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INHALT DES FREIGEISTES.
Clerdon, ein junger Engländer, wird durch seinen Nebenbuhler Henley zu Ausschweifungen, Verbrechen und zur Freigeisterei verleitet. Clerdons Freund Granville, dessen Schwester Amalia Clerdon geliebt und verlassen hat, sucht ihn zu retten; aber durch untergeschobene Briefe und andere Lügen weiss Henley den Clerdon in solche Wuth gegen Granville zu bringen, dass er diesen zum Zweikampfe herausfordert und ersticht. Dem Verzweifelnden enthüllt Henley triumphirend den ganzen scheusslichen Plan seiner Rache; Clerdon tödtet erst ihn und dann sich selbst.
Wir haben eine reine Intrigentragödie vor uns. Henley ist eine Art Jago, von dem er auch litterarhistorisch abstammt; er hat sich die Rache zur Lebensaufgabe gemacht, und nach deren Erfüllung würde sein Dasein jeden Gehalt verlieren. Diesem unbeugsamen Losgehen auf ein vorgestecktes Ziel ist der schwankende Clerdon entgegengestellt; er wird zwischen dem bösen und guten Engel, zwischen Henley und Granville hin und hergerissen; einer sucht ihn dem andern abzujagen.
Die Exposition führt uns in den Beginn dieses Kampfes hinein.
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Henley geniesst Clerdons ganzes Vertrauen; er ist mit ihm, der vor seinen Gläubigern fliehen musste, in eine abgelegene Stadt des nördlichen Englands gereist; losgetrennt von Freunden und Verwandten glaubt er ihn jetzt vollständig in Händen zu haben; aber er hat in demselben Gasthofe, in dem er mit Clerdon wohnt, Granville erblickt, und hält seinen Racheplan für gefährdet. Hier beginnt das Stück.
I. 1. Henley entwickelt seinem Diener Widston, auf welche Weise er Clerdon verführt habe; er will ihn nicht blos zeitlich zu Grunde richten, sondern ihn der ewigen Verdammnis überliefern. Widstons entsetztes Gesicht erzürnt seinen Herrn. Unterbrechung.
2. Henley, Clerdon. Letzterer durch Gewissensbisse und böse Träume gequält; Henley spottet alle seine Scrupel hinweg, nennt sie Vorurtheile der Kindheit, Milzbeschwerung, und ertheilt ihm den Rath sich durch einen Spaziergang zu zerstreuen.
3. Henley, Widston: Fortsetzung von I. 1. Henley berichtet die Ankunft Granvilles und seiner Schwester Amalia, gibt seine Befürchtungen kund und setzt den weiteren Plan der Rache auseinander; er will alle drei zu Grunde richten.
4. Widston (allein) zittert vor 'Grausen' über die neu geplanten Verbrechen seines Herrn und beschliesst Gegenmassregeln.
5. Clerdon und sein Diener Truworth. Clerdon wird fortwährend von dem Gedanken an seinen Vater verfolgt, den er durch seine Schulden in Elend und Unglück gestürzt hat; trotzdem schenkt er Truworths Bitten, er möge zum Vater und zur Religion zurückkehren, kein Gehör.
II. 1. Granville und Amalia in Berathung; sie liebt Clerdon noch immer; Granville will ihn schonend aber entschieden bekehren und in ihre Arme zurückführen; ihre Anwesenheit soll ihm vorerst verborgen bleiben.
2. Kurzer Monolog Granvilles: 'Wie wird er mich empfangen?'
3. Granville theilt Clerdon den Tod seines Vaters in schonender Weise, unter Verschweigung aller erschwerenden Umstände, mit: der Vater habe ihn gesegnet und nur Rück-
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kehr zu Religion und sittlichem Lebenswandel von ihm verlangt. Clerdon will sich nicht sogleich entscheiden, verlangt Bedenkzeit, um sich 'aus diesem Wirbel aufrührerischer Leidenschaften herauszuarbeiten'.
4. Clerdon in unentschiedenem Nachdenken, ob er der Bitte seines Vaters folgen soll.
5. Henley verwischt durch Spott und Hohn alle Besserungsgedanken Clerdons und ermahnt ihn 'sich mit unbezwinglicher Stärke gegen Granvilles überredende Lockungen zu rüsten'.
