sie ein Christ – bester Freund – (Er stirbt.)
(Clerdon sieht den Körper des Granville einige Zeit starr und
sprachlos an und geht mit einer Stellung, die Verzweiflung und
betäubend Entsetzen verrät, ab.)
Ende des vierten Aufzugs.
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