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VORBILDER.
Gewisse Aehnlichkeiten mit dem Freigeist, der unglückweissagende Traum des Helden zu Anfang, der den Helden vor einer wirklich vorhandenen Gefahr warnende, aber nicht beachtete, sogar dem Beschuldigten gezeigte Brief, die triumphirende Selbstenthüllung des Intriganten, werden dem aufmerksamen Leser sofort schon aus dem Scenarium des Brutus entgegengetreten sein. Dass der junge Herr die eben erlernten theatralischen Mittel gleich noch einmal und vollkommner anzuwenden suchte, konnte seiner technischen Bildung nur förderlich sein. Er hat daneben wie früher gute Muster reichlich benutzt. Nur ist auch dabei seine Auswahl nicht gross. Wieder hat zunächst, wie ich glaube, ein Werk Lessings eingewirkt, der Fragment gebliebene Kleonnis. Der Held dieses Dramas ist 'bei der Plünderung von Euphea weggekommen',
[1]
sollte unter dem Namen Melaneus in dem Stücke auftreten und mit seinem eigenen Vater feindlich zusammentreffen; höchst wahrscheinlich wäre dann Vatermord das Ende gewesen. Die Vermuthung, dass hier eine stoffliche Beeinflussung vorliegt und dass Lessing von dem Plan im Freundeskreise sprach, auch vielleicht Behandlung eines ähnlichen Themas direct empfahl, wird dadurch bestärkt, dass
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der Kleonnis in Bezug auf den Vers die unmittelbare Voraussetzung des Brutus bildet.
[1]
Von grösserer Wichtigkeit aber sind drei andere Dramen für den Brutus: Mahomet von Voltaire, The Revenge von Young und Cato von Addison. Aus dem ersten hat er das Motiv des Vatermordes, aus dem zweiten das Motiv der Rache herübergenommen; das dritte Stück ist auf die Conception der Handlung und auf die Charakteristik des Helden von Einfluss gewesen.
Voltaires Le Fanatisme, oder Mahomet Le Prophète war bereits 1748 von einem Ungenannten (Braunschweig und Hamburg), dann unter dem Titel Mahomet der Lügenprophet Wien 1749 von H. G. Koch übersetzt worden
[2]
und hat auf eine Reihe von Dramen jener Periode eingewirkt.
[3]
Mahomet hat die Kinder des Zopire, Séide und Palmire, diesem rauben lassen und sie selbst erzogen, während der Vater sie für todt hält. Jetzt wo Zopire von Mahomet in Mecca belagert wird, sucht letzterer aus diesem Besitzthume Nutzen zu ziehen und entdeckt ihm, dass die Kinder noch leben; dieser Scene II. 5 ist II. 5 im Brutus nachgebildet, worin Publius dem Brutus mittheilt, dass er dessen Sohn errettet habe. Zopire ruft bei der ersten Nachricht aus: 'Ils vivraient! qu'as tu dit? o ciel! o jour heureux! Ils vivraient!' Brutus: 'Beglückter Tag! – So lebt er denn! ... Wie? mein Sohn? – mein Sohn? – er lebt?' Beide sehnen sich die Kinder wieder zu sehen nach so langer Zeit; Zopire: 'Mahomet, je suis père, et je porte un coeur tendre. Après quinze ans d'ennuis, retrouver mes enfants, les revoir, et mourir dans leurs embrassements'; Brutus: 'Publius, wo ist mein Sohn? Wo kann ich – sprich – wo kann ich ihn mit diesem Arm, der ihn so lang' entbehret hat, umfassen, und entzückt die theure Stirn mit Thränen netzen'. Beide erfahren, dass ihre Kinder im feindlichen Lager sich befinden; das Leben derselben wird in ihre Hand gelegt;
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der Preis ist zu gross, beide sind entschlossen, ihre Kinder ihren höheren staatlichen und religiösen Pflichten aufzuopfern. Séide und Marcius werden nun auf ganz ähnliche Weise zum Morde gezwungen; Mahomet verwendet die Autorität der Religion und 'die Flamme des Parteigeists' zu diesem Zwecke, Publius lässt den Marcius im Hain der Furien einen Eid schwören; beide sind gebunden; beide werden nun in das gegnerische Lager geschickt. Die schöne Scene im Mahomet III. 8, in der Séide gegen Zopire allmählig freundlich gestimmt wird, Vater und Sohn dem natürlichen Gefühle folgend an einander Gefallen finden, ist im Brutus insofern verwerthet worden, als bei Beginn des Stückes Marcius schon der Freund seines Vaters ist. Der Vers in dieser Scene: 'Eh! qui n'en (des remords) aurait pas dans ce jour effroyable!' schwebte wohl bei dem Satze im Brutus vor (V. 2): 'Ach! dieser blutge Tag ist fruchtbar an Verbrechern'. Den ganzen Seelenkampf des Séide hat Brawe auch seinen Helden durchmachen lassen; nur muss Marcius alles in Monologen erwägen, während im Mahomet dem Séide seine Schwester zur Seite steht. Weiter geht die Aehnlichkeit nicht, die Ermordungsscene weicht ganz ab; die Erkennungsscene ist bei Brawe durch das lange Widerstreben des Vaters von viel grösserer Wirkung, als die im Mahomet, wo blosse Verzeihung vorliegt.