6. Clerdon, Granville. Ersterer beharrt unerschüttert auf seinem religiösen Standpunkt. Nun aber schildert Granville das wahre Ende von Clerdons Vater: er starb im schmählichsten Gefängnis, hungernd, ohne Pflege – durch die Gläubiger des Sohnes, dessen Schulden er auf sich genommen, in den Kerker geworfen. In seinem Namen mahnt Granville zur Bekehrung, fleht Gott selbst an um Hülfe. Da erweicht sich Clerdon, seine Thränen fliessen. Aber –
7. Henley hat gehorcht, unterbricht, indem er Granville heuchlerisch umarmt; dieser macht sich los, ab.
8. Henley spottend; Clerdon in trauriger Ahnung: 'Vielleicht sind wir thörichte Bösewichter' ... 'Vielleicht gehe ich, mich tiefer in mein Verderben zu verstricken'.
III. 1. Henley allein. Er hat zum zweitenmale über Granville triumphirt; aber Clerdon wankt; nun soll ein gefälschter Brief weiter helfen.
2. Clerdon kommt bestürzt: 'Retten Sie mich, Henley!' Ein anonymer (von Widston herrührender) Brief warnt ihn vor seinem besten Freunde. Henley, erschreckt, aber rasch gefasst, deutet diesen Freund auf Granville; weist den falschen Brief vor, worin Granville ihm, dem Henley, die Hand Amaliens antrage, um Clerdon auf der empfindlichsten Seite anzugreifen und gänzlich niederzuschlagen; Amalia sei mit anwesend, die Verbindung könne gleich vollzogen werden. Sich selbst gibt Henley den Schein der Grossmuth; die Lockung ist gross, 'doch verabscheut sei das Glück, das sich auf den Ruinen meines Freundes erhebt!' Er räth dem heftig Aufbrausenden ruhige Prüfung an: 'Finden Sie, dass uns der
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Brief nicht hintergangen hat, dass seine Schwester gegenwärtig ist, und er es doch vor Ihnen verborgen hat': – die Folgerung sei klar. Er nimmt ihm aber das feierliche Versprechen ab, diese ganze Unterredung strenge zu verschweigen.
3. Clerdon gibt sich vor Granville als bekehrt, erscheint aber mistrauisch und kaltsinnig, taub gegen Granvilles Andringen, sich auszusprechen. Er redet im allgemeinen von heuchlerischer Freundschaft, geht dann auf Amalia über: er habe dem Gerücht von ihrer Anwesenheit nicht trauen können.
Granville sollte mir aus etwas ein Geheimniss gemacht haben, von dem er weiss, wie zärtlich es mich angeht? (für sich) Er ist schuldig, seine Verwirrung ist sein Verräther.
Granville. Ich bin verdriesslich, dass man Ihnen etwas zeitiger eröffnet hat ...
Clerdon. (Erhitzt) Wie? so ist es denn an dem?
Er sei hintergangen: 'Treulosigkeit und Rachsucht' – Aber er mässigt sich wieder und spricht noch einmal ruhiger seinen Schmerz über diesen Schein von Mistrauen aus. Granville merkt, dass ein geheimes Gift das Innere des Freundes durchdrungen habe. Er behauptet, sein Verhalten leicht rechtfertigen zu können. Aber anstatt das wirklich zu versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen, ihn festzuhalten und zu Amalia mitzunehmen, geht er sonderbarer Weise ab.
4. Clerdon, allein, von Granvilles Treulosigkeit überzeugt, will dessen 'Verderben, sein gänzliches Verderben'.
5. Henley zu dem Vorigen, schürt mit dem Schein der Gerechtigkeit. Clerdon bekennt seine unerstickte Liebe zu Amalia. Henley räth zum Duell. Clerdon schaudert: sollte er den tödten, für den er einst mit Freuden sein Blut verschwendet hätte? 'wird seine Schwester eine Hand annehmen, von der das Blut ihres Bruders herabträufelt?' hielt er nicht früher den Zweikampf 'für einen nur feierlichern Frevel, für eine prahlende Niederträchtigkeit'? Aber Henley weiss ihm alles auszureden, geht ab.
