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VORBILDER.

Wie wir bei der Miss Sara im Stande sind, den litterarhistorischen Zusammenhang mit ihren unmittelbaren Vorbildern genau nachzuweisen, so können wir auch bei den Dramen Brawes seine Muster vollkommen aufdecken; für den Freigeist sind es The Revenge von Edward Young und Lessings Miss Sara selbst.

Hettner geht, und ganz mit Recht, über die drei Dramen Youngs mit einem Witzworte Johnsons flüchtig hinweg; [2] 'Die Rache' aber wurde in Deutschland öfter übersetzt [3] gerne aufgeführt und, wie wir hier sehen, auch nachgeahmt.

Der Gang der Handlung ist ähnlich, wie im Freigeist: Alonso wird von Zanga, einem gefangenen Mohrenfürsten, den er zu seinem Diener gemacht hat, dahin gebracht, seine Gattin für treulos zu halten und seinen Freund Carlos als ihren vermeintlichen Buhlen ermorden zu lassen. Die Mittel Zangas sind auch hier Lügen und untergeschobene Briefe; zu- <Seite 43:> letzt enthüllt er triumphirend dem gequälten Alonso den wahren Sachverhalt; Alonso befiehlt ihn unschädlich zu machen, und gibt sich selbst den Tod.

Brawes Henley vertritt, wie man sieht, den Zanga, Clerdon den Don Alonso, Granville den Don Carlos. Das Stück zeigt sich bald als eine matte Nachahmung des Othello, Zanga als eine Copie des Jago.

Gleich die Anfangscenen bei Young und Brawe sind ähnlich: Zanga theilt seiner Geliebten Isabella den Plan seiner Rache mit, Henley dem Widston. Beide setzen sich diese Rache als Lebensziel vor, aber Mord an ihren Feinden genügt ihnen nicht: 'So eine gemeine und geringe Rache, als der Tod, war meiner unwürdig. Ich hätte den Clerdon durchbohrt: ein Augenblick wäre seine Strafe gewesen. Nein, eine empfindlichere, eine langwierigere Strafe ... soll meine Schmach ahnden', sagt Henley. Und Zanga: 'I did not stab him; for that were poore revenge ... I groan'd for an occasion of ample vengeance'. [1]

In der völligen Durchführung ihres Racheplanes liegt ihr höchster Genuss; selbst das Leben hat keinen Werth mehr für sie, nachdem das Ziel erreicht ist. Zanga ruft ganz ähnlich wie Henley: 'Come death, come hell then! 'tis resolved, 'tis done'.

Mit seinen Freveln steht es im Widerspruch, wenn Zanga manchmal die Reue anwandelt und er schliesslich ganz zerknirscht ausruft:

O vengeance, I have follow'd thee too far,
And, to receive me, hell blows all her fires.

oder wenn er am Ende des dritten Actes sagt:

Wither, my soul, ah! whither art thou sunk
Beneath thy sphere! –

Vielleicht könnte man damit jenen oben erwähnten Zug im Charakter Henleys vergleichen, dass er es für das grösste Unglück hält, so schlecht und verworfen zu sein, als er selbst, <Seite 44:> dass er also zum Bewusstsein der Sphäre kommt, in die er herabgesunken, wenn sich auch keine Spur von Reue zeigt.

Am stärksten hat die letzte Scene eingewirkt, in der Zanga dem gänzlich zu Boden geschmetterten Alonso seine Gräuel enthüllt:

Born for your use, I live but to oblige you: –
Know then, 'twas I ...
... For ever: –
Thy wife is guiltless; that's one transport to me;
And I, I let thee know it; that's another: –
I urg'd Don Carlos to resign his mistress;
I forg'd the letter; I dispos'd the picture; –
I hated, I despis'd, and I destroy ...
But 'tis reveng'd, and now my work is done.
Yet ere I fall, be it one part of vengeance.
To make even thee confess that I am just ...
... What was left to me,
So highly born? No kingdom but revenge;
No treasure, but thy tortures and thy groans.