The Revenge hat merkwürdiger Weise nicht bloss im Freigeist, sondern fortwirkend auch hier noch unseren Dichter begeistert. Ja deutlicher als Henley weist Publius auf Youngs Drama zurück; er stimmt in den Motiven genauer zu Zanga als jener.
Alonso hat Zangas Vater, einen muhamedanischen Fürsten, in der Schlacht getödtet, ihn selbst zu seinem Gefangenen und Sklaven gemacht und ihn, der schon als Heide den Spanier hasste, persönlich schwer beleidigt. Publius ist als Samniter ein Todfeind der Römer; Brutus' Vater hat des Publius Vater und Brüder in der Schlacht getödtet, und nur er selbst entkam mit Mühe. Beide also vereinen National- mit Familienhass, beide sind die Vertreter ihrer Nationen und fühlen sich als solche, beide
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wollen die lange Knechtung ihres Stammes an dem Manne rächen, den sie persönlich hassen.
Zanga sagt im ersten Gespräche mit Isabella: 'I hate Alonso ... Proud Spaniard, thou shalt feel me! ... I groan'd for an occasion of ample vengeance'. Publius IV. 7 zu Brutus:
Erblick in mir
Der Römer grössten Feind, den Samnier ...
Nicht Cäsars Freund, Antons, Octavens nicht,
Nur euer Feind war ich. – Die Mörder Roms
Liebt' ich in ihnen. – Doch nie hab' ich sie,
Die ganze Schaar der Peiniger der Welt,
So sehr verabscheut, als dich, Brutus! dich,
Sohn des Vertilgers meines Stamms!
Beide fühlen die Geister ihrer gefallenen Landsleute um sich, rufen sie um Beistand an und fordern sie nach dem Gelingen ihrer That zur Freude auf. Zanga Act III:
The spirits numberless
Of my dear countrymen, which yesterday
Left their poor bleeding bodies an the field,
Are all assembled here, and o'er-inform me.
Act V.
Crown me, shadow me with laurels,
Ye spirits, which delight in just revenge! ...
O my dear countrymen, look down and see
How I bestride your prostrate conqueror!
Publius III. 2:
Du Heer der Helden! das für Samnium
Und Freiheit starb, ein freudiges Gefühl
Durchschaure dein Gebein! Dein glorreich Grab
Bekröne sich mit Lorbeern!
IV. 7:
Empfangt mich nun,
Ihr Helden Samniums! empfangt in mir
Den Rächer eures Falls. Dies Capitol,
Das über eure Schmach oft triumphirt,
Hebt nun sein herrschend Haupt nicht mehr so stolz
Zum Sitze seines Zeus empor.
Auch hier wiederholt sich, wie schon bemerkt, die Scene, wo der Feind, der endlich seinen ganzen Racheplan ausgeführt hat, in Spott und Triumph sich über den Besiegten erhebt; Publius frohlockt sterbend über den Brutus, er kann
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nicht mehr sprechen, den unglücklichen Brutus nur zu sehen, gewährt ihm volle Befriedigung.