6. Clerdon, Amalia, Granville. Clerdon in Freude, Verwirrung, Reue, Liebesbekenntnis zu ihren Füssen; plötzlich von dem Gedanken ergriffen: 'Ich soll sie verlieren!' Er ist nun ganz verändert, wirft entsetzliche Blicke auf sie, nimmt gegen Granville einen wüthenden Ton an, weist seine Freund-
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schaft zurück, spricht von schmeichelnden Künsten und Abscheulichkeiten, ist aber durch alle Bitten Granvilles und Amaliens nicht zu einer offenen Erklärung zu bewegen, so gern er sie schliesslich gäbe: 'Ich würde treulos handeln, wo ich Sie nicht flöhe'.
7. Amalia, Granville. Dieser lässt einen auftauchenden Verdacht gegen Henley gleich fallen: 'ihn eines so schwarzen Frevels anzuklagen, blos weil er andre begangen, wäre ungerecht'.
IV. 1. Clerdon wieder stark zweifelnd, zuletzt doch entschlossen.
2. Henley verwischt den etwaigen Eindruck von III. 6 auf Clerdon: Granville habe die Anträge seines Briefes mündlich wiederholt, alles sei bereit, die nächste Nacht der Aufbruch: Granville hoffe, Clerdons 'einfältige Gutwilligkeit' genugsam eingeschläfert zu haben. 'Er frohlockt bereits' –
Clerdon. Wo verliess er Sie?
Henley. Er gieng in die schattigen Gänge dieses Gartens, vielleicht daselbst seiner Rache –
(Clerdon eilt wüthend ab.)
3. Henley geniesst zum Voraus seinen Triumph.
4. Widston gesteht ihm die Warnerrolle, die er gespielt, bittet fussfällig um Schonung für Clerdon. Henley stellt sich überwunden, schickt ihn auf sein Gut.
5. Clerdon in heftigster Bewegung zu Henley. 'Hören Sie jenes sterbende Röcheln? – Wie entsetzlich tönt es in meinen Ohren! – erblicken Sie nicht den bleichen, blutigen Körper, wie furchtbar er mir droht?' ... 'Sehen Sie diese blutigen, diese vom Morde noch rauchenden Hände'! ... 'Ueberall werde ich Flüche rauschen hören, jeder Ort wird sich um mich her in eine Hölle verwandeln'. Er sehnt sich nach dem Tode: 'Möchte ich doch bald in dem Schosse seiner Finsternisse mich und mein schreckliches Geschick vor aller Welt verbergen können!' Er erzählt den Verlauf des Duells: Granville hat sich bis zuletzt voll Grossmuth, Menschlichkeit, Güte, Zärtlichkeit gezeigt. Henley ab vor der Annäherung Granvilles, den Truworth und ein Bedienter führen.
6. Clerdon, Granville. Dieser will nun in den Armen
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seines ausgesöhnten Freundes sterben, der jetzt endlich redet und daher Aufklärung empfängt. Granville beruft sich auf sein Testament, welches zeigen werde, dass er seine Schwester und Clerdon zu Erben eingesetzt. Er segnet den sich selbst verfluchenden Mörder; bittet für 'das Ungeheuer' Henley; wünscht Clerdons und Amaliens Ehe: diese müsse ihn, wie die beiden Diener, von unbekannter Hand getödtet glauben. Endlich legt er ihm die Rückkehr zum Christenthum feierlich ans Herz. Sein Sterben sei heiter.
