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AUFFÜHRUNG.

Eine einzige Aufführung des Brutus ist bekannt. Die Chronologie des deutschen Theaters (S. 278) sagt: 'Wien hat bisher (1775) allein die Ehre, es gespielt zu haben'. Diese Aufführung fand statt am 20. August 1770. Das älteste Repertoire-Buch des Wiener Hofburgtheaters, in das ich durch die Güte des Herrn Theatersecretär Fuss selbst Einsicht nehmen konnte, zählt den Brutus unter die Stücke, welche 'im weiteren Verlaufe' nicht mehr gegeben sind. Er wurde abgelehnt; es knüpft sich aber daran ein fast Epoche machender Abschnitt für das Wiener Theater. Am 31. Mai 1770 hatte Graf J. Kohary die Leitung der Wiener Hoftheater übernommen, und Sonnenfels wurde bald darauf als Censor officiell für das deutsche Theater eingesetzt. Am 14. August dieses Jahres gab er ein Programm heraus, worin <Seite 77:> er im Namen der Direction die Pflege des höheren Dramas in Aussicht stellte. [1]

Als erster Versuch zur Erfüllung dieser Ankündigung gieng am 20. August der Brutus in Scene, zugleich das erste Stück in fünffüssigen Iamben auf der genannten Bühne und das Debut der Gebrüder Lang in Wien: Michael Joseph, der ältere, spielte den Marcius; der jüngere den Tribunen; Stephanie der jüngere den Brutus; der ältere den Publius. Sonnenfels benutzte die Aufführung, um am 22. August eine geistreiche Recension darüber zu veröffentlichen, welche unter dem Titel: 'Freimüthige Erinnerung an die deutsche Schaubühne über die Vorstellung des Brutus' als selbständige Schrift erschien. [2]

Er knüpft an die Aufführung des Brutus grosse Hoffnungen, wendet sich an Publicum und Schauspieler betreffs ihrer Theilnahme an den Bestrebungen der Direction und bespricht dann in höchst eingehender Weise das Drama selbst, die Vorstellung im Allgemeinen, die scenische Durchführung und endlich jeden einzelnen Schauspieler für sich.

Er sagt im Beginn der Schrift: 'Ich gestehe, ich habe noch auf der deutschen Schaubühne nie ein Stück im Ganzen mit solcher Anständigkeit und Ordnung aufführen gesehen', und er rechtfertigt die Sorgfalt, welche man gerade auf dieses Stück verwendete, indem er alle Vorzüge desselben hervorhebt und besonders rühmt, dass es das Schreckliche der eng- <Seite 78:> lischen Schaubühne mit dem Anstande der griechischen in einen glücklichen Bund gebracht habe. [1]

Er lobt die Verkürzung, welche die Tragöde erfahren habe und die 'richtige und reizende Anordnung und Zusammensetzung' der 'mannigfaltigen Gruppen und Bilder' im Brutus; besonders ausführlich bespricht er die Gruppirung der Sterbescene. [2]

Trotzdem wurde das Stück abgelehnt und die Ursache der Ablehnung war der iambische Vers, 'dessen man so wenig gewohnt' war, 'und welchen die Hälfte der Zuschauer mit dem Buche in der Hand nicht wohl verstehen' konnten. [3]

Erst sehr wenige Stücke in fünffüssigen Iamben waren bis dahin auf die Bühne gekommen; sicher Wielands Johanna Gray, welche noch vor dem Druck 1757 in Zürich gespielt war. [4] Dann wurde Weisses Atreus und Thyest in Hamburg, in Leipzig (28. Januar 1767) [5] und anderwärts mit Beifall geheben; [6] und endlich erschienen 1768 und 69 in <Seite 79:> Hamburg Voltaires Mahomet und Scythen in iambischen Uebersetzungen von J. Fr. Löwen auf den Brettern, denen vielleicht die Semiramis in derselben Versart voraufgegangen war. [1]

Welche Schwierigkeiten dem fünffüssigen Iambus damals auf der Bühne entgegenstanden, [2] begreifen wir klar, wenn wir bedenken, wie gross die Hindernisse waren, welche Schiller und Goethe bei der Einführung desselben noch zwanzig Jahre später bei Schauspielern und Publicum zu überwinden hatten.


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[1] Chronik des k. k. Hof-Burgtheaters von Dr. E. Wlassak 1876. S. 20 ff.
[2] Wien bei Kurtzböck. 8. 1770. Hermann Rollet in den von ihm wieder herausgegebenen Briefen von Sonnenfels (Wien 1874) führt S. 40 noch eine zweite Auflage dieser Schrift an: Ueber die Vorstellung des Brutus. Wien 1771. 8. Bei Goedeke II 623 findet sich nur die letztere angegeben. Ich citire nach Sonnenfels gesammelten Schriften 1786. 9, 68-114. Könnte es vielleicht als eine Reminiscenz aus dem eben erschienenen Brutus angesehen werden, wenn Sonnenfels 17. December 1768 an Klotz schreibt: (Rollet 9) 'kann ich mein Vaterland nicht von der Tyrannei der Vorurtheile befreien; der Untergang des Brutus auf dem Schlachtfelde, worauf die Unterdrücker siegten, ist der rühmliche Tod eines Patrioten, wünschenswerther, als der Triumphwagen seiner Ueberwinder'.

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[1] Im Almanach der deutschen Musen (Leipzig. Berlin. Frankfurt. 1771) S. 42 findet sich eine Kritik über Sonnenfels Schrift, worin es heisst: 'Brawens Trauerspiel wird ein wenig zu sehr gelobt, doch dies schadet bei einem sich bildenden Publico nichts'.
[2] Vgl. Hagen a.a.O. S. 279 und Chr. H. Schmid Das Parterre (Erfurt) S. 213.
[3] Ueber die sonstige Aufnahme des Stückes in Wien wäre zu vergleichen: Neue Sammlung zum Vergnügen und Unterricht. Wien. Gräffer 1769. Nach dem Index soll daselbst im 1. Stück S. 155 ein Sinngedicht auf den Brutus von Brawe, und im 4. Stück S. 1 eine Recension desselben stehen. Ich hatte mehrere Bände dieser Sammlung in der Klosterbibliothek zu Melk in Händen. Die hier citirten Bände fehlen dort aber und waren auch in Wien nirgends aufzutreiben. Ferner Geschichte und Tagbuch der Wiener Schaubühne herausgeg. von J. H. F. Müller (Wien 1776) 74-107, worin auch Sonnenfels Erinnerung abgedruckt ist.
[4] Vorbericht zur ersten Ausgabe.
[5] Unterhaltungen (Hamburg) 3, 179; 5, 313.
[6] Weisse Selbstbiographie S. 102. Er sagt dort auch, dass bis dahin kein Trauerspiel Hoffnung gehabt hätte, auf die Bühne gebracht zu werden, das nicht in gereimten Alexandrinern geschrieben war, und dass 'die Befreiung von Theben' wegen des Verses nicht aufgeführt wurde.

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[1] Jördens 3, 424; Hamburgische Theatergeschichte von Joh. Friedr. Schütze (Hamburg 1794) S. 361; Chronologie des deutschen Theaters S. 276.
[2] Herder in dem Fragment über das deutsche Theater (Werke Suphan 2, 219) sagt: 'Die englischen fünffüssigen Iamben ohne Reime sind pathetisch, aber innerlich äusserst schwer zu machen und noch schwerer zu declamiren.'


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