Ganz analog ist die Rede Henleys in der letzten Scene des Freigeistes; auch er zählt seinem Opfer die Einzelheiten seines Verfahrens Stück für Stück auf und sagt ihm dann ganz einfach: Nun ist meine Rache vollendet. Auch die letzten Worte des Sterbenden und zugleich die Schlussworte des Stückes sprechen diese Befriedigung aus: 'Ich sterbe! doch mein Feind stirbt mir zur Seiten – ich bin gerächt – o Triumph, o Rache!'

Nicht nur Einzelheiten, sondern das ganze Colorit ist aus Youngs Drama in den Freigeist herübergenommen; über den beiden Stücken schwebt Rache wie eine schwere Wolke, die sich bei jeder, auch bei unpassender Gelegenheit entladet. Nicht nur, dass Henley seine Unthaten immer durch triumphirende Rückblicke unterbricht und gegen alle Hauptpersonen wutherfüllt ist; auch gegen seinen Diener wendet er sich, sobald die leiseste Ahnung von dessen Untreue in ihm aufsteigt; Vergeltung und Bestrafung nach dem Tode wird als Rache, als 'zornige Rache' des Himmels aufgefasst, sogar zu Vergleichen (S. 133) wird die Rache herbeigezogen. Und <Seite 45:> Granville findet es nothwendig von sich zu sagen, dass sein Herz sich nie zu dem erniedrigte, was man Rache nennt.

Die Aehnlichkeit des Freigeistes mit The Revenge fiel gleich beim Erscheinen des ersteren auf; denn Ramler nimmt in der Vorrede zur Ausgabe darauf Bezug, indem er meint, dass diese Aehnlichkeit der Ehre des Verfassers nicht geschadet habe. –

Wenn Nicolai an Lessing nach der ersten Lecture des Freigeistes schreibt: [1] 'Sie können denken, ob er uns gefallen hat, da wir zuweilen auf den Argwohn gekommen sind, dass der junge Herr mit Ihrem Kalbe gepflügt habe', so hat er gewiss dabei an die Verwandtschaft mit der Miss Sara gedacht. Diese zeigt sich zunächst in der ähnlichen Handlung.

Der Freigeist spielt in England, in bürgerlichen Verhältnissen, wie die Sara. Mellefont ist mit Sara entflohen, sie sind in einem Gasthofe, in dem die Handlung vor sich geht. Sara hat ihren Vater verlassen, wie Clerdon den seinigen; auch sie hat ihm durch ihre Flucht Gram und Sorge bereitet und fürchtet sogar, ihm den Tod gebracht zu haben: [2] 'wie wenig fehlte – wie wenig, wie nichts fehlte – so wäre ich auch eine Vatermörderin geworden! Aber nicht ohne mein Verschulden; eine vorsätzliche Vatermörderin! – Und wer weiss, ob ich es nicht schon bin?'

Was bei Miss Sara nur Selbstquälerei, ist bei Clerdon berechtigter Vorwurf. Vielleicht reizte den jungen Dichter gerade diese Scene, die bei gutem Spiel von grosser Wirkung ist, den Vatermord in ebendemselben Sinne wirklich darzustellen. Sara und Clerdon werden von Gewissensbissen gequält, denen sie Mellefont und Henley zu entreissen suchen. Beide haben einen ähnlichen Traum in der Nacht, die dem Beginn des Stückes voraufgeht und in beiden Träumen wird der Ausgang der Handlung vorangedeutet.

Saras Vater ist durch Marwood, Granville durch Truworth von dem Aufenthalte der Flüchtlinge unterrichtet. Der Vater kommt nach, um seinem Kinde zu verzeihen und sie <Seite 46:> mit Mellefont zu verheirathen; Granville um die gelöste Verbindung Clerdons mit seiner Schwester wieder anzuknüpfen.

In einzelnen Zügen ist Henley die ins männliche übersetzte Marwood. So wenn diese sagt: [1] 'Gift und Dolch sollen mich rächen. Doch nein, Gift und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie würden dein und mein Kind zu bald tödten. Ich will es nicht gestorben sehen, sterben will ich es sehen!' Am Ende dieser grässlichen Schilderung fügt sie dann hinzu: 'Ich – ich werde wenigstens dabei empfinden, wie süss die Rache ist'. Henley wird uns in der Empfindung, welche hier nur angedeutet ist, wirklich dargestellt. Aber mit der Rache allein ist es nicht gethan, man muss sich derselben rühmen können: mündlich wie Zanga und Henley, während das Opfer zu ihren Füssen liegt, kann sie es nicht; sie schildert daher brieflich dem Mellefont die Scene, in der sie das Giftpulver mischte, und fügt dann hinzu: [2] 'Ich sah es ihr geben und gieng triumphirend fort. Rache und Wuth haben mich zu einer Mörderin gemacht; ich will aber keine von den gemeinen Mörderinnen sein, die sich ihrer That nicht zu rühmen wagen'.