Unaussprechliche Wollust ergiesst sich durch meine Seele. Grosse, – ein nahes Glück weissagende Empfindungen bemeistern sich meiner; mein entzücktes Ohr höret die Harmonie der Unsterblichen! – (nach einigem Innehalten) Unterstützen Sie mich, Clerdon, mit Ihren freundschaftlichen Armen; mein Auge kann Sie nicht mehr sehen, die Natur verwelkt vor meinen Blicken. – Wie sanft ist der Tod an der Brust eines Freundes! – Ihre bebenden Arme vermögen mich kaum zu umfassen? Ihre Thränen benetzen häufig mein Gesicht? – O träufle Trost auf ihn herab, du, zu dem sich mein Geist voll Ungeduld aufschwingt, und auch mir – (er hebt die Augen gen Himmel, und scheint einige Worte für sich zu sprechen.) Nun ist es geschehn! – Leben Sie glücklich, Clerdon! – sein Sie ein Christ, – bester Freund! – (er stirbt.)
V. 1. Clerdon allein. Gewissensqualen des Mörders. Bald von Granville, bald von seinem Vater glaubt er sich verfolgt, bedroht.
2. Amalia zu ihm (wie es möglich war, dass sie ihres Bruders Verwundung nicht gleich erfuhr, nicht gleich herbei eilte, da sich doch alles auf engem Raume vollzieht, das wird nicht klar). Sie fordert ihn auf, den Mörder zu verfolgen, enthüllt des Bruders Pläne für sein Glück, ihre eigene Liebe. Er bekennt seine That; sie hält ihn für geistig gestört; muss ihm schliesslich glauben; ihr Abscheu macht sich in Ausrufen und rhetorischen Fragen Luft. Aber Clerdon erzählt das Ende ihres Bruders – sie will an Edelmuth nicht zurückstehen – verzeiht und bedauert, wünscht dem Unglücklichen die Ruhe, die sie selbst nie wieder geniessen wird: 'Ich eile, mich einer beständigen Einsamkeit zu widmen und den Bruder und Geliebten zu beweinen, die mir beide ein neidisches Geschick auf Einen Tag entwandt hat'.
3. Clerdon allein, hofft nicht auf die Versöhnung des
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Himmels. Schauer und Verzweiflung ergreift ihn; seine Frevel wider Religion und Tugend schweben ihm vor: 'Du bist gerächt, Religion! so bald du mich, göttliche Führerin, verliessest, ward jeder Schritt ein Frevel'. Will sich tödten; wagt es nicht, sich freiwillig in die Arme eines allmächtigen Richters zu stürzen.
'Das Leben ist eine Hölle, und der Tod auch.' – Doch vielleicht ist der Tod Vernichtung. – Eitler Trost! Dieses klopfende Herz, diese Angst, dieser Schauer, alles widerspricht dir. Ich empfinde es, dass ich zu ewigen Martern geschaffen bin, dass ein ewiger Richter – – Wehe mir! ich sehe ihn kommen – – ja, ich trüge mich nicht, diese furchtbare Herrlichkeit, dieser verzehrende Glanz, dies Entsetzen der Natur verkündigt ihn. Wohin entflieh ich? Unwiderstehliche Schrecknisse rauschen vor ihm her. Seine Blicke sind Tod. Flammen und Ungewitter toben auf allen Seiten um mich her. – Itzt gebeut er dem Verderben mich zu schlagen – – Itzt ergreift mich sein Donner – o Erde, decke mich vor ihm! O Vernichtung, komm über mich! –
4. Truworth, von Amalia geschickt, theilnahmsvoll; erhält auch seinerseits Clerdons Bekenntnis und Erzählung; will sich bei den Gerichten als Granvilles Mörder angeben. Clerdon: 'Muss sich denn alles um mich herum in einem so blendenden Glanze von Tugend und erhabener Gesinnung zeigen?' Truworth soll Anstalten zur Abreise machen, verlässt ihn ungern, 'eine schauervolle Ahndung schreckt mich'.
5. Clerdon allein: 'Das letztemal empfunden, was es sei, von irgend einem Wesen geliebt zu werden'! Er ist zum Selbstmord entschlossen, verflucht den Namen eines Freigeistes, auf den er einst so stolz war.
6. Henley kommt. Clerdon wüthend auf ihn los: 'Ha, Treuloser! wo ist Granville?' Henley: 'Ich komme nicht hieher, Ihre Wuth zu besänftigen, ich komme, sie noch stärker zu entflammen'. Er legt ihm seinen Racheplan dar. Clerdon ersticht zuerst ihn und dann sich selbst.
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