Mehr noch als Youngs Rache hat der Cato von Addison auf Brawes Brutus eingewirkt, ja unser Stück ist an einigen wenigen Stellen wörtliche Uebertragung desselben.
[1]
Brawe bezeichnete die Anlehnung auch äusserlich, indem das Motto aus Popes Prolog zum Cato genommen ist:
A brave man struggling in the storms of fate,
And greatly falling with a falling state!
Addisons Cato nimmt eine eigenthümliche Mittelstellung unter den englischen Dramen jener Zeit ein, indem er einerseits die meisten Freiheiten der englischen Bühne an sich trägt und andererseits in den französischen Geschmack einlenkt.
[2]
Seiner äusseren regelmässigen Gestalt hatte das Stück zu danken, dass es Gottsched zur Verfertigung seines Trauerspieles 'Der sterbende Cato' 1730 mitverwendete und dass es Frau Gottsched 1735 ins Deutsche übersetzte. Brawe muss die Tragödie im Original gelesen haben; die Uebersetzung der Gottschedin hat er gewiss nicht benützt.
In den ersten zwei Acten ist die Aehnlichkeit der beiden Dramen durch die Aehnlichkeit der Situation gegeben.
Ein wichtiger entscheidender Tag bricht für das römische Reich an – hier in Utica, dort in Philippi. So beginnt der Cato I. 1 (Addisons Werke 1761, Bd. 1, 263).
The dawn is overcast, the morning lowers,
And heavily in clouds brings on the day, –
The great, th'important day, big with the fate
Of Cato and of Rome.
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Aehnlich Brutus I. 1:
Und naht er nicht, der feierliche Tag,
Der, königliches Volk, dein hoh Geschick
Entscheiden soll?
und Messala I. 2:
Nun, Brutus! ist er da, der grosse Tag,
Der Rächer Roms, von Ungewittern schwer
Für Frevler, für Antone; dir voll Glanz
Und voll Unsterblichkeit.
Bürgerkrieg ist in beiden Stücken die Losung, Verzweiflungskampf das Schicksal unserer Helden, welche den ihnen treu gebliebenen Theil des Senates zur Berathung versammeln. Die Feinde schicken Gesandte, Cäsar den Decius, Antonius den Publius; beide bieten Frieden an; beide werden abgewiesen (Cato II. 2; 1, 295 = Brutus II. 4, S. 35 f).
Gegen Catos Meinung tritt Lucius auf und verlangt Frieden, so wie Servilius gegen Brutus auf Frieden besteht; die Charaktere der beiden Alten sind ähnlich.
Dann weichen wohl die Vorgänge von einander ab, nur drehen sich die letzten Acte der beiden Dramen um die Söhne der Helden, hier um den Heldentod des einen, dort um die Schmach des andern. Die Aehnlichkeit der letzten Acte liegt aber in der Zeichnung der Hauptpersonen: in ihrem Stoicismus und ihrer Vaterlandsliebe; in ihren religiösen Anschauungen; in ihrem Selbstmorde. Hier finden sich die Stellen, die zum Theils wörtlich mit dem Originale stimmen;
Cato IV. 4:
If e'er we meet hereafter, we shall meet
In happier climes, and on a safer shore,
Where Cæsar never shall approach us more.
Brutus V. 3:
Heil dir, Erretter Tod! In eine Welt,
Wo kein Anton dem Tugendhaften Schmach
Und Knechtschaft droht, führst du den freien Geist. –
Cato IV. 4:
Alas my friends!
Why mourn you thus? let not a private loss
Afflict your hearts. 'Tis Rome requires our tears.
The mistress of the world, the seat of empire
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The nurse of heroes, the delight of gods,
That humbled the proud tyrants of the earth,
And set the nations free, Rome is no more.
O liberty! O virtue! O my country!
[1]
Brutus V. 3:
Wie sehr verherrlicht meinen Fall der Schmerz,
Der euch bedeckt, grossmüthge Freunde. – Doch
Weint nicht um mich: ich blute glorreich. Ich
War frei, und starb ein Römer, – unentweiht
Von Fesseln. – Weint um Rom. Die Thräne, die
An diesem finstern Tag für Rom nicht fliesst,
Fliesst strafbar hin. – Ach! sie die Königin
Der Völker, liegt im Staube ...