Mehr als alles angeführte, beweist aber Sprache und Stil im Freigeist, wie Brawe an Lessings Jugenddramen sich herangebildet und dann die Sprache in der Sara zum directen Vorbild genommen hat.

Mit rein verstandesmässigen Mitteln sucht auch Brawes Sprache auf die Phantasie des Lesers zu wirken, ganz wenige Bilder finden sich; fast nur Donner und Ungewitter, einmal auch die Rache werden zu Vergleichen herbeigezogen. Kurz, präcis wird in einem Satze darzustellen gesucht, was die Alexandrinertragödie durch allerlei Reimfüllwerk ausbreiten muss. Die langen Tugendreden aus der Sara kehren in Truworths und Granvilles Reden wieder und die Monologe besonders im letzten Acte bedürfen wie einige in der Sara, für die Aufführung gewaltiger Streichung.

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Lessings Dramen sind reich an verschiedenen Arten der rhetorischen Wiederholung; eine derselben ist für die Miss Sara besonders charakteristisch: derselbe Begriff wird mit einer näheren Bestimmung wiederholt, also dem Substantiv wird bei der Wiederholung ein Adjectiv oder ein attributiver Genitiv beigegeben; am häufigsten findet sich dies sonst bei Anreden oder Anrufen, so 'Mellefont! liebster Mellefont!' oder 'Einbildungen! Vermaledeite Einbildungen!' Aber in der Miss Sara kommt dergleichen auch inmitten des Satzes häufig vor, so z.B. 'eine Lüge, eine unverschämte, böse Lüge', oder um 'dieser Liebe, um dieser grossmüthigen, alle meine Unwürdigkeit übersehenden Liebe willen'. Lessing liebt in der Zeit, in welcher die Sara entstand diese Wiederholung sehr; in dem Fragmente seiner Uebersetzung von Thomsons Agamemnon finden sich acht, in der Sara 15 Fälle, während der Philotas zwei, Emilia vier, der Nathan drei Fälle aufweisen. Nähere Untersuchung ergibt, dass diese Art der Wiederholung in den von der Miss Sara abhängigen Stücken sehr oft vorkommt; im Freigeist wohl nur fünfmal, anderen Dramen gegenüber immer noch charakteristisch genug.

Die Kunst, den Dialog zu führen, ist wohl mit der Miss Sara verglichen, in den ersten Anfängen; man hat oft das Gefühl, eine Person unterbreche die andere nur, um die Erzählungen nicht übermässig lang werden zu lassen. Doch eine Form des Dialoges, die besonders in Ueberredungsscenen sich findet, scheint mir für die Sara charakteristisch und im Freigeist nachgeahmt zu sein. Eine Person wiederholt die Behauptung oder den Einwurf der anderen in Form einer Frage, knüpft weitere Fragen daran und beginnt dann erst mit der Widerlegung; öfters ist schon der Einwurf in Form einer Frage gehalten, welche mit denselben Worten oder mit einigen Abweichungen wiederholt wird; manchmal wird durch eine solche Frage eine Person rasch unterbrochen.

(S. 96) Mellefont: Weil du dich seiner Verbrechen mit theilhaft gemacht hast. Norton: Ich mich Ihrer Verbrechen theilhaft gemacht? durch was? (112 f.) Ich muss Sie verlassen, Marwood; ... <Seite 48:> ... Marwood: Sie müssen mich verlassen? Und was wollen Sie denn, das aus mir werde? (126) Waitwell: Was kann darin enthalten sein? Liebe und Vergebung. Sara: Liebe? Vergebung? (99) Mellefont: So zweifeln Sie an meiner Liebe? Sara: Ich an Ihrer Liebe zweifeln? (106) Hannah: Wenn er sich aber dagegen verhärten sollte? – Marwood: Wenn er sich dagegen verhärten sollte? So werde ich nicht zürnen – ich werde rasen. (118) Marwood: Nun sagen Sie es noch einmal, ob Sie fest entschlossen sind, mich einer jungen Närrin aufzuopfern? Mellefont: Aufzuopfern? (103) Mellefont: Und diese neuen Freunde sollen die Zeugen unserer Verbindung sein – – Sara: Diese sollen die Zeugen unserer Verbindung sein? – Grausamer so soll diese Verbindung nicht in meinem Vaterlande geschehen? etc.

