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WIRKUNG DES FREIGEISTES.

Obwohl Ramler in der Vorrede zur Ausgabe der Werke von dem Stücke sagt, 'man fand, dass es sich seines mehr als ernsthaften Inhalts wegen noch besser im Kabinete lesen als von unsern Komödianten vorstellen liesse', so war es doch bis gegen Ende der Siebziger Jahre gerade um dieses 'ernsthaften' Inhaltes willen ein beliebtes Repertoire-Stück. Hier zeigte die dramatische Kunst doch einmal handgreiflich, welche Mittel ihr zu Gebote standen, um die Menschheit zu bessern und zu bekehren: der Comödiant – oder wenigstens der Tragödienschreiber – hatte vom Pfarrer gelernt.

Zur Eröffnung der Kochischen Bühne in Leipzig am 18. April 1769 schrieb J. J. Engel einen Prolog, worin sich folgende Stelle findet: [2]

Hier war's, wo Hermanns Dichter sich
Den tragischen Kothurn erwählte ...
Hier war's, wo tiefgerührt ihn Braw' und Cronegk hörten,
Die, weil sie selbst geweint, nun andre weinen lehrten.

Ob hier auf eine Aufführung Bezug genommen wird, womit dann der Freigeist gemeint sein müsste, kann man nicht sagen. Bestimmt jedoch lassen sich Aufführungen des Freigeistes nachweisen in Berlin, [3] wo unter Döbbelins Lei- <Seite 50:> tung besonders im Sommer 1767 fast täglich gute Trauerspiele gegeben wurden und zwar Trauerspiele von Lessing, Weisse, Brawe und Schlegel; in Hamburg [1] 1772, wobei Dorothea Ackermann die Amalia spielte; in Prag [2] zwischen 1. Januar und letztem September 1776 zweimal; in Münster [2] zwischen 22. August und letztem October einmal; in Nürnberg [3] am 2. Januar 1777; in Darmstadt [4] 1778, wobei Erlmann den Clerdon spielte. Bei der sogenannten Wäser'schen Gesellschaft war der Freigeist einige Jahre Repertoirestück; 1777 wurde er aufgeführt, als die Truppe in Brandenburg und Westphalen herumzog; [5] 1779 in den sächsischen Kreisen, am 27. März; [6] Clerdon wird als die beste Rolle des Principal Wäser genannt. In Danzig [7] wurde die Tragödie gegeben, während Brandes Theaterdirector war; zuerst hatte die Censurbehörde alle auf die Freigeisterei bezüglichen Stellen gestrichen; später aber gestattete der Präsident die ungekürzte Aufführung.

Bei der Mangelhaftigkeit des einschlägigen Materials kann man aus diesen Nachweisen auf eine bedeutend grössere Anzahl der Aufführungen schliessen, [8] besonders da dieselben Gesellschaften an verschiedenen Orten spielten und kein ausgebreitetes Repertoire besassen.

Ueber den Freigeist liegen sehr wenige gleichzeitige Recensionen vor; dies mag wohl darin seinen Grund haben, dass er zuerst in dem Anhang einer Zeitschrift erschien und in derselben verborgen blieb; man erwähnte ihn nur, wenn man den Inhalt der Bibliothek angab, [9] oder berief sich auch später bei dem Erscheinen der neuen Ausgabe auf die Recension in der Vorrede zur Bibliothek. [10] Ramler vor der <Seite 51:> Ausgabe sagt von dem Freigeist, dass er kein geringes Aufsehen gemacht habe 'unter den wenigen guten Stücken, die wir damals auf der deutschen Bühne zählten'. Dies bestätigen auch die Recensenten der Ausgabe und begnügen sich hinzuzufügen, dass Jedermann das Stück kenne, dass es hinlänglich gelesen, aufgeführt, gelobt und getadelt worden sei. [1] Nur Chr. H. Schmid in seiner Biographie und seinem Necrolog der Dichter ging etwas mehr darauf ein. Er findet, dass das Langweiligste des Freigeistes die Sprache sei und nennt sie 'zwar unedel, aber desto öfter schleppend, gedehnt, geschwätzig, uncharakteristisch, deklamatorisch und monotonisch'; er schreibt dem Dichter mehr Talent zum poetischen als prosaischen Dialog zu und findet, dass der Dialog in poetische Prosa ausartet: lauter Schiefheiten, des elenden Scribenten würdig.

Der Freigeist war volle zehn Jahre das einzige bekannte Werk von Brawe. Wenn ihn daher z.B. Löwen [2] in seiner Geschichte des deutschen Theaters 1766, oder Herder [3] in seinem Aufsatze: Haben wir eine Französische Bühne 1767 unter die ersten und bedeutendsten dramatischen Dichter Deutschlands rechnen, so gründet sich dieser Ruhm nur auf den Freigeist. Dass Herdern das Drama Interesse einflösste, beweist sein Notatenbuch, worin sich unter den Plänen am 21. August 1766 die Bemerkung findet: [4] 'Ueber das Trauerspiel Freigeist Moralische und Aesthetische Betrachtung'. Auch in der Sturm- und Drangperiode war der Freigeist nicht vergessen, so erzählt J. G. Schlosser in dem Schreiben des Prinzen Tandi an den Verfasser des neuen Menoza 1775, dass er Cronegk, Brawe und Schlegel gelesen habe, und in Recensionen der Siebziger Jahre wird das Stück öfter zum Vergleiche herangezogen.

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Auch Goethe erkennt wenigstens die litterarhistorische Bedeutung des Dramas an, wenn er im biographischen Schema zum Jahre 1763 notirt: [1] 'Abhandl. über die Trag. – Berliner Bibl. – Codrus Cronegk. – Freigeist Brawe. – Nicolais Preis 1756'. Die Aehnlichkeit des Clavigo mit dem Freigeist liegt im Stoffe. [2]


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[2] Blümner Geschichte des Theaters in Leipzig. 1818. S. 166 f.
[3] Plümicke Grundriss zur Geschichte des Berliner Theaters. Seite 255.

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[1] Meyer, F. L. Schröder 2, 2.
[2] Theaterkalender auf 1777.
[3] Theaterjournal für Deutschland. (Gotha 1777). S. 178.
[4] Ibid. 1778. S. 89.
[5] Berlinisches Litterarisches Wochenblatt 1777. 2, 470.
[6] Theaterjournal 1779, S. 83.
[7] J. Chr. Brandes, Meine Lebensgeschichte. 1799-1800. 2, 19.
[8] Hagen, Geschichte des Theaters in Preussen. 1854. S. 263.
[9] Göttinger Gelehrte Anzeigen 1758. S. 591.
[10] Neue Bibl. d. sch. W. 1768. S. 155-157.

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[1] Allgemeine deutsche Bibl. 1770. 12. B. Deutsche Bibliothek v. Klotz 1768. 6. Stück.
[2] Löwen, Gesammelte Werke 4, 47.
[3] Werke (Suphan) 2, 212.
[4] Ibid. 2, 377 Anmerkungen.

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[1] Werke (Hempel) 21, 290.
[2] Nodnagel, Lessings Dramen erläutert. (Darmstadt 1842). S. 76 f.


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