Das Schrecken, das vom Capitole gieng,
Wenn es gebietrisch winkte, wird dereinst
Den Völkern Spott, dem Enkel Fabel sein.
Dies heil'ge Reich, von Göttern selbst erbaut,
Wird bald von schnöden Weichlingen beherrscht,
Den Schatten so viel andrer zugesellt,
Gleich ihnen ein Phantom der vorgen Macht!
O Tugend! Freiheit! o mein Vaterland!
Die letzte Rede des Brutus vereinigt Motive aus der Anfangsscene und aus der Schlussscene des letzten Actes im Cato; die auf die Gottheit und Ewigkeit bezüglichen Stellen finden sich ähnlich in beiden Dramen wieder. Brutus und Cato bitten die Gottheit um Verzeihung wegen des Selbstmordes, den sie der Macht der Umstände zuwälzen.
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Alas! I fear,
I've been too hasty. – O ye powers, that search,
The heart of man, and weigh his inmost thoughts
If I have done amiss impute it not
The best may err – but you are good!
Vergieb die rasche That,
Die nicht ich selbst, die der Verzweiflung Macht
Und Raserei in mir gethan. Vergieb,
Dass ich den Tod beschleuniget, den ich
Von Dir erwarten sollte. – Staub bin ich
Und Unvollkommenheit, und du – bist Gott
Und beide sind selig im Vorgefühle des Anschauens der Gottheit.
Zu vergleichen wäre ferner noch das begeisterte Lob des Brutus aus dem Munde des Marcius I. 6 mit dem Preise des Cato von Seiten des Juba I. 4, wie überhaupt einige Züge des letzteren auf Marcius übergegangen sind. Aber damit ist die Uebereinstimmung keineswegs erschöpft; überall in sonst ganz frei erfundenen Scenen finden sich Anklänge an das Original in Inhalt und Form. Viel mag zu dieser Aehnlichkeit wohl das Versmass, der fünffüssige Iambus beigetragen haben, in welchem auch Youngs Rache geschrieben ist.
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[1]
Werke (Hempel) 11, b, 666.
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[2]
Vgl. das Neueste aus der anmuthigen Gelehrsamkeit 1, 386.
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[1]
Die Recension des Brutus in der deutschen Bibliothek der schönen Wissenschaften von Klotz, Halle 1768, 6. Stück hebt die Aehnlichkeit dieser beiden Dramen in mehreren Scenen hervor und dann heisst es: 'Ich müsste mich sehr irren, oder unser Dichter hat mit besonderem Fleisse den Cato des Addison studirt und den Ton des Engländers sich eigen gemacht'.
[2]
Vgl. Hettner, Geschichte der englischen Litteratur. 3. Aufl. S. 250; 258 ff.
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[1]
Gottsched übersetzt an dieser Stelle (Sterbender Cato IV. 5, (10. Auflage 1757) S. 56).
Es scheint, ihr könnet euch der Thränen nicht erwehren,
Da nur ein Jüngling fällt. Rom, Rom erfordert Zähren!
Der Götter Meisterstück, der Helden Vaterland,
Die Herrscherin der Welt, die mit gerechter Hand
Tyrannen niederschlug und den geplagten Landen
Die Freiheit wiedergab: Rom ist nicht mehr vorhanden!
O Freiheit! O Verlust! O edle Vaterstadt!
und seine Frau übersetzt (Leipzig 1735; IV. 4, S. 100): 'Warum seid ihr so betrübt meine Freunde? Lasst eure Herzen nicht durch einen Privatverlust bestürzt werden. Rom allein verdient eure Thränen. Rom, die Beherrscherin der Welt, der Sitz des Reiches, die Säugamme der Helden, die Belustigung der Götter, welche die hochmüthigen Tyrannen gedemüthigt und die Völker befreiet hat. Dieses Rom ist nicht mehr vorhanden. O Freiheit! O Tugend! O Vaterland!'
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