In der Miss Sara kann man in jeder Scene solche Beispiele finden; im Freigeist zeigt sich diese Art des Dialoges ebenfalls häufig, besonders in den letzten Scenen.

(119) Clerdon: Sie würden meiner spotten. Henley: Ich Ihrer spotten! (182) Henley: Was die Ehre befiehlt, was Ihre Pflicht ist: – Granvillen zu tödten. Clerdon: Granvillen zu tödten? (223) Amalia: Sie müssen seinen Tod rächen. Clerdon: Wie Miss! Ich seinen Tod rächen? (175) Granville: Lieben Sie mich noch, Clerdon? Clerdon: Ob ich Sie liebe? (155) Granville: War es nicht Stolz, Eitelkeit, Zerstreuung, die Sie wider Ihren Schöpfer – – – Clerdon: Schöpfer, Granville? Setzen Sie mich in die Klasse der Gottesleugner? (189) Clerdon: Nehmen Sie mein Leben, ... suchen Sie nicht durch marternde Umschweife eine Rache zu sättigen – Granville: Ich an Ihnen meine Rache sättigen? Ich Ihr Leben rauben?

In Lessings Sara finden sich bereits Ansätze zu seiner späteren epigrammatischen Knappheit, wenn dieselben auch durch die sonstige breitere Anlage aufgehoben werden. Soweit dieselben rein stilistischer Natur sind, kann man die für Lessing charakteristische Auslassung der Hilfswörter in Anschlag bringen; und so mag hervorgehoben werden, dass sich diese Auslassung im Freigeist ebenfalls findet, und zwar mit Besonderheiten oder Kühnheiten, die sich zwar Lessing, aber nicht andere gleichzeitige Schriftsteller gestatten, z.B. Wechsel zwischen Auslassung und Nichtauslassung in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen.

(125) Was meine Furcht vergrössert, ist dass, wie man mir gemeldet, seine Schwester ihn begleitet, beide diese Nacht hier angekommen, und den untern Theil dieses Hauses bezogen haben. (157) <Seite 49:> Da er, wie Sie wissen, alle Ihre Schulden auf sich genommen, und Sie ihn aller Mittel beraubt hatten.

Auch jene Lessing eigene Fügung der Verba können, mögen, dürfen, müssen, welche Lehmann die Infinitiv-Construction nennt, [1] kennt und gebraucht Brawe (124, 139, 210, 213, 234). Einmal lässt er auch 'haben' dabei aus: (140) 'Da ich Ihre Gegenwart entbehren müssen'. Es stellt sich in diesem Punkte das Verhältnis der Auslassung zur Nichtauslassung genau wie in Lessings Juden.


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[2] Geschichte der englischen Litteratur. 3. Aufl. 542.
[3] Youngs Trauerspiele Frankfurt u. Leipzig 1756 u. 67 in Prosa. Youngs Trauerspiele nebst der Boadrica, einem Trauerspiel Glovers. Hamburg 1756. Schlechte Prosa-Uebersetzung. Neue Probestücke der englischen Schaubühne Basel 1758 im 1. Bande in fünffüssigen Iamben. Zanga oder die Rache Wien 1761. Die Rache Leipzig 1794 (von Heinrich Blümner).

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[1] Ich citire nach folgender Ausgabe: 'The Revenge. A Tragedy, in five acts.' By Edward Young. Thomas Halles Lacy, London.

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[1] Werke (Lachmann) 13, 51.
[2] Werke (Hempel) 3, 139.

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[1] Werke (Hempel) 3, 119.
[2] Werke (Hempel) 3, 170.

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[1] Forschungen über Lessings Sprache, S. 115 